Die junge Frau liegt quer und apathisch auf dem Bett, die Augen noch halb offen. "Hören Sie mich? Machen Sie bitte den Mund mal auf", spricht Dunja Geier die 23-Jährige an, die aber nicht reagiert. Die Notfallsanitäterin wartet nicht lange, öffnet den Mund der Patientin und kontrolliert, ob die Zunge blutet oder die Atemwege blockiert sind.
Rettungsleitstelle wird alarmiert
Kurz vor 23 Uhr hatte der Freund die Rettungsleitstelle per Notruf alarmiert und einen Krampfanfall der jungen Frau gemeldet. Tamaras Augen (Name geändert, d.R.) fallen zu. "Wahrscheinlich ein epileptischer Anfall. Nachschlafphase", erklärt Dunja Geier. Die Patientin ist bewusstlos, doch ihre Vitalwerte sind in Ordnung, zeigt das EKG an. Das kleine Gerät leistet in dieser Nacht oft hilfreiche Dienste, denn es misst Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung des Bluts und kann bei Bedarf sogar ein EKG schreiben.
Junge Frau muss ins Krankenhaus
Tamaras Unterarme sind übersät mit dünnen, roten Narben. "Borderlinerin?", fragt Dunja Geier, der Freund bejaht. In psychotherapeutischer Behandlung sei die junge Frau, die Epilepsie scheint noch nicht diagnostiziert, obwohl sie kurz zuvor schon mal einen Anfall hatte. Die Notfallsanitäterin legt ihr einen Venenzugang, nimmt Blut für die Laboruntersuchung ab, verabreicht eine Infusionslösung. Dunja Geier entscheidet, die Patientin ins Elisabethenkrankenhaus (EK) zu bringen – auch, weil sie nicht ausschließen kann, dass die junge Frau nicht irgendetwas eingenommen hat.
Schwerstarbeit für Rettungswagen-Team
Die bewusstlose Patientin in den Rettungswagen zu bringen ist Schwerstarbeit. Dass Dunja Geier, klein und schmal von Statur, die gut 75 Kilo schwere Frau allein mit Hilfe ihres Rettungsassistenten schleppen kann, scheint unrealistisch. Fachmännisch hieven beide Tamara vom Bett auf das Slingtuch. Zu viert bugsieren wir sie durchs enge Treppenhaus hinunter, wo Volker Geier vor der Haustür schon die Trage deponiert hat. Der Rest ist Routine. Vier Gurte sichern die Patientin, die im Bauch des Rettungswagens verschwindet. "Tamara, ich geh Dir ans Ohr, nicht erschrecken", erklärt Dunja Geier drinnen der nach wie vor bewusstlosen Frau, bevor sie ihre Körpertemperatur misst.
Minutiös wird dokumentiert
Sie redet die ganze Zeit mit ihr, auch wenn sie vermutlich nichts mitbekommt. Dann schnappt sie sich das medizinische Tablet, trägt ins Notfallprotokoll alle Beobachtungen und gemessenen Werte ein. Hier ist minutiös dokumentiert, wann der Notruf einging, der Rettungswagen ausrückte und die Patientin in der Klinik übergeben wird. Noch bevor der RTW in der Klinik ist, überträgt Dunja Geier die Daten an die Aufnahmestation. Exakt eine Stunde nach der Alarmierung fährt der Rettungswagen zurück auf die Wache.
Tamara war die zweite Patientin in dieser Nachtschicht von Freitag auf Samstag. Zwölf Stunden am Stück sind zwei Rettungswagen und ein Mehrzweckfahrzeug in der Ravensburger Wache ab 19 Uhr im Dienst, jede Nacht, 365 Tage im Jahr. Eine weitere Besatzung fährt bis Mitternacht noch Krankentransporte.
"Personell alles andere als üppig ausgestattet"
Dunja Geier hat eine Halbtagsstelle, fährt sieben bis acht Dienste pro Monat. In dieser Woche ist es schon die vierte Schicht. "Personell ist der Rettungsdienst derzeit alles andere als üppig ausgestattet", sagt Volker Geier, nicht nur Dunja Geiers Ehemann, sondern auch Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienst Bodensee-Oberschwaben gGmbH. Der betreibt im Bodenseekreis und im Landkreis Ravensburg 14 Rettungswachen und die Integrierte Leitstelle in Friedrichshafen und Ravensburg.

Beim ersten Einsatz rund eineinhalb Stunden nach Dienstbeginn alarmierte der Kollege vom Krankentransport die Leitstelle, weil seine Patientin nicht nur mit Krämpfen in den Beinen und Rückenschmerzen zu Hause saß, sondern auch noch mit einem Blutdruck von über 200. Ein Fall für die diensthabende Notärztin. Nach der ersten Diagnostik im Wohnzimmer ist klar, dass die 76-jährige Frau ins Krankenhaus muss.
Neue Rettungswache soll mehr Platz bieten
Um 22 Uhr gibt's Abendessen in der kleinen Küche der Rettungswache. Die ist für 30 Mitarbeiter ausgelegt, beschäftigt sind hier inzwischen 80. Nebenan haben die Bauarbeiten für die neue Wache begonnen, die endlich adäquat Platz schaffen soll. Bei der Zigarettenpause auf dem Hof erzählen die Kollegen von ihrer Leerfahrt. Ein besorgter Vater traf seinen 16-jährigen Sohn betrunken bei einem Fest und erkundigte sich beim Giftnotruf, was er tun könne. Nach deren Rechnung hatte der Filius nach sieben Bier binnen drei Stunden drei Promille intus, weshalb ihm geraten wurde, den Rettungsdienst zu verständigen. So schlecht ging es ihm dann doch nicht.

0.44 Uhr rückt RTW 1-83-1 erneut aus. Der als bewusstlos gemeldete Mann ist beim Eintreffen wieder bei Sinnen, aber kaum ansprechbar. Helfen lassen will sich der Mann nicht, um den sich seine Frau und zwei Männer sorgen. Dass er eine halbe Flasche Wodka intus hat, verrät er Dunja Geier erst im Rettungswagen. "Ich kann es nicht verantworten, jemanden in dem Zustand zu Hause zu lassen", erklärt sie ihr Handeln. Ob seine Angehörigen ihn noch in der Nacht wieder mitgenommen haben?
Kurze Pause vor dem nächsten Einsatz
Endlich ausruhen! Gegen 2 Uhr geht's in voller Montur ins Bett. Dunja und Volker Geier schlafen im Wohnwagen auf dem Hof der Rettungswache. Keine zwei Stunden später reißt uns der Piepser am Gürtel aus dem Dämmerschlaf. Im Laufschritt zum Wagen. Diesmal ohne Blaulicht fährt der Rettungswagen zu einer Tankstelle. Nach einer Massenschlägerei haben Polizeibeamte reihenweise junge Männer in die Wagen verfrachtet. Ein junger Mann humpelt. Dunja Geier schaut sich sein Fußgelenk im RTW an und fackelt nicht lange. Auch ihn bringen wir in die Notaufnahme. Hier treffen wir einmal mehr auf die Kollegen, die einen jungen Mann "geladen" haben, der ihnen das Auto vollgekotzt hat. Was fehlt ihm? "Zustand nach Alter", sagt Simon lakonisch. Volltrunken.
Zahlen zur Notfallrettung im Bodenseekreis und im Kreis Ravensburg:
- 25 Rettungswagen sind im Bodenseekreis und Landkreis Ravensburg unterwegs
- 450 Mitarbeiter hat der DRK-Rettungsdienst Bodensee-Oberschwaben
- 104.495 Rettungseinsätze wurden im Jahr 2017 geleistet
Rettungsdienst
Im Bodenseekreis und im Landkreis Ravensburg ist der DRK-Rettungsdienst Bodensee-Oberschwaben gGmbH für die Notfallrettung zuständig. Die gemeinnützige GmbH betreibt 14 Rettungswachen in Ravensburg, Wilhelmsdorf, Überlingen, Salem, Friedrichshafen, Markdorf, Tettnang, Kressbronn, Wangen, Isny, Leutkirch, Bad Waldsee, Bad Wurzach und Altshausen. Die hier stationierten Fahrzeuge werden von der Integrierten Leitstelle Friedrichshafen/Ravensburg in den Einsatz geschickt. Die Rettungswagen brauchen im Schnitt 8,29 Minuten bis zum Notfallort. (kck)