"Fragt bei uns heute ein Kunde eine Dachsanierung an, können wir nicht vor Oktober damit beginnen", sagt beispielsweise Oliver Hoffmann. Jahrelang, so der Inhaber des gleichnamigen Zimmerei-Betriebs in Friedrichshafen, sei die Konjunktur im Baugewerbe nicht besonders gut gewesen. Betriebe haben geschlossen, auch weil sie keine Nachfolger gefunden haben. So kommen heute weniger Fachbetriebe und Facharbeiter auf eine zunehmende Anzahl von Baustellen.
Dass es im Baugewerbe im Moment aufgrund der Niedrigzinssituation und der Förderungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Bestandsimmobilien brummt, weiß Georg Beetz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft im Bodenseekreis. Eine weitere Ursache für den Engpass im Handwerk sieht Beetz aber auch in der Bildungspolitik begründet. "Jahrelang war man der Meinung, es brauche mehr Akademiker", sagt er. Derweil sei vergessen worden, Menschen nach ihren Talenten auszubilden.

Dabei wäre vielleicht mancher in einem Lehrberuf glücklicher als an einer Universität, wie die hohe Zahl an Studienabbrechern vermuten lässt. Zwar ist die Zahl der Auszubildenden im Handwerk derzeit stabil, doch bei Maurern, Malern und Stuckateuren fehlen die Bewerber. Selbst da, wo das Image noch einigermaßen stimmt, gibt es Probleme. Meist bewerben sich so wenige Interessenten, dass der Betrieb keine Auswahl hat. "Die Qualität der Bewerber nimmt immer weiter ab", klagt deshalb Tobias Plümer. Es fehle durchweg an mathematischen Grundkenntnissen und selbst an einfachsten Umgangsformen. "Wir werden vom Ausbilder zunehmend zum Erzieher", sagt der Zimmermann aus Eriskirch.
Und das koste Zeit und damit Geld. Plümer fordert: "Wir müssen daran arbeiten, dass nicht jeder studiert." Dieser Forderung schließen sich während eines Presserundgangs während der IBO-Messe in Friedrichshafen alle ausstellenden Handwerker an. Jeder, der etwas auf dem Kasten habe, gehe lieber in die Industrie als auf den Bau und glaube sich dort besser aufgehoben, heißt es. Es sei eben bequemer, so die einhellige Meinung. Am Verdienst alleine kann es nicht liegen. Ein Maurerlehrling im dritten Lehrjahr verdient 1300 bis 1400 Euro im Monat, sagt Beetz. Und Fortbildungsmöglichkeiten stehen auch zur Verfügung. So gebe es zum Beispiel ein duales Studium "Bauingenieur mit Fachrichtung Holzbau" und ein Gesellenbrief könne durchaus auch ein gutes Sprungbrett sein.

"Es gibt inzwischen viel zu viele Menschen, die ausrechnen können, dass es zu langsam geht, und zu wenige, die Stiefel anziehen, einen Spaten in die Hand nehmen und es machen", sagt Dietmar Bertsche. Der Seniorchef von Bertsche-Bau aus Salem weiß, wovon er spricht. Die Firma verlegt Glasfaserkabel für den Netzausbau und ist in den Augen vieler zu langsam. Doch er hat kein Personal und würde gerne mehr Fachkräfte anstellen.
Auch Ofenbauermeister Rainer Schmid, Firma Schmiga, kommt im Moment mit der Arbeit nicht hinterher. Das Bundesimmissionsschutzgesetz führe zu verstärktem Einbau von Partikelfiltern oder Gerätetausch. Wer im letzten Jahr geschlafen habe, der komme jetzt gerannt. "Das bekommen wir zwangsläufig zu spüren", sagt Schmid. Georg Beetz meint: "Wir brauchen unbedingt wieder mehr Verständnis füreinander."
In Zahlen
- Im Bodenseekreis sind derzeit 2600 Handwerksbetriebe mit 12 500 Beschäftigten und 800 Auszubildenden tätig.
- Der Anteil der Abiturienten stieg laut statistischem Landesamt in Baden-Württemberg von 18,5 Prozent im Jahr 1980 auf 42,3 Prozent im Jahr 2016. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Studienanfänger im 1. Semester von 23 697 auf 64 404.
- Lag die Anzahl der Auszubildenden im Maurerhandwerk deutschlandweit 1999 noch bei 26 500, so schrumpfte sie bis 2016 auf 7842. Im selben Jahr haben 510 900 Menschen in Deutschland eine Handwerkerlehre begonnen, so wenige wie noch nie. (abe)