In zwei Wochen ist das Schuljahr vorbei. Während alles schon über den Neustart im September und die dann geltenden Regeln spricht, ist das zweite, durch die Corona-Pandemie verkorkste Halbjahr noch nicht einmal abgeschlossen. Das endet trotz allem – wie immer – mit dem Zeugnis. Doch was für eins wird das sein?

Keiner bleibt sitzen

Eins steht fest: Kein Schüler bleibt sitzen. Selbst wenn die Noten noch so schlecht sind, bekommt jeder die Versetzung am Ende attestiert, hat das Kultusministerium verfügt. Allerdings können Schüler das Jahr freiwillig wiederholen.

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Trotzdem soll es auch in diesem Jahr Zeugnisse geben. Doch wie sollen Lehrer Noten geben für das zweite Schulhalbjahr, wenn kaum Leistungstests geschrieben wurden? Denn der monatelange Fernunterricht durfte nicht benotet werden. So lautete die Vorgabe des Ministeriums.

Keine Mindestanzahl von Klassenarbeiten

Selbst nach der Rückkehr in die Klassenzimmer sollten Tests keine Priorität haben. Die Folge: Die sonst geforderte Mindestanzahl von Klassenarbeiten und Klausuren war dieses Jahr nicht zu schaffen. Ganz abgesehen davon, dass im zweiten Halbjahr in den meisten Klassen nur die Hauptfächer auf dem Programm standen. Deshalb legt die „Corona-Pandemie-Prüfungsverordnung“ in Baden-Württemberg fest, dass diese Anzahl der Arbeiten unterschritten werden darf.

„Uns ist sehr bewusst, dass in die Noten oder Berichte in diesem Schuljahr deutlich weniger Leistungen einfließen, als dies in den vergangenen Schuljahren der Fall war. Die schlechteste Losung ware aus unserer Sicht aber, wegen dieser sehr nachvollziehbaren Unsicherheit auf eine Leistungsbewertung ganzlich zu verzichten“, schrieb das Kultusministerium am 26. Juni an alle Schulleitungen.

Sogar keine Noten sind möglich

Mit anderen Worten: Wie viele Leistungstests oder Noten – ob für schriftliche, mündliche oder praktische Arbeiten – am Ende für die Zeugnisnote herangezogen wurden, das wird wohl von Schule zu Schule, ja von Klasse zu Klasse variieren.

Zwar heißt es vom Kultusministerium, dass bei der Notenbildung für die Jahreszeugnisse „alle Leistungen herangezogen werden, die während des ganzen Schuljahres erbracht wurden“, antwortet die Pressestelle auf Anfrage. Um sofort einzuräumen, dass es hier vor allem um die erbrachten Leistungen geht, die bis zum Lockdown Mitte März vorlagen – und die genau genommen schon mit dem Halbjahreszeugnis bewertet wurden. Läge nichts Brauchbares vor, könne am Schuljahresende „ausnahmsweise“ sogar „keine Note erteilt werden“, bestätigt die Pressestelle des Kultusministeriums.

Note fehlt? Das wird in diesem Jahr wohl auf vielen Zeugnissen der Fall sein. Laut Kultusministerium könne „ausnahmsweise“ ...
Note fehlt? Das wird in diesem Jahr wohl auf vielen Zeugnissen der Fall sein. Laut Kultusministerium könne „ausnahmsweise“ auch keine Note erteilt werden, wenn eine valide Beurteilung so nicht möglich ist. | Bild: Heiko Wolfraum

Wie geht man damit um? Für Svenia Bormuth, Rektorin der Realschule Ailingen, war die Vorgabe klar. „Klassenarbeiten dürfen kein Denkzettel oder eine Abrechnung für einen möglichen Schlendrian der letzten Wochen und Monate sein“, sagt sie.

Wenige Testnoten müssen für Gesamtnote am Jahresende reichen

Interessanterweise hätten viele Schüler aber einen schriftlichen Leistungsnachweis eingefordert. Wenn ihre Kollegen Tests geschrieben haben, dann aber „mit Augenmaß der Situation angepasst“, so Svenia Bormuth. Dann sei der Stoff vorher im Präsenzunterricht ausreichend wiederholt und die Arbeit rechtzeitig angekündigt worden.

Aber auch die Rektorin der Realschule Ailingen räumt ein, dass ein oder zwei Testnoten im zweiten Halbjahr teilweise reichen müssen für die Fachnote am Jahresende. Ist das gerecht? „Puhh“, gibt die Schulleiterin zu, „das ist schwer zu bemessen.“

Zeugnis schreiben ohne ausreichend Noten

Noch schwieriger wird das Ganze an den Gymnasien, vor allem für die Abschlussklassen. Die Abiturienten hatten mit dem Lockdown ohnehin eine alles andere als optimale Vorbereitung auf die Prüfungen. „Die Struktur hat gefehlt, die Orientierung an ihrer Peergroup. Das wirkt sich massiv auf die schulischen Leistungen aus“, hat Hermann Schlenker beobachtet. Er ist Schulleiter des Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums der Bodenseeschule.

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Welche Noten am Ende herauskommen, sei für viele Schüler zudem eine Ratespiel geworden – und für Lehrer keine einfache Aufgabe. „Wir haben in der Oberstufe das Kurssystem. Da können wir auf die Noten des ersten Halbjahres nicht zurückgreifen“, erklärt der Schulleiter. Durchschnittsnoten lassen sich also nicht bilden.

Zusätzlich hatte das Ministerium in den Klassen, die in diesem Jahr das Abitur schreiben, nur kurze Wiederholungsarbeiten zugelassen. „Es war ausdrücklich nicht gewollt, jetzt noch Tests um der Tests willen kurzfristig nachzuholen“, erklärt der Ministeriumssprecher.

Der Schulleiter des Gymnasiums, Hermann Schlenker (rechts) weiß in seiner Kritik die Leitung des Bildungszentrums hinter sich: Rektorin ...
Der Schulleiter des Gymnasiums, Hermann Schlenker (rechts) weiß in seiner Kritik die Leitung des Bildungszentrums hinter sich: Rektorin und Bildungszentrumleiterin Isabella Emhardt und Steffen Artmeier, Konrektor Grundschule. | Bild: Cuko, Katy

Warum man doch Tests schreiben musste

Doch den Gymnasien, egal ob allgemeinbildenden oder beruflichen, blieb gar nichts anderes übrig. Durch den Lockdown gab es Fächer, in denen nicht ein schriftlicher Leistungsnachweis vorlag, als die Schule wieder startete. „Wo ich keine Note habe, muss ich als Lehrer was machen, also Kurztests, Hausarbeiten oder ähnliches“, erklärt Hermann Schlenker. Wie Lehrer so zu validen Noten kommen sollen, wie es das Ministerium fordert, bleibt für den Schulleiter fraglich.

Doppelter Stress für Nachprüflinge

Zusätzlich schwierig wurde das für jene Abiturienten, die die Nachprüfungstermine gewählt hatten, was in diesem Jahr für alle möglich war. „Den Schülern war nicht klar, dass sie zwar vier Wochen mehr Zeit für die Prüfungsvorbereitung hatten, aber durch Fachunterricht und Tests eine Doppelbelastung.“

Laut Ministerium hätten diese Schüler „nicht dazu verpflichtet werden können, am Unterricht teilzunehmen oder eine schriftliche Wiederholungsarbeit zu schreiben“. Trotzdem fordert die Kultusverwaltung, dass in der gymnasialen Oberstufe „alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um zum Beispiel über geeignete Feststellungsprüfungen zu einer Note zu gelangen“. Hermann Schlenker: „Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz.“

Auch darauf müssen die Schulabsolventen in diesem Jahr verzichten: Abi- und Abschlussfeiern – wie hier der 2018er Jahrgang am ...
Auch darauf müssen die Schulabsolventen in diesem Jahr verzichten: Abi- und Abschlussfeiern – wie hier der 2018er Jahrgang am – KMG finden, wenn überhaupt, nur in kleinem Rahmen statt, ohne Familien und Freunde. | Bild: KMG

Bonus für Realschüler

Während die Abinote im Corona-Jahr also gebildet wird wie immer, schließen wenigstens die Realschüler die Mittlere Reife mit einem Bonus ab. Die Kompetenzprüfung fällt ersatzlos weg. Stattdessen darf jeder Schüler ein Fach wählen, dessen Note doppelt gewertet wird und so den Schnitt anhebt. „Etwas Besseres konnte unseren Schülern nicht passieren“, freut sich Svenia Bormuth über die Entscheidung. Denn diese Prüfung sorgte in den letzten Jahren selten für eine Verbesserung auf dem Zeugnis.

In diesem Jahr reicht eine Note 1 in Sport, Kunst oder Religion, um am Ende ein bisschen besser abzuschneiden. Aber auch die Realschüler kriegen – wie die Abiturienten dieses Jahrgangs – den Corona-Stempel aufgedrückt. Die Folgen dessen sind noch nicht ausgemacht.