So stellt man sich einen Freiherrn Knigge vor: Grünes Tweed-Sakko mit geblümten Einstecktücklein, senfgelbe Bügelfalten-Hose, rötliches Haar, Bart, durchdringende Stimme. Rein äußerlich bedient Moritz Freiherr Knigge also sämtliche Klischees. Wer in seiner Gastrede beim Neujahrsempfang der Stadt Friedrichshafen im Graf-Zeppelin-Haus am Sonntagabend aber zusätzlich moralische Zeigefinger-Rhetorik und eine Auflistung von Benimm-Regeln erwartet hat, wurde enttäuscht. Stattdessen gab es eine launige Rede mit einigen Längen, die mit einer guten Erkenntnis endete: Höflichkeit und Wertschätzung basieren nicht auf statischen Regeln, sondern auf einem tagtäglichen guten Miteinander.
 

Das hätte dem echten Knigge wohl gefallen. Denn Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge wird mit seinem Buch „Über den Umgang mit Menschen“ von 1788 seit fast 230 Jahren missverstanden. Es gilt als der Benimm-Ratgeber der Deutschen schlechthin. Welcher Wein in welches Glas? Frag Knigge. Dem Chef das Du anbieten? Steht im Knigge. Dabei hatte der Denker und Aufklärer Knigge doch etwas ganz anderes im Sinn. Er wollte seine Erfahrungen aufschreiben, an starren Etiketten rütteln, an wahren Anstand erinnern. Das zu transportieren hat sich Moritz Freiherr Knigge, der selbst gar kein direkter Nachfahre ist, sondern einer anderen Linie der niedersächsischen Adelsfamilie entstammt, zur Lebensaufgabe gemacht. Der Betriebswirt versteht sich laut seines Internetauftritts als „Deutschlands Botschafter für das bessere Miteinander“ und berät Unternehmen zum „Erfolgsfaktor Höflichkeit“.

Zudem besucht er Talkshows und Neujahrsempfänge, hält Vorträge vor Studierenden und Managern und schreibt Bücher mit Titeln wie „Anleitung zum Unhöflichsein, Von der Kunst, sich virtuos danebenzubenehmen“ oder „Mit Rückgrat steht man besser“.

Der 48-Jährige ist ein geübter Redner, seine unkonventionelle und humorvolle Sprache ist leicht verständlich und kommt gut an – auch im Graf-Zeppelin-Haus. Dort berichtete er den rund 1800 Häflern von seinen stillen Beobachtungen an Menschen und zählte eine ganze Liste von Stereotypen auf. Da wären etwa die „Runterzieher“, also diejenigen, die früher alles besser fanden und sich immer persönlich angegriffen fühlen. Und die „Spießer“, die sich ständig über andere aufregen und dabei selbst ein ganzes Sammelsurium an Marotten haben, zum Beispiel Tuben in der Mitte ausdrücken oder Spülmaschinen nach besonderem System einräumen. Oder etwa die „Stinker“, die selbst die kleinen Spielchen der Höflichkeit nicht beherrschen, und die „Besserwisser“, die andere gerne bloßstellen, um selbst besser dazustehen. Knigge erntete für diese Bilder einige Lacher, denn in einer dieser Schubladen fand sich wohl jeder Zuhörer wieder.

Und was ist nun die Lösung für ein besseres, anständigeres Miteinander? Knigge griff an dieser Stelle zu wohlgemeinten Plattitüden („Halten Sie es mit Pipi Langstrumpf: Machen Sie sich die Welt, wie Sie Ihnen gefällt“) und einem ernsten Ratschlag: „Seien Sie gelassener und beschließen Sie, sich nicht aufzuregen, sondern gehen Sie mit einem positiven Bild voran!“ Dafür gab es lauten Applaus. Und einen guten Vorsatz mehr für das gerade angebrochene junge Jahr 2017.


Der Redner

Moritz Freiherr Knigge (geboren 1968) wuchs auf dem Rittergut Bredenbeck auf, das sich seit dem 13. Jahrhundert im Besitz der Familie der Freiherrn Knigge befindet. Er ist ausgebildeter Verlagskaufmann, studierte BWL in Berlin und war bis 1998 in der IT-Branche tätig. 2002 gründete Knigge in Düsseldorf eine Beraterfirma, in deren Vordergrund die Vermarktung seiner Vorträge, Reden, Coachings und Bücher steht. Knigge ist beliebter Gast in Talkshows, Redner bei Empfängen und Coach in Firmen.