129 neue Wohnungen für die Stadt, die dringend gebraucht werden, davon jede vierte mit Mietpreisbindung: Da sagt der Gemeinderat eigentlich nicht „Nein“. Doch genau das passierte jetzt im Bauausschuss (PBU) der Stadt Friedrichshafen. Die Planung von Betz und Weber Baupartner mit Sitz in Ravensburg sorgte dort sogar für so viel Empörung, dass der Projektleiter den Antrag für einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan zurückzog.

129 neue Wohnungen, Kindertagesstätte und Café

2018 kauft Betz und Weber das 9500 Quadratmeter große Telekom-Areal an der Müllerstraße. Die Idee: Aus dem Gewerbegrundstück sollte ein „urbanes Gebiet“ mit rund 120 Wohnungen, Kindertagesstätte und Café werden. Da die Telekom Nutzungsverträge über zehn bis 30 Jahre für zwei Gebäude hat, sollen diese stehen bleiben und aufgestockt werden. Der Plan geht aber nur auf, wenn die Stadt mitspielt und Baurecht schafft.

Mit diesem Entwurf wurde das Studio Hering aus Friedrichshafen Sieger im Architektenwettbewerb für die Überplanung des Telekom-Areals an ...
Mit diesem Entwurf wurde das Studio Hering aus Friedrichshafen Sieger im Architektenwettbewerb für die Überplanung des Telekom-Areals an der Müllerstraße. Nur will der Bauträger Betz und Weber so nicht bauen. | Bild: Studio Hering

Siegerentwurf im Architektenwettbewerb im November 2019 gekürt

Diese ist nicht abgeneigt, auch, weil laut Gemeinderatsbeschluss von 2019 ein Viertel der Wohnungen mit der Sozialquote belegt wird. Der Rest soll verkauft werden. Man einigte sich auf einen Architektenwettbewerb, der 2019 ausgeschrieben wurde, um eine gute Lösung für die Nachverdichtung des Areals zu finden. Fünf Büros reichten ihre Ideen ein. Die Jury – darunter sechs Gemeinderäte – kürte im November 2019 einstimmig den Sieger: das Studio Hering aus Friedrichshafen, das mit Abstand den besten Entwurf vorgelegt habe. Zweiter Sieger waren die Konstanzer Schaudt-Architekten.

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Kritik von Heinz Tautkus (SPD): Riegel-Bauten statt räumlicher Kreativität

Doch die Pläne für 129 Wohnungen, die Betz und Weber jetzt dem Ratsausschuss vorlegten, hatten mit diesem Siegerentwurf nicht mehr viel zu tun. „Hier wird versucht, Baurecht durchzusetzen, das nur dem Vorhabenträger Vorteile bringt“, schimpft Stadtrat Heinz Tautkus (SPD), der mit in der Jury des Architektenwettbewerbs saß. Der Siegerentwurf sieht ein Hochhaus mit vielen Wohnungen im nordwestlichen Eck vor, die restlichen Gebäude sind hier „räumlich kreativ“ aufgelockert platziert. Auch die jetztigen Pläne von Betz und Weber sehen das Hochhaus vor, doch bilden L-förmige Wohnblöcke ganze Riegel auf dem restlichen Grundstück, die monolithisch wirken, urteilt Tautkus, das „Urgestein“ im Bauausschuss der Stadt.

Bild 2: Bauausschuss bremst Bauträger Betz und Weber aus, der 129 Wohnungen an der Müllerstraße bauen will
Bild: Samuel Groesch
„Wir sind nicht gewillt, so etwas durchgehen zu lassen.“
Heinz Tautkus, SPD-Stadtrat und Mitglied im Bauausschuss

Schlappe wie in der Friedrichstraße soll vermieden werden

„Vollkommen daneben“ findet Heinz Tautkus daher die Aussage im PBU, der Bauherr habe das Beste aus den beiden Siegerentwürfen vereint. Das Grundstück würde mit diesem Entwurf „ausgemostet“. Und: „Wir sind nicht gewillt, so etwas durchgehen zu lassen.“ Der SPD-Stadtrat erklärt, er wolle solch eine Schlappe wie in der Friedrichstraße kein zweites Mal erleben. Auch die Firma Junker habe für das Schöllhorn-Areal nur den zweitbesten Entwurf bauen lassen und damit die Chance für einen großen Wurf an dieser prominenten Stelle vertan. Solche Wettbewerbe dürften nicht als Alibi benutzt werden, um dann doch anders zu bauen, sagt Heinz Tautkus.

Das Telekom-Areal ist am Turm zu erkennen, der am Rand des Grundstücks steht. Unten links sind die Grundstücke der ...
Das Telekom-Areal ist am Turm zu erkennen, der am Rand des Grundstücks steht. Unten links sind die Grundstücke der Postbau-Genossenschaft, die beide Wohnblöcke abreißen und vier Gebäude mit 91 Wohnungen bauen will. | Bild: Gerhard Plessing Flug und Bild

Kritik von Daniel Oberschelp (CDU): Gravierende Änderungen vor die Nase gesetzt

Genauso sauer ist Daniel Oberschelp (CDU), ebenfalls Jurymitglied beim Planwettbewerb für das Telekom-Areal. Dass der Bauträger hier so gravierende Änderungen am Siegerentwurf dem Gemeinderat einfach vor die Nase gesetzt hat, „stößt bitter auf“, sagt Oberschelp.

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Bild 4: Bauausschuss bremst Bauträger Betz und Weber aus, der 129 Wohnungen an der Müllerstraße bauen will
Bild: Archiv
„Ich halte das Vorgehen des Bauherren für fragwürdig.“
Daniel Oberschelp, CDU-Stadtrat und Mitglied im Bauausschuss

Eigentlich sei es Usus, dass man sich im Vorfeld über solche Eingriffe verständigt, wenigstens darüber informiert. „Das hat hier nicht stattgefunden“, sagt Oberschelp, der selbst Architekt ist. Aus dieser Perspektive hält er nicht zuletzt das Vorgehen des Bauherren für fragwürdig. Da sitze im Ausschuss der Vertreter eines Büros, das den Wettbewerb eben nicht gewonnen hat, und präsentiere einen Plan, der Elemente des Siegerentwurfs enthalte.

Das Hochhaus (rechts) war lediglich im Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs enthalten. Obwohl der Entwurf des Studios Hering (hier ...
Das Hochhaus (rechts) war lediglich im Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs enthalten. Obwohl der Entwurf des Studios Hering (hier von der Ostansicht) nicht gebaut wird, hat Bauträger Betz und Weber nun auch das Hochhaus im Plan. | Bild: Studio Hering

Architekt enttäuscht, dass er nicht mit weiterer Planung beauftragt wurde

Wie findet das der Architekt, der den Siegerentwurf eingereicht hatte? Markus Hering hält sich bedeckt. „Ich bin natürlich enttäuscht, dass wir nicht mit der weiteren Planung beauftragt worden sind“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Gespräche mit Betz und Weber Baupartner habe es nach dem Urteil der Jury gegeben, „aber die kamen nicht zu einem Ende.“ Was der Investor nun in der Müllerstraße bauen will, habe auch er mit den Ratsunterlagen zum ersten Mal gesehen.

Hering sieht grundlegende Elemente seiner Planung im neuen Entwurf

Hering bestätigt, teils grundlegende Elemente seiner Planung in diesem Entwurf entdeckt zu haben, so das Hochhaus und auch die Art der Aufstockung auf den beiden Bestandsgebäuden. Geraderücken möchte der Architekt zudem die Aussage, sein Büro habe nicht genügend Man-Power für solch ein Projekt. „Ich denke, wir haben dem Bauherren plausibel gemacht, dass wir das stemmen können“, sagt Markus Hering.

Die Postbau-Genossenschaft Tübingen hat mit ihrem Neubauprojekt in der Müllerstraße begonnen. In zwei Bauabschnitten sollen 91 Wohnungen ...
Die Postbau-Genossenschaft Tübingen hat mit ihrem Neubauprojekt in der Müllerstraße begonnen. In zwei Bauabschnitten sollen 91 Wohnungen entstehen. Die beiden alten Blöcke neben der Baustelle werden abgerissen, wenn die ersten beiden von vier neuen Gebäuden stehen. | Bild: Cuko, Katy

Bauträger will Gespräch mit Baubürgermeister abwarten

Fraglich ist nun, was Betz und Weber mit der Situation anfängt. Auf eine entsprechende Anfrage des SÜDKURIER schrieb Geschäftsführer Alexander Weber, dass er sich dazu erst nach einem Gespräch mit Baubürgermeister Stefan Köhler äußern möchte. Wohl nicht nur der Zeitplan – Baurecht bereits im März 2021 – kommt nun ins Wanken. Es warten noch andere Probleme. So hat die Tübinger Postbau-Genossenschaft ihr Wohnbauprojekt in der Müllerstraße begonnen. Zwei Grundstücke weiter baut sie vier neue Gebäude mit 91 Wohnungen – fast viermal so viele, wie heute dort stehen. In der Summe sind das 129 zusätzliche Wohnungen an der Müllerstraße.

Lösung für Verkehrsbelastung und Parkplätze gefragt

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Auch wenn beide Bauträger Tiefgaragen für so viele Wohnungen planen, werden Verkehrsbelastung und Parkdruck an der Müllerstraße ein weiteres Thema für den Gemeinderat sein, das ebenfalls einer Lösung bedarf.