Das Rednerpult vor dem Gemeinderat war nicht für ihn aufgebaut worden, sondern für die beiden Bürgermeister-Kandidaten, die nach ihm dran waren. Doch Daniel Oberschelp, der 13 Jahre lang für die CDU-Fraktion am Ratstisch saß, nutzte die Gelegenheit, um vor den Ratskollegen seine Abschiedsrede zu halten.
Es wurde zum Teil eine Abrechnung, in der er die seit 2019 neu im Rat sitzende Fraktion des Netzwerks für seinen Rückzug mit verantwortlich machte. Ein Grund: Ihm fehle die Kollegialität im Gremium, mit der Themen „im guten Miteinander“ gelöst werden.
Oberschelp wirft Netzwerk schlechten Stil vor
Mit der Debatte um das Hochhaus-Projekt an der Friedrichstraße, an dem Oberschelp als Investor mit beteiligt ist, befinde er sich in einer Abwehrposition, „und der Druck wird immer größer“. Letztlich bezeichnete der 52-Jährige die Netzwerk-Anfrage ans Rathaus zur „ausführlichen Darstellung der verwaltungsinternen Abläufe und Vorgänge zum Rahmenplan Friedrichstraße“ als „kein guter Stil“. Unter Tränen beendete Daniel Oberschelp seine Rede. Der Gemeinderat applaudierte ihm stehend.

Auch der förmliche Beschluss über sein Ausscheiden blieb nicht kommentarlos. Bevor die dreiköpfige ÖDP-Fraktion geschlossen gegen den Antrag von Oberschelp stimmte, forderte Joachim Krüger den früheren CDU-Fraktionskollegen auf, nicht einfach aufzugeben. „Wir brauchen Fachleute wie dich“, sagte er und bat den Architekten, weiterzumachen. Der räumte nach dem Mehrheitsbeschluss seinen Platz am Ratstisch, an dem keine zehn Minuten später sein Nachrücker Martin Eble Platz nahm.

Dann wurde der zweite Personalwechsel im Ratssaal eingeläutet. Auch Baubürgermeister Stefan Köhler bat vorzeitig um seinen Abschied und geht Ende Juni aus gesundheitlichen Gründen. Zwei von 24 Bewerbern und zwei Bewerberinnen, von denen letztlich noch 16 auf dem Stimmzettel standen, durften sich öffentlich vorstellen, fünf in den Fraktionen. Nach zwei Mal 20 Minuten Redezeit endete der erste Wahlgang in geheimer Wahl mit einem Paukenschlag und einer Pattsituation: 20 zu 20 Stimmen. Kein Stadtrat kann sich erinnern, solch eine Situation je erlebt zu haben: Kein Bewerber hatte die Mehrheit. Auch nicht der von der CDU-Fraktion mit ihrem Vorschlagsrecht in die Pool-Position geschobene Fabian Müller.
Sollte die bisher fast als eisernes Gesetz geltende Besetzungs-Arithmetik für die Bürgermeister-Posten torpediert werden? Die „Revolution“ war jedenfalls geplant und abgesprochen. Der links-grüne Block wollte dem fachlich besseren Kandidaten ins Amt helfen, bestätigen alle Fraktionschefs (siehe unten). Rechnerisch hätte das klappen müssen: Selbst mit den Freien Wählern und der FDP hat die CDU seit der letzten Wahl nur noch 18 Stimmen und bekommt im „bürgerlichen Block“ aus eigener Kraft keine Mehrheit mehr zusammen.

Die Allianz von Grünen, SPD, Netzwerk und ÖDP wollte Robin Nolasco als neuen Beigeordneten im Technischen Rathaus sehen. Der 52-Jährige hat Architektur und Planung studiert und leitet seit 2007 das Stadtplanungsamt im bayrischen Rosenheim. Vorher war er bei der Stadt Heidelberg und habe hier „einen ganzen Stadtteil neu geplant und umgesetzt“. Er ist Regierungsbaumeister in Baden-Württemberg, hat also ein Zusatzstudium abgeschlossen und sich so für Führungspositionen im Bausektor des öffentlichen Dienstes qualifiziert.
Stadtplaner gegen Gemeindetags-Referent
Im Vergleich dazu kann der 35-jährige Fabian Müller weder fachlich noch mit dieser Führungserfahrung punkten. Der Verwaltungswirt ist seit acht Jahren Referent im Gemeindetag Baden-Württemberg und hier im Dezernat 2 für Gemeindewirtschaft, Energie, EU-Beihilferecht, Wasserwirtschaft und Wirtschaftspolitik zuständig. Parallel leitet er die GT-Service, eine Dienstleistungsgesellschaft für den Gemeinderat. Der gebürtige Schwarzwälder präsentierte sich redegewandt als „Allrounder“, der seinen Vortrag mit dem Motto „Zuversicht, Zusammenhalt und Zukunft“ überschrieb.

Nun mussten die Stadträte noch einmal wählen, bevor das Los entschieden hätte. In der Stichwahl gab es zwei Stimmen mehr – für Fabian Müller, der direkt danach einstimmig als neuer Erster Bürgermeister in Friedrichshafen bestimmt wurde. Wann er das Amt antritt, ist noch nicht klar.
Was sagen die Fraktionen zum Wahlergebnis?
Die Stimmen aus dem Gemeinderat spiegeln bei der Hälfte des Gremiums die Enttäuschung wieder, wobei es Spekulation bei einer geheimen Wahl bleiben wird, wer aus dem links-grünen Lager ausgeschert ist.
„Die Fraktion SPD/Die Linke hat sich insbesondere aus fachlichen Gründen für Robin Nolasco ausgesprochen.“Wolfgang Sigg, SPD-Fraktionschef
„Die Fraktion SPD/Die Linke hat sich insbesondere aus fachlichen Gründen für Robin Nolasco ausgesprochen, akzeptiert aber natürlich die knappe demokratische Entscheidung für Fabian Müller“, teilt Fraktionschef Wolfgang Sigg auf Anfrage mit.
„Leider hat der Gemeinderat mit seiner sehr knappen Entscheidung die große Chance versäumt, einen überaus geeigneten Bewerber für dieses wichtige Amt zu gewinnen.“Jürgen Holeksa, Fraktionschef des Netzwerks
Auch das Netzwerk respektiere das Wahlergebnis, gibt Fraktionschef Jürgen Holeksa zu Protokoll. Aber: „Leider hat der Gemeinderat mit seiner sehr knappen Entscheidung die große Chance versäumt, einen überaus geeigneten Bewerber für dieses wichtige Amt zu gewinnen.“ Fabian Müller halte man „insbesondere fachlich ungeeignet, diese Aufgabe ausfüllen zu können“, er verfüge über keinerlei einschlägige Erfahrung in den relevanten Fachbereichen. „Insgesamt ist es bedauerlich, dass einmal mehr parteipolitische Überlegungen und Festlegungen den Nutzen und den Vorteil für unsere Stadt überlagern“, urteilt Holeksa.
„Wir von der Fraktion ÖDP/parteilos hatten den Mitbewerber von Herrn Müller aufgrund seiner fachlichen Expertise favorisiert.“Sylvia Hiss-Petrowitz, ÖDP-Fraktionschefin
„Wir von der Fraktion ÖDP/parteilos hatten den Mitbewerber von Herrn Müller aufgrund seiner fachlichen Expertise favorisiert. Aber die Mehrheit des Gemeinderats hat anders entschieden und diese demokratische Entscheidung werden wir selbstverständlich respektieren“, sagt Fraktionschefin Sylvia Hiss-Petrowitz. Ob es die richtige Entscheidung war, „wird die Zukunft zeigen“.
„Viele Gemeinderäte haben sich anscheinend lieber einen Fachmann anstatt einem Moderator gewünscht.“Anna Hochmuth, Fraktionschefin der Grünen
„So ein knappes Ergebnis bei einer Dezernentenwahl hat es nach meiner Information noch nicht gegeben“, kommentiert Anna Hochmuth, Fraktionschefin der Grünen, das Ergebnis. Viele Gemeinderäte hätten sich „anscheinend lieber einen Fachmann anstatt einem Moderator gewünscht“. Ihre Fraktion gratuliere Fabian Müller herzlich zu seiner Wahl. „Wir Grüne hoffen auf eine gute Zusammenarbeit.“
„Qualifikation, Kompetenz und eine exzellente Bewerbungsrede gaben den Ausschlag.“Achim Brotzer, CDU-Fraktionschef
Für die CDU-Fraktion ist das Ergebnis selbstredend erfreulich, war es ja „ihr“ Kandidat. „Der knappe Ausgang zeigt: Es war eine Wahl, die diesen Namen auch verdient“, sagt Fraktionschef Achim Brotzer. Für ihre haben „Qualifikation, Kompetenz und eine exzellente Bewerbungsrede“ am Ende den Ausschlag gegeben. Fabian Müller habe die Mehrheit des Rats überzeugt.
„Wir sind überzeugt, dass er die Aufgabe mit dem nötigen Elan und Feingefühl angehen wird.“Dagmar Hoehne, Fraktionschefin der Freien Wähler
Die Freien Wähler freuen sich über das Ergebnis „einer echten Wahl, die spannend wie ein Krimi war“, sagt Fraktionschefin Dagmar Hoehne. „Wir sind überzeugt, dass er die Aufgabe mit dem nötigen Elan und Feingefühl angehen wird.“ Fabian Müller sei Generalist und habe nun die Aufgabe, die vorhandene Fachkompetenz zu bündeln und die anstehenden Aufgaben mit dem vorhandenen Team des Dezernats zu bewältigen.
„Das knappe Ergebnis zeigt: Gestern standen zwei sich unterscheidende, aber beide gut geeignete Kandidaten zur Wahl.“Gaby Lamparski, FDP-Fraktionschefin
FDP-Fraktionschefin Gabriele Lamparsky kann sich nicht erinnern, dass bei einer Bürgermeisterwahl in Friedrichshafen in den letzten Jahren mal zwei Wahlgänge nötig waren. „Das knappe Ergebnis zeigt: Gestern standen zwei sich unterscheidende, aber beide gut geeignete Kandidaten zur Wahl.“