Noch umgibt den 31-Jährigen eine fast jungenhafte Ausstrahlung, aber man wird Nikolaus Henseler nicht mehr gerecht, wenn man ihn als musikalisches Talent beschreiben wollte. Zu sehr hat er schon seit etlichen Jahren seine Laufbahn als Dirigent, Pianist und Hochschullehrer mit Erfolg und Können vorangetrieben. Soeben wurde er vom Theater Ulm auf seine erste Chefposition berufen. Und im Oktober 2022 ist er Finalist für den Deutschen Chordirigentenpreis.

Geboren in Friedrichshafen und aufgewachsen in einer sehr musikaffinen Daisendorfer Familie, war sein Weg in ein Berufsleben für die Musik seit frühester Kindheit vorgezeichnet. „Als Vierjähriger“, so erinnert er sich im Gespräch, „stellte ich mich auf eine umgedrehte Spielzeugkiste und dirigierte mit meinem Taktstock, den ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte, die 6. Symphonie von Beethoven zur CD.“ Sehr früh setzte auch Geigen- und Klavierunterricht ein.

Schon mit 16 das Abitur in der Tasche

Nach vorzeitiger Einschulung und übersprungener Klasse schaffte der 16-Jährige das Abitur. Zuvor hatte er bereits bei den Berliner Philharmonikern den Pultstars Mariss Jansons und Simon Rattle über die Schultern geschaut. Der erste Hochschulabschluss im Jahr 2012 galt dann aber nicht der Musik, sondern zunächst den Fächern Philosophie und Germanistik. Bis heute ist ihm die Philosophie wichtig geblieben: Neben der Freude am gründlichen Denken „sind die Methoden der Logik und der Analyse in der Philosophie für mich bei der Auseinandersetzung mit Partituren von unschätzbarem Wert“.

Zu Person und Terminen

Studium an der Musikhochschule Trossingen

Anschließend studierte Henseler an der Musikhochschule Trossingen Klavier und bei Michael Alber Dirigieren. Am selben Ort hat er seit 2019 einen Lehrauftrag im Fach Dirigieren. Schon 2017 sprang er auf seine erste Profistelle als Assistent des Chordirektors Tilman Michael und als Leiter des Kinderchores der Oper Frankfurt, wo er in kürzester Zeit die Aufführung von 25 Opern zu betreuen hatte. Im Jahr darauf sah man ihn als Assistent von Marcus Creed beim SWR-Vokalensemble Stuttgart, es folgte eine Hospitanz bei Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin. Die Pandemiezeit überbrückte er als Klavierpartner von Gesangssolisten, aber auch als Assistent von Sylvain Cambreling sowohl bei der Ruhrtriennale 2021 mit dem Ensemble Modern als auch bei den Donaueschinger Musiktagen mit den SWR-Klangkörpern und dem Chor-Werk Ruhr.

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Im laufenden Jahr nun gelang Henseler ein bedeutender Karrieresprung auf eine erste Chefposition. Das Theater Ulm, ein Dreispartenhaus mit Oper, Schauspiel und Ballett, verpflichte ihn ab der Spielzeit 22/23 als Chordirektor und Kapellmeister. Diese Doppelaufgabe kommt ihm wie gerufen, weil sie Chor- und Orchesterarbeit verbindet. Denn auf die Frage, welchen der beiden Dirigierfeldern er sich in Zukunft besonders widmen wolle, sagt Henseler: „Unbedingt beiden!“

Der 31-jährige Nikolaus Henseler aus Friedrichshafen.
Der 31-jährige Nikolaus Henseler aus Friedrichshafen. | Bild: Ferenschild, Hartmut

Dabei gehe es ihm nicht etwa darum, in der Karriereplanung zwei Eisen im Feuer zu behalten. Vielmehr müsse man einem Chorleiter bei großen symphonischen Werken eben auch ein Orchester anvertrauen können; auch in der A-cappella-Musik sei dirigentische Klarheit unverzichtbar. Und umgekehrt sollte der Orchesterchef in Oper und Symphonik gesanglich dirigieren können.

Zu den Karrierebeschleunigern gehört auch Nikolaus Henselers Mitwirkung beim Forum Dirigieren des Deutschen Musikrates, einem Förderprogramm für den dirigentischen Spitzennachwuchs. Henseler hat in den vergangenen Jahren alle Wettbewerbsschritte gemeistert und steht nun im Oktober in Berlin mit zwei Mitbewerbern vor dem legendären Rias-Kammerchor im Auswahlkonzert für den Deutschen Chordirigentenpreis. Wer dort angekommen ist, dem stehen die Dirigentenpulte renommierter Profichöre offen. Mit der Bodenseeregion wird Henseler aber auch weiterhin verbunden bleiben, nicht nur durch das Daisendorfer Elternhaus, sondern durch gute Vernetzung mit der hiesigen Kulturszene, besonders aber durch seinen Kammerchor Camerata Serena, dem er seit zehn Jahren vorsteht.

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Wo sieht Henseler sich, wenn er zehn Jahre vorausblickt? Karrieren im öffentlichen Musikbetrieb seien nicht planbar, leitende Positionen seien nicht auf Dauer angelegt, sagt er. Der Wechsel zur nächsten Aufgabe nach gewonnenen Erfahrungen müsse immer auch einen künstlerischen Fortschritt bedeuten. Der 31-jährige Nikolaus Henseler wirkt nicht so, als ob er sich vor einem solchen Weg fürchtet.