Friedrichshafen Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, der sich Spaziergängern an jenem Samstagvormittag bietet. Vor dem Hafen des Württembergischen Yacht-Clubs sind Fahrzeuge aufgereiht, die man nicht jeden Tag zu sehen bekommt. Luxuslimousinen der Marke Mercedes-Maybach der neuesten Generation glänzen neben historischen Modellen der Edelschmiede mit hochglanzpoliertem Lack und Chrom in der Sonne. „Friedrichshafen ist stolz darauf, diese Fahrzeuge am Ufer zu haben“, sagt der Oberbürgermeister bei seiner Ansprache im Clubhaus-Restaurant. Simon Blümcke muss seine Begrüßungsrede vor internationalem Publikum auf Englisch halten. Journalisten und Fotografen sind aus China, den USA, Großbritannien, Italien und der Schweiz angereist, um in Fachmagazinen zu berichten. Sogar Ulrich Schmid-Maybach, Enkel von Karl und Urenkel von Wilhelm Maybach, ist aus San Francisco gekommen, um als Gründer der Maybach-Foundation und als Markenbotschafter die historische Alpenüberquerung im Jahr 1925 wieder aufleben zu lassen.
Damals hatte ein abenteuerlustiges Ehepaar aus Friedrichshafen eine für die damalige Zeit unkonventionelle Hochzeitsreise unternommen. In einem Maybach Typ 22 W 310 reisten sie über viele Alpenpässe bis nach Meran/Südtirol und zurück nach Friedrichshafen. Sie legten dabei rund 2200 Kilometer zurück und hielten alle Etappen handschriftlich in einem Tagebuch fest. Nachforschungen des Teams der Maybach-Stiftung legen nahe, dass es sich um Karl Schmid, damals Ingenieur und Gesamtverkaufsleiter der Maybach-Motorenbau GmbH, und dessen Ehefrau handelte, die zusammen mit zwei weiteren Begleitern die Hochzeitsreise zur Vermarktung des „Reisewagens“ nutzten.
Alpenüberquerungen waren vor 100 Jahren eine Herausforderung für Mensch und Technik. Viele Straßen waren unbefestigt, die wenig leistungsstarken Fahrzeuge hatten mit den steilen Anstiegen und engen Kurven zu kämpfen. Gleichzeitig erfreuten sich Italienreisen mit Alpenüberquerungen vor dem Hintergrund des aufkommenden Tourismus zunehmender Beliebtheit, was die technikbegeisterten Automobilisten herausforderte. Um Motoren, Kühler und Bremsen ihrer Modelle unter extremen Bedingungen zu testen und deren herausragende Qualität unter Beweis zu stellen, führte die Maybach-Motorenbau GmbH in Friedrichshafen regelmäßig solche Gebirgsfahrten durch.
Ein Blick auf Fotos des historischen Gefährts lässt die Strapazen einer solchen Reise erahnen. Und abseits der einmaligen Naturerlebnisse waren die Gefahren real. Der Tagebucheintrag bei Kilometer 1397 lautet: „… herrlich liegt der Rhonegletscher vor uns und das Flüsslein schlängelt sich klein und bescheiden ins Tal. Die Straße steil, spitze Kehren, kurz vorher war ein Fiat mit vier Personen in die Tiefe gefallen. Glücklich oben, unbeschreiblich die blau-grünen Eismassen des Gletschers ...“. Doch der Wagen bewährte sich wohl glänzend. Mühelos wurde der Gotthard bestanden und der Aufstieg zum 2760 Meter hohen Stilfserjoch geschafft. Bis nach Meran führte die Reise und über den Reschenpass zurück nach Friedrichshafen. Alles ohne eine einzige technische Panne. Lediglich der Gepäckträger musste einmal neu befestigt werden.
Zwischen 1921 und 1941 wurden in Friedrichshafen rund 2300 Fahrzeuge produziert, von denen nur etwa 180 erhalten sind. Tobias Erne von der Maybach-Stiftung sagt: „Karl Maybachs Anspruch war, bis ins Detail Qualität zu fertigen.“ Vom einstigen „Bergbezwinger“ Typ 22 W 310 sei jedoch kein Exemplar mehr vorhanden.
Ein Fahrzeug zieht die Passanten in Friedrichshafen besonders an. Das Cabriolet vom Typ SW38 wurde in 18 Jahren von rund sechs Generationen Kfz-Auszubildenden der Wilhelm-Maybach-Schule Heilbronn unter Anleitung fachkundiger Lehrkräfte aus Originalbauteilen aufgebaut und restauriert. Ein anderes Modell, ein SW 42, Baujahr 1938, in repräsentativem Schwarz gehalten, war bis 1967 der Direktionswagen von Geschäftsführer Jean Reabel und ist heute im Besitz der MTU.
Im Club-Restaurant Kommodore erklärt derweil der Reiseleiter den Ablauf der Alpenüberquerung 2025. Wie aus dem Tagebuch rekonstruiert, soll die Fahrt nach Geislingen und dann in den Schwarzwald zum Mittagessen führen. Von dort vorbei am Bielersee und Neuenburg nach Lausanne am Genfersee. Am Sonntag sollte es dann hinauf auf den Großen St. Bernhard und nach Como gehen, von wo jeder nach einer Übernachtung individuell seine Heimreise antreten durfte. Inzwischen verteilt sich die Reisegruppe auf die 14 Fahrzeuge. Neben den beiden historischen Exemplaren geht auch eine Mercedes-Maybach S-Klasse der jüngsten Generation an den Start. Der S 680 leistet mit seinen 6,8 Litern Hubraum 612 PS. Nur ein leises Summen ist zu hören, als der Zwölfzylinder-V-Motor seine Arbeit aufnimmt und sich zusammen mit den anderen Richtung Friedrichstraße verabschiedet.
Ab Frühjahr 2026 wird der Maybach-Mythos in einem Schaudepot in der Karlstraße 41 dauerhaft zu bewundern sein. Ulrich Schmid-Maybach sagt: „Die Geschichte von Maybach ist ein Antrieb für die Zukunft. Wir machen sie erlebbar und bringen sie in die kulturelle Mitte der Stadt. Mit dem Maybach-Schaudepot entsteht ein besonderer Ort der Begegnung und Inspiration im Herzen Friedrichshafens.“