Jonathan Oremek trägt Make-up und Ohrringe aus Tampons zum Interview. „Ich erlaube mir, anders männlich zu sein“, erklärt er. Dazu gehöre etwa rein äußerlich, dass er Kleidung trage, die als typisch weiblich konnotiert sei, schildert der 17-Jährige. Auch sonst habe er keine Angst vor seiner femininen Seite: „Ich denke, dass das, was wir als typisch männlich erleben, allen Geschlechtern nicht guttut, auch Männern nicht. Es ist daher gut, die alten Rollenbilder zu hinterfragen.“

Nicht immer seien die Reaktionen auf sein Erscheinungsbild positiv. An einer Bushaltestelle in Ravensburg sei ihm vor Kurzem zugerufen worden: „Bist du ein Mann oder eine Frau?“ Solche Reaktionen erlebe er als übergriffig. Oft reagiere er dennoch schlagfertig, doch das sei tagesformabhängig: „Wenn ich einen guten Tag habe, dann bin ich selbstbewusst genug dafür.“
Die regelmäßigen negativen Erfahrungen prägen seinen Alltag, sagt Oremek. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht in der Schule diskriminiert oder beleidigt werde. „Was mich daran am meisten stört, ist die Tatsache, dass ich immer selbst aktiv werden muss, wenn etwas passiert“, schildert er. Ein Mechanismus, tatsächlich aktiv gegen solche Diskriminierung vorzugehen, fehle besonders im Schulkontext. Doch nicht nur in der Schule sei Diskriminierung ein Thema.
Zur Person und zur Serie
„Ich bin in einer komischen Form von Sexismus betroffen“, beschreibt der 17-Jährige, da er eben nicht als typisch männlich wahrgenommen werde. Den Weg zum Bahnhof etwa trete er im Dunkeln grundsätzlich nicht alleine an, aus Angst, belästigt zu werden. Man könne leider nie wissen, wann eine Situation brenzlig werde und aus einem Nachrufen ein körperlicher Angriff werde. Oft verlasse er einen Termin eher, obwohl er gern noch bleiben würde, um vor der Dunkelheit nach Hause zu kommen.
„Ich habe zuletzt schon mit meinen Eltern gesprochen, ob ich für den Heimweg von der Queer Pride in Ravensburg Pfefferspray mitnehmen soll“, schildert sei. Das sei traurig: „Ich will doch nur bunt sein!“ Er habe dort auch beobachten können, dass einige der Teilnehmer vor dem Heimweg „all das Bunte weggemacht“ hätten: „Sie mussten heim zu homofeindlichen Eltern.“ So sei selbst der Veranstaltungstag im Sommer, den er grundsätzlich als großartig erlebt habe, am Ende getrübt worden.
„Es ist wichtig, sich zu begegnen, sich auszutauschen, zu merken: Ich bin nicht allein.“Jonathan Oremek, 17 Jahre
Nichtsdestotrotz seien solche Formate wichtig, um Sichtbarkeit zu schaffen: „Es ist wichtig, sich zu begegnen, sich auszutauschen, zu merken: Ich bin nicht allein.“ Es sei berührend zu sehen, wie Menschen aufblühten, wenn sie Gespräche mit anderen führen könnten, die ihre Erfahrungen teilten: „Ich wurde bei der letzten Demo so oft angesprochen, es sind Tränen geflossen.“ Gerade wenn er in Drag auf eine Veranstaltung gehe, erlebe er solche starken Reaktionen: „Da sieht man nämlich, dass ich trotz allem, was mir passiert ist an Diskriminierung, bunt und selbstbewusst bleibe. Damit werde ich auch als Vorbild wahrgenommen.“
Demonstrationen wie die Queer Pride bildeten dabei nur wenige Tage im Jahr, wenige Momente, in denen alle so bunt sein könnten, wie sie sein wollten und das in einem sicheren Rahmen. Für mehr Kontinuität und eine Anlaufstelle zum Austausch hat Helen Baur im Jugendzentrum Molke den Queeren Treff für junge Menschen ins Leben gerufen: Dieser findet im Zweiwochenrhythmus für junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren statt.
„Ich bin selbst queer und wurde deshalb in der Molke sowieso schnell Ansprechperson, wenn es um Themen wie Coming-out ging. Ich wusste daher: Der Bedarf ist groß.“ Dass das Interesse an einem solchen Ort des Austauschs nachhaltig sei, habe sich besonders während der Corona-Pandemie bemerkbar gemacht.
Obwohl die Termine seitdem nur online stattfänden, seien die Treffen durchweg gut besucht gewesen. „Für manche war gerade das virtuelle Format sogar besser“, schildert Baur. Durch das Treffen im Digitalen sei es möglich gewesen, tatsächlich anonym zu bleiben, für viele eine Hilfe, wenn sie das erste Mal über bestimmte Themen sprechen wollten – ein zusätzliches Stück Sicherheit. „Ich überlege daher auch, die Treffen in einer hybriden Form fortzusetzen, um diese Qualität zu erhalten“, erklärt die Sozialarbeiterin.