Sie haben gerade eine Finanzspritze in Höhe von 22 Millionen Euro von der Stadt erhalten. Wie schwer fiel es Ihnen, das Geld einfordern zu müssen?
Die Wunschliste ist natürlich nahezu unendlich. Diese 22 Millionen Euro sind für Investitionen, Ersatzbeschaffungen gedacht, erstmals aber auch als Zuschuss zu den Betriebskosten für einen Zeitraum von zwei Jahren. Über diese Unterstützung sind wir sehr dankbar.
Werden Sie es schaffen, in zwei Jahren keine Zuschüsse mehr zu brauchen?
Wir müssen besser dastehen und streben für 2021 die schwarze Null an. Das könnte funktionieren, wenn das Finanzierungssystem des Gesetzgebers so kommt, wie derzeit geplant. Hier haben wir aber die große Unbekannte in der Rechnung, denn die Krankenhausgesetzgebung ändert sich sehr häufig, manchmal halbjährlich.
Was ist für Sie das größte Problem in der derzeitigen Gesetzgebung? Das Stichwort "Fixkostendegressionsabschlag " spielt eine wichtige Rolle. Können Sie das einmal erklären?
Der so genannte "Fixkostendegressionsabschlag“ besagt, dass Krankenhäuser weniger Geld pro Patient bekommen, wenn mehr Patienten behandelt werden als vor Beginn eines Jahres geplant. Für jeden Patienten, den ein Krankenhaus überplanmäßig behandelt, werden 25 Prozent weniger ausgezahlt. Ich erläutere das einmal am Beispiel eines Autobauers: Wenn etwa VW plant, in einem Jahr 100 000 Autos zu verkaufen, am Ende aber 130 000 Autos verkauft, dann dürfte VW für die 30 000 Autos, die quasi zu viel verkauft wurden, nur einen Preis mit einem 25-prozentigen Abschlag verlangen. Das würde der Industrie und der freien Marktwirtschaft ganz sicher keinen Spaß machen. Aber im Krankenhauswesen ist es genauso.
Das versteht ja kein Mensch. Was denkt sich die Politik denn dabei?
Vielleicht dient das der Mengenbegrenzung? Ich sehe es so: Ein Krankenhaus, das einen guten Ruf hat, das gute Ärzte und gute Pflegekräfte hat, das eine differenzierte Diagnostik und Therapie anbietet, wird damit bestraft.
Für den Normalbürger macht das doch keinen Sinn? Was müsste sich denn aus Ihrer Sicht ändern?
Richtig, das macht keinen Sinn. Aber da müssen Sie die Politiker fragen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es eine politische Entscheidung braucht. Man hat die Krankenhäuser aus einem staatlichen System heraus in ein bisschen Marktwirtschaft überführt und hat unternehmerische Stellschrauben eingebaut. Mit genau diesen Stellschrauben begeben wir uns aber in Richtung Planwirtschaft. Es muss entschieden werden, ob wir nun die Planwirtschaft oder ein System der freien Marktwirtschaft verfolgen. Das Krankenhauswesen ist ein Zwittermodell. Das geht nicht, ebenso wenig wie Frauen nur ein bisschen schwanger sein können.
Wenn Sie also im Kostenrahmen bleiben wollten, müssten Sie Patienten abweisen, wenn mehr kommen, als geplant?
Ja. Aber wir sind ein öffentliches Krankenhaus. Wir müssen diese Patienten aufnehmen, das ist unser Auftrag. Wir werben selbstverständlich auch damit, weil wir gute Medizin anbieten.
Haben Sie denn Hoffnung, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn da etwas bewegt?
Lassen wir uns überraschen. Ich habe in meiner Laufbahn schon viele Gesundheitsminister aus allen Parteien agieren, kommen und gehen sehen. Es hat sich aber leider nicht wirklich viel verändert, was die Krankenhaus-Finanzierung betrifft.
Ein weiteres Problem ist auch der Fachkräftemangel. Wie sieht das beim Medizin Campus Bodensee aus?
Wir haben bundesweit einen eklatanten Fachkräftemangel, nicht zum ersten Mal übrigens. Fakt ist, dass wir trotz Ausbildung und erweiterter Ausbildung nicht genügend Fachkräfte in der Pflege bekommen. Bei den Ärzten ist es nicht ganz so schlimm. Wir haben in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung und es fehlen vor allem in den sozialen Berufen einfach Fachkräfte. Im MCB sind derzeit etwa 15 Vollzeit-Pflegestelle nicht besetzt. Das klingt nicht viel bei insgesamt 633 Stellen. Diese zu finanzieren fällt uns jetzt schon schwer, weil unser Budget zu eng ist. Wenn wir dann noch Stellen nicht besetzen können, weil der Arbeitsmarkt leer ist, steigt die Belastung der Pflegekräfte natürlich weiter an.
Eine Komfortplus-Station musste sogar geschlossen werden?
Ja. Wir haben versucht, den Personalmangel unter anderem mit dieser Maßnahme organisatorisch aufzufangen. Wir haben also eine dieser Stationen geschlossen und das Personal auf anderen Stationen eingesetzt, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Denn die Zahl der Patienten hat sich in unseren drei Häusern nicht verringert. Das wirkt sich auf eine weitere Verkürzung der Verweildauer aus und dies belastet die einzelnen Mitarbeiter wieder in höherem Maße.
Warum ist es so schwierig, Pflegekräfte zu finden?
Hierzulande liegt es vor allem daran, dass der Pflegeberuf über Jahre an Attraktivität verloren hat. Bei den heutigen Lebensentwürfen sind Bürojobs beliebter, Gleitzeit, Homeoffice, freie Wochenenden und Feiertage…Das geht in der Krankenpflege nicht. Eine Krankenschwester verdient in Vollzeit etwa 3500 Euro brutto – ich will jetzt nicht beurteilen, ob das viel oder wenig ist. Aber es gibt durchaus Berufe, in denen man mit angenehmeren Arbeitszeiten mehr verdienen kann. Wir suchen seit längerem Mitarbeiter für die Pflege im Ausland. In Spanien, Italien und auf den Philippinen. Menschen aus mehr als 50 Nationen arbeiten mittlerweile im MCB.
Ein weiteres Problem ist auch der fehlende Wohnraum für das Personal?
Ja. Auch an diesem Thema arbeiten wir nicht erst seit heute und suchen auch zusammen mit der SWG nach Lösungen. Aber leider kann niemand Wohnungen aus dem Hut zaubern. Wir haben in unsere Not Mitarbeiter sogar schon im Hotel untergebracht.
Viele Menschen sind der Meinung, Flüchtlinge gehörten abgeschoben. Aber viele arbeiten bereits als Pflegekräfte. Auch am Klinikum absolvieren zwei Syrer eine Krankenpflege-Ausbildung. Was meinen Sie dazu?
Meiner persönlichen Einschätzung nach ist abzusehen, dass wir ohne Zuwanderung in der Gesundheitsbranche die Fachkräfte nicht rekrutieren können. Wir können uns gar nicht so viel und so schnell vermehren, als dass wir dadurch genügend Fachkräfte in absehbarer Zeit in der Pflege oder in anderen Berufszweigen bekämen. Das weiß man schon lange. Die Debatte um die Zuwanderung und Einwanderung in unserem Land betrachte ich äußerst kritisch, um das einmal vornehm auszudrücken. Ohne Zuwanderung wird hier in Zukunft gar nichts mehr gehen. Aber ob man aus dem Pool der Flüchtlinge Fachkräfte herausfischen kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Da gibt es ja auch viele Hürden und Hemmnisse. Aber ich wiederhole es noch einmal: Ohne Zuwanderung wird unsere Gesundheitsversorgung sehr, sehr leiden und kaum mehr möglich sein.
Können Sie denn verstehen, dass es Bundespolitiker gibt, die genau das negieren?
Das kann ich gar nicht verstehen. Ich echauffiere mich sehr darüber. Als Bürger habe ich dazu eine klare Meinung. Als Geschäftsführer auch. Und diese Meinungen differieren kaum. Den Pflegebedarf wird man in Deutschland nicht decken können – weder im Krankenhaus noch in der Altenpflege. Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Roboter kommen in absehbarer Zukunft nichts ans Krankenbett. Sondern der Arzt, die Pflegekraft oder die Hebammen: Menschen also. Wenn wir niemanden mehr für diese Jobs haben, dann brauchen wir auch keine Rationalisierung mehr, sondern dann kommt die Rationierung von Gesundheitsleistungen. Und wenn das eintrifft, möchte ich mal die Leute hören, die heute sagen, dass wir keine Zuwanderung brauchen.
Im Klartext heißt das was?
Dann fahren wir irgendwann eben 100 Kilometer ins nächste Krankenhaus. Ich weiß es nicht.
Das Umfeld ist schwierig insgesamt. Ist das nicht ein Kampf gegen Windmühlen, den Sie da führen?
Ich bin mit Leib und Seele in diesem Beruf tätig. Ich habe schon viel erlebt im Krankenhauswesen. Aber es lohnt sich am Ende trotzdem. Ich bin Segler. Gegen den Wind kann man nicht segeln, hart am Wind geht es aber schon, auch wenn man da kämpfen muss. Es ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber Spaß macht mir der Beruf trotzdem.
Zur Person
Johannes Weindel leitet seit 2005 das Klinikum Friedrichshafen und seit 2015 den Medizin-Campus Bodensee (MCB), zu dem die Klinik Tettnang und das Krankenhaus 14 Nothelfer in Weingarten mit insgesamt über 2000 Mitarbeitern gehören. Der 62-Jährige begann seinen Berufsweg übrigens selbst als Krankenpfleger.
22,5 Millionen Euro für wichtige Projekte
Die Gesamtsumme von bis zu rund 22,5 Millionen Euro setzt sich aus Zuschüssen der Stadt Friedrichshafen für verschiedene Bereiche in den drei MCB-Häusern in Friedrichshafen, Weingarten und Tettnang zusammen.
- Anlaufverluste: Diese sind in den Jahren 2014 bis 2017 im Zusammenhang mit Klinikübernahme beziehungsweise der Bildung des Medizin-Campus Bodensee entstanden.
- Zuschuss zum Ausgleich: 6,47 Millionen Euro.
- Investitionen: Zu den geplanten Investitionen, die mit insgesamt 5,64 Millionen Euro bezuschusst werden, gehört unter anderem ein zentrales Versorgungszentrum. Es soll für voraussichtlich 28 Millionen Euro in Friedrichshafen entstehen. Durch die dort geplante zentrale Bündelung von Funktionen wie Küche und Apotheke versprechen sich die Verantwortlichen zukünftige Synergieeffekte durch wirtschaftlichere Leistungserbringung.
- Instandhaltung: Ausgaben in diesem Bereich werden im laufenden Jahr mit insgesamt bis zu 1,3 Millionen Euro bezuschusst. Betriebskosten: Für den Betrieb der Klinikum Friedrichshafen GmbH sowie der Kliniktöchter des Medizin-Campus Bodensee im laufenden Jahr wurde ein Zuschuss in Höhe von 4,87 Millionen Euro bewilligt, der für 2019 beträgt 4,25 Millionen Euro. (böm)