Bis zu einem gewissen Punkt ähneln sich die Angaben von Angeklagtem und Opfer: Nachdem er mit Freunden in einer Bar in Friedrichshafen feiern war, betritt er in betrunkenem Zustand frühmorgens ein Haus unweit des Hafens. Dort will er sexuelle Dienste von einer der dort wohnenden Prostituierten in Anspruch zu nehmen. Der Angeklagte klopft an mehrere Türen, bis ihm das Opfer öffnet. Sie ist gerade dabei, das Haus zu verlassen, um zum Bahnhof zu gehen. Er will sie jedoch nicht hinauslassen, stattdessen Geschlechtsverkehr mit ihr. Was danach geschieht, das versucht Richterin Heike Jakob am Amtsgericht Tettnang am Dienstag zu rekonstruieren.

Der Angeklagte sagt, es kam nie zum Geschlechtsverkehr

Dem 24-Jährigen wird Vergewaltigung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und vorsätzlicher Körperverletzung vorgeworfen. Er soll das Opfer gegen dessen Willen in die Wohnung zurückgedrängt und geschlagen haben, bis dieses sich aus Angst bereit erklärte, mit dem Angeklagten Analverkehr zu haben. Außerdem soll er sie um 100 Euro erpresst haben.

Der Angeklagte sitzt neben seinem Verteidiger Hubert Mangold (hinten) und seinem Dolmetscher.
Der Angeklagte sitzt neben seinem Verteidiger Hubert Mangold (hinten) und seinem Dolmetscher. | Bild: Marvin Nagel

Der Angeklagte selbst erzählt jedoch eine gänzlich andere Version. Ja, er habe mit ihr an der Tür diskutiert und sie – ohne handgreiflich zu werden – dazu überredet, wieder in die Wohnung hineinzugehen. Er habe dann 70 Euro für die sexuellen Dienste im Voraus gezahlt, woraufhin die Frau sich kurz ins Badezimmer zurückzog. Als sie wieder hinauskam, habe er anhand ihrer erkennbaren Hoden erkannt, dass es sich um eine transsexuelle Person handelt. Entsetzt habe er dann das Geld wieder an sich genommen und das Zimmer verlassen. Denn niemals könne er Sex mit einer Person mit Penis haben.

Nach der Aussage des Opfers bleiben offene Fragen

Als erste Zeugin spricht das Opfer selbst. Der stark betrunkene Angeklagte habe sie aggressiv zurück in die Wohnung gezogen, obwohl sie ihm deutlich erklärt habe, dass sie heute keine sexuellen Dienste mehr anbiete und sie gehen müsse, sagt sie. Immer wieder habe er sie geschlagen, bis sie sich gefügt habe. Sie ist sich sicher, dass ihre Transsexualität dem Angeklagten aufgefallen sei und er daran keinen Anstoß genommen habe. Während des Geschlechtsverkehrs im Badezimmer habe er sie aufgefordert, ihr 100 Euro zu geben. Dabei habe er sie weiter geschlagen, weswegen sie mehrmals gestürzt sei. Sie vermutet, das sei auch der Grund gewesen, warum er nach einiger Zeit von ihr abließ. Der Angeklagte selbst schüttelt währenddessen den Kopf, mehrmals muss er sich Tränen aus dem Gesicht wischen.

Der Angeklagte sitzt seit seiner Festnahme kurz nach der Tat in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg in Untersuchungshaft.
Der Angeklagte sitzt seit seiner Festnahme kurz nach der Tat in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg in Untersuchungshaft. | Bild: Marvin Nagel

Richterin Jakob stört sich an der Einsilbigkeit bei den Aussagen der Frau. Oft muss sie nachhaken, da die Frau nur ungenau oder am Thema vorbei auf ihre Fragen antwortet. Allein die Frage, ob der Angeklagte das beim Geschlechtsverkehr benutzte Kondom sich selbst übergezogen habe, nimmt mehrere Minuten in Anspruch. „Helfen sie mir ein wenig, geben sie mir Details, ich versuche die Situation zu verstehen“, fordert die Richterin.

Trotz der langen Befragung der Frau bleiben manche Punkte ungeklärt. So gibt sie zu Beginn an, dem Angeklagten Monate vor der Tat schon zufällig am Bahnhof begegnet zu sein. Später erinnert sie sich, er habe bereits am Tag vor der Tat versucht, zu ihrer Nachbarin zu gelangen, was sie über die Überwachungskamera des Gebäudes gesehen habe. Ebenfalls sagt sie, die Polizei habe bei ihrer Befragung kurz nach der Tat Fotos von ihrem Gesäß gemacht – obwohl nur Bilder von ihren Verletzungen im Gesicht existieren. Das benutzte Kondom, ein mögliches Beweismittel, soll im Müll gelandet sein, sagt die Frau.

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Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen nur, was im Flur passiert ist

Licht ins Dunkel soll eine Polizeibeamtin aus Ravensburg bringen, die bei der Vernehmung der Frau dabei war. Zwar habe die damals Fotos von ihrem Unterleib und eine gynäkologische Untersuchung abgelehnt – die Polizistin sieht aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Frau lüge, ihre Version der Geschehnisse sei in sich stimmig.

Zumindest Teile der körperlichen Auseinandersetzung lassen sich zweifelsfrei belegen. Die Aufnahmen der Überwachungskamera, die den Flur vor der Wohnung der Frau zeigen, werden im Gerichtssaal abgespielt. Darauf ist zu erkennen, wie der Angeklagte die Frau in ihre Wohnung zurückdrängt und sie dann daran hindert, diese zu verlassen. Der Mann äußert sich danach selbst: „Ich war so betrunken. Aber ich schwöre auf mein Leben und meine Mutter, ich habe diese Frau nicht geschlagen. Nachdem ich gesehen habe, dass sie einen Penis hat, bin ich gegangen, ich habe sie nicht vergewaltigt.“

Vergewaltigung kann nicht nachgewiesen werden, trotzdem gibt es eine Haftstrafe

Widerlegen lässt sich das nicht – was auch Richterin Jakob in ihrer Urteilsbegründung anführt. Der Angeklagte wird wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt. „Wir sind nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Vergewaltigung nachgewiesen werden konnte“, erklärt die Richterin. Zu viel am Tathergang sei nicht nachvollziehbar, das Opfer habe keine Details nennen können, weswegen viele Fragen offen geblieben seien. Mit dem Urteil bleibt das Gericht deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von zwei Jahren und sechs Monaten.

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Dass die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werde, wie von der Verteidigung gefordert, liege auch an der kriminellen Vorgeschichte des Angeklagten, führt die Richterin aus. 2019 kam der Mann aus Guinea nach Deutschland, seitdem kam es zu neun Einträgen in sein Vorstrafenregister. Darunter fallen Delikte wie Körperverletzung und Exhibitionismus, oft im Zusammenhang mit Alkohol. Diesem möchte der Angeklagte jetzt abschwören: „Ich werde nie wieder trinken“, erklärt er vor dem Urteilsspruch.