Wochenlang gab es im Bodenseekreis nur wenige Corona-Fälle und kaum Neuinfektionen, doch das könnte sich nun innerhalb der nächsten Tage schlagartig ändern. Aktuell gibt es 13 Fälle, 33 Menschen sind in behördlich angeordneter Quarantäne. Offenbar gab es in den vergangenen Tagen zwei Superspreader-Event, also Ereignisse, bei dem sich etliche Erwachsene und Kinder angesteckt haben, die das Sars2-Virus wiederum in Häfler Schulen, aber auch in Betriebe getragen haben könnten.
Bei einer spontan eingeräumten Pressekonferenz im Friedrichshafener Rathaus am Freitagmittag gab Bernhard Kiß, Leiter des Gesundheitsamtes Bodenseekreis, die Details bekannt.
Was ist passiert?
Am Mittwoch, 15. Juli, wurden dem Gesundheitsamt drei positiv getestete Fälle gemeldet. „Dabei hat sich ergeben, dass die Infektionen vermutlich von einer privaten Feier ausgingen“, teilt das Landratsamt auf SÜDKURIER-Nachfrage mit. Bei der Feier waren offenbar auch Covid-19-kranke Reiserückkehrer aus Risikogebieten vom Balkan.
Das Gesundheitsamt hat daraufhin Quarantänen erlassen und versucht, alle Kontaktpersonen der Infizierten ausfindig zu machen. „Alle Kontaktpersonen wurden vom Gesundheitsamt aufgefordert, sich testen zu lassen. Die Testergebnisse lagen am Donnerstag, 16. Juli, vor und haben weitere positive Ergebnisse erbracht“, so das Landratsamt. Ob diese Personen weitere Menschen, beispielsweise bei der Arbeit in Häfler Betrieben angesteckt haben könnten, ist dem SÜDKURIER bisher nicht bekannt. Das Gesundheitsamt äußert sich aus Datenschutzgründen nicht näher zu den Fällen.
Wie kam das Virus in die Schulen?
Am Donnerstag, 16. Juli, habe sich laut Gesundheitsamt bereits ein Mädchen aus einem Haushalt einer positiv getesteten Person unwohl gefühlt, blieb konsequenterweise auch von der Schule fern, ging dann aber am selben Nachmittag auf einen Kindergeburtstag. In der Folge wurden weitere Kinder infiziert“, teilt das Landratsamt mit.
Am selben Tag noch haben die Ärzte des Gesundheitsamts bis Mitternacht weitere Kontaktpersonen ermittelt, die ebenfalls aufgefordert wurden, sich testen zu lassen. Mittlerweile sind fünf Schülerinnen und Schüler aus insgesamt sechs Schulen in Friedrichshafen betroffen. „Wir rechnen damit, sich über 200 Schüler und Lehrer infiziert haben könnten“, so Kiß vom Gesundheitsamt.
Welche Schüler sind betroffen?
Bei den Schülerinnen handelt es sich um zwei Siebtklässler der Gemeinschaftsschule Graf Soden, eine Neuntklässlerin der Droste-Hülshoff-Schule, eine Neuntklässlerin der Pestalozzi-Schule sowie um eine Schülerin der Kursstufe 1 des Graf-Zeppelin-Gymnasiums (GZG) und eine Schülerin der 1. Kursstufe der Hugo-Eckener-Schule.
Weiterhin gibt es laut Gesundheitsamt zwei bestätigte Corona-Fälle in den Familien der Schülerinnen. „Gesundheitlich geht es den Infizierten momentan recht gut. Einige haben gar keine Symptome, andere haben leichte Beschwerden“, berichtet Kiß.
Wie schätzt das Gesundheitsamt die Gefahr ein?
„Es ist unglaublich, wie verantwortungslos Eltern und Jugendliche gehandelt haben“, so Kiß. „Ich hätte unseren Leuten gerne etwas Zeit zum Durchatmen gelassen. Jetzt gilt es aber, die Infektionsketten so schnell wie möglich zu unterbrechen“, so Landrat Lothar Wölfle.
Das Gesundheitsamt hat deshalb mit niedergelassenen Ärzten dafür gesorgt, dass über das Wochenende weitere Tests gemacht werden können. Kiß rechnet mit weiteren Fällen. Zum Hintergrund: Sollte es im Landkreis Bodenseekreis binnen sieben Tagen mehr als 100 Neuinfektionen geben, könnte es erneut zu einem Lockdown kommen.
Was geschieht nun an den Schulen?
Alle Schüler und Lehrer, die Kontakt mit den Infizierten hatten, wurden laut Kiß im Laufe des Freitags benachrichtigt: „Wir haben ein Informationsschreiben verschickt. Dort steht beschrieben, wie sich die Schüler und Lehrer nun verhalten sollen. Wir empfehlen dringend, dass sich die Betroffenen testen lassen.“ Um das Risiko der Ansteckungsgefahr zu minimieren, hat das Gesundheitsamt mit den Schulen verschiedene Maßnahmen ausgearbeitet. „Hier müssen wir unterscheiden, denn die Situation ist in jeder Schule eine andere“, so Kiß.
Wie ist die Situation am GZG?
Die Schüler der Kursstufe 1 des GZG sind bereits am Freitag nicht zur Schule gekommen, da es dort Kontakte mit der Infizierten gab. Das heißt: Das Mädchen ging weiter zur Schule – und saß mit ihren Mitschülern über mehrere Stunden in einem Raum. Weil es zwischen dem GZG und dem Karl-Maybach-Gymnasium (KMG) eine Kooperation in der 1. Kursstufe gibt, sind auch die betroffenen Schüler des KMG am Freitag zuhause geblieben.
Schulleiter Christoph Felder betont aber, dass es aktuell keine Verdachtsfälle gibt. „Wir können bis jetzt froh sein und hoffen, dass es so bleibt.“ Die betroffenen Schüler vom GZG und KMG und die Lehrer können sich nun auf freiwilliger Basis testen lassen. Die Schulleitung des GZG hat am Freitagnachmittag beschlossen, sich an die Empfehlungen des Gesundheitsamtes zu halten und die Schüler bis zu den Sommerferien von Zuhause aus zu unterrichten. Alle Schüler der Klassen fünf bis zehn haben weiter wie geplant Präsenzunterricht, so Schulleiter Axel Ferdinand. Auch das mündliche Deutsch-Abi soll wie geplant am Montag stattfinden.
Wie ist es an der Hugo-Eckener-Schule?
Auch die betroffenen Schüler der Hugo-Eckener-Schule sind am Freitag nicht zum Unterricht erschienen. „Alle, die Kontakt zur infizierten Schülerin hatten, wurden noch am Donnerstagabend direkt per Mail informiert“, sagt Schulleiterin Sabine Harsch. „Wir haben Glück, dass die Wege mittlerweile kurz sind.“ Bis zu den Sommerferien sollen die Schüler der Kursstufe 1 digital unterrichtet werden.

Wie läuft es an der Gemeinschaftsschule Graf Soden und Droste-Hülshoff-Schule?
Normal geht der Unterricht stattdessen an der Gemeinschaftsschule Graf Soden weiter. Denn die zwei infizierten Schülerinnen der 7. Klasse waren in den vergangenen 14 Tagen nicht in der Schule und hatten somit auch keinen Kontakt zu ihren Mitschülern. „Wir haben unsere 7. Klasse in zwei Gruppen eingeteilt, die sich mit dem Präsenzunterricht an der Schule abwechseln“, erklärt Schulleiterin Iris Engelmann. Auch an der Droste-Hülshoff-Schule gab es keinen Kontakt der Infizierten mit den Mitschülern.
Und an der Pestalozzi-Schule?
Wie Wolfgang Schüssler, Leiter der Pestalozzi-Schule, bei der Pressekonferenz erklärte, blieben die 20 Schüler und fünf Lehrer der 9. Klasse am Freitag vorsorglich zuhause. Ob der Unterricht ab Montag wieder regulär stattfindet, werde in den kommenden Tagen beraten.
Was sagen die Schüler?
Wie ein Schüler der zweiten Kursstufe heute Mittag auf dem Schulhof erzählte, hatte sich der Corona-Fall an der eigenen Schule bereits gestern Abend über die sozialen Netzwerke wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Schüler der Kursstufen stecken in den Vorbereitungen für die mündlichen Prüfungen.
Ein Schüler aus Kursstufe 1, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, erzählt gegenüber dem SÜDKURIER: „Wir haben den ganzen Vormittag nicht gewusst, was wir machen sollen.“ Noch in dieser Woche saß er mit der infizierten Mitschülerin in einem Klassenzimmer. Seine Eltern, beide in Präsenzberufen tätig, haben sich am Freitag vorsorglich von der Arbeit abgemeldet und Urlaub genommen. „Natürlich lasse ich mich jetzt testen“, sagt der Schüler, „aber ich wundere mich schon darüber, warum niemand gemerkt hat, dass meine Mitschülerin mit den bereits als infiziert getesteten Schülern zusammen war.“
Sind andere Schulen betroffen?
Bisher nein. Allerdings gibt es auch an anderen Schulen immer wieder Verdachtsfälle, derzeit an der Schreienesch-Schule, der Grundschule Fischbach und der Bodenseeschule.
Welche Rolle spielen Reiserrückkehrer?
„Im Moment sind Reiserückkehrer die Infektionsquelle Nummer eins, bei allen Fällen im Kreis. Besonders betroffen sind Reisende, die aus Länder wie Serbien, Kosovo und Nordmazedonien zurückkommen“, erklärt Kiß. So war es auch bei der Feier, die nun zu hunderten neuen Fällen führen könnten.