Nach der jahrelangen und hitzigen Standort-Debatte ist seit drei Wochen klar: Der in Friedrichshafen stationierte Rettungshubschrauber zieht ins Deggenhausertal um. Wer „Christoph 45“ künftig betreibt, will das Land neu ausschreiben. Kurioserweise scheint nun genau das möglich, was das Innenministerium seit vielen Jahren strikt abgelehnt hat: den Bodensee-Helikopter mit einer Rettungswinde auszustatten.
„Darüber kann man sich austauschen, da spricht zunächst einmal nichts dagegen.“Winfried Klenk, Staatssekretär im Innenministerium, zur Frage, ob man am Bodensee eine Winde an Bord eines Rettungshubschraubers braucht
„Das hat witzigerweise bis zum heutigen Tag auch gar niemand gefordert. Aber wir sind da offen.“ Das sagte Winfried Klenk nach der Pressekonferenz, als er bekannt gegeben hatte, wo die Rettungshubschrauber künftig stationiert sein werden. Auf die Frage, ob man am Bodensee nicht auch eine Winde an Bord des Helikopters braucht, um die Luftrettung zu verbessern, erklärte der CDU-Staatssekretär im Innenministerium: „Darüber kann man sich austauschen, da spricht zunächst einmal nichts dagegen.“
Forderung seit vielen Jahren
Dabei gibt es diese Forderung seit vielen Jahren. So erklärte Innenminister Thomas Strobl (CDU) 2016 auf eine Landtags-Anfrage der FDP, dass Luftrettungseinsätze teuer seien. Ein in Baden-Württemberg stationierter Hubschrauber mit Seilwinde würde zusätzliche Personal- und Betriebskosten von 450.000 Euro pro Jahr verursachen, rechnete Strobl damals vor. „In der Vergangenheit wurde daher stets davon abgesehen, eine baden-württembergische Lösung zu priorisieren.“

Inzwischen gibt es aber einen im Land stationierten zivilen Helikopter, der mit Rettungswinde ausgestattet ist – im Schwarzwald. Seit Dezember 2019 fliegt „Christoph 54“ in Freiburg solche Einsätze, worüber die Bergwacht glücklich ist. Seit April dieses Jahres kann der Hubschrauber aber auch für Rettungen in Gewässern angefordert werden. Grundlage dafür ist ein gemeinsames Konzept, das mit der DLRG Breisgau und der Bergwacht Schwarzwald vereinbart ist und trainiert wird. Dabei seilt sich der Notarzt ab und nimmt die in Not geratene Person mithilfe einer speziellen Schlinge auf. Der Hubschrauber bringt dann beide an Land. Ein Konzept, das es für das größte Binnengewässer in Deutschland und „Christoph 45“ nicht gibt.
Polizei und Bundeswehr haben Winde an Bord
Neben dem Freiburger Hubschrauber – der trotz Empfehlung aus dem Luftrettungs-Gutachten nicht verlegt wird – gibt es in Baden-Württemberg zwar weitere Helikopter mit Winde, aber nur bei der Polizei und bei der Bundeswehr. Die sind im regulären Rettungsdienst nicht eingebunden und brauchen mindestens 20 Minuten, bis sie am See sind. Ansonsten verlässt sich das Land entweder auf Schützenhilfe aus Bayern oder auf die Luftretter der Eidgenossen. Die Schweizer Rettungsflugwacht Rega fliegt mit ihren Helikoptern sogar rund um die Uhr über die Grenze. 2021 waren das 805 Einsätze im süddeutschen Raum, teilt die Rega auf Anfrage mit.

Der in St. Gallen stationierten Helikopter ist zwar mit einer Seilwinde ausgestattet. Doch bei der Wasserrettung am Bodensee kommt die nicht zum Einsatz. Die Rega werde für Suchflüge aufgeboten, um eine Person in Not aus der Luft lokalisieren zu können. „Die Rettung erfolgt dann von Booten aus“, so die Sprecherin. Zahlen dazu könne man nicht ausweisen.
Nur 15 Mal alarmiert in drei Jahren
Das wäre eine Erklärung, warum der in Friedrichshafen stationierte „Christoph 45“ von 2018 bis 2020 insgesamt nur 15 Mal im Zusammenhang mit Badeunfällen, Wasserrettungen und Suchflügen am Bodensee alarmiert wurde. Diese Zahl nennt das Innenministerium nach Angaben der DRF. Laut Statistik der Wasserschutzpolizei sind die Notfall-Zahlen jedoch deutlich höher. Nur ein Beispiel: 2018 etwa mussten 123 Boote aus Seenot gerettet werden, zwei Jahre später waren es 96. Betroffen waren in beiden Jahren jeweils mehr als 200 Personen.
Unterstützung aus der Luft nötig
Für Tim Haug macht ein „Christoph 45“ mit Winde deshalb sehr wohl Sinn, wenn das Bordpersonal für die Wasserrettung geschult ist. „Wir sind als Leitstelle immer froh, wenn wir Rettungsmittel vielfältig einsetzen können“, sagt der Leiter Einsatzmanagement der Leitstelle in Weingarten. Gerade bei Sucheinsätzen oder Seenotfällen auf dem 536 Quadratkilometer großen Bodensee seien die Rettungskräfte oft auf Unterstützung aus der Luft angewiesen. Ein Hubschrauber kann solch große Flächen in sehr kurzer Zeit absuchen. Und mit einer Winde ließe sich ein Segler, Stand-up-Paddler oder Schwimmer in Not direkt aus dem Wasser retten.

Der (noch) in Friedrichshafen stationierte Rettungshubschrauber sei aber nicht nur über Wasser im Einsatz. „Gerade im Winter wird er relativ oft auch im Bergland gebraucht“, sagt Tim Haug. Zu den Einsatzgebieten gehören die nahegelegenen Allgäuer Alpen, das Schweizer Voralpenland, Bregenzer Wald, Vorarlberg und auch das Donautal, wo ein Hubschrauber mit Winde schon mehrfach gute Dienste hätte leisten können.
Standorte mit Winde noch nicht fix
Tatsächlich plant das Ministerium nun, bei der Ausschreibung „auch Standorte mit Seilwindenausstattung“ vorzusehen, teilt das Innenministerium auf Anfrage mit. Welche der künftig zehn Luftrettungs-Standorte in Frage kommen, stehe noch nicht fest. Aktuell würden Gespräche mit den Beteiligten im Rettungsdienst geführt. Das Ministerium nennt die Landesverbände der DLRG sowie die DRK-Bergwacht in Württemberg und Schwarzwald. Im Fokus stehe die Frage der „einsatztaktischen Notwendigkeit“. Ob „Christoph 45“ bedacht wird, bleibt abzuwarten.