„Meine Damen und Herren, Friedrichshafen ist schön, Punkt“: Mit diesem Satz begann Fabian Müller die Bürgerinformationsveranstaltung. Der Baubürgermeister erntete dafür einige erstaunte Blicke und irgendjemand im Saal konnte sich gar ein lautes Lachen nicht verkneifen. Tatsächlich jedoch zeigt die Auswertung der Bausubstanz Friedrichshafens, dass hier einiges „besonders erhaltenswert“ ist.
Müller blickt zurück: „In den vergangenen Jahren ist hier in Friedrichshafen das Bewusstsein für Baukultur gewachsen; zuerst im Rahmen des Isek-Prozesses und dann weiter im Gemeinderat.“ Da habe es immer wieder die Aufforderung an die Stadtverwaltung gegeben: „Arbeitet heraus, was ihr Schönes habt, was wir Schönes haben in unserer Stadt.“
Das sei ein langwieriger Prozess gewesen, der vor Corona gestartet sei. Beteiligt daran sind Stadtverwaltung, Gestaltungsbeirat, Fraktionsmitglieder, Ehrenamtliche und die Expertinnen von Bricks and Beyond.
Der Gemeinderat erteilte den Auftrag, im Rahmen einer Untersuchung 30 exemplarische Gebäude in Friedrichshafen als besonders erhaltenswerte Bausubstanz zu identifizieren. „Es war eine intensive Bearbeitung mit vielen Abwägungen“, fasst Müller zusammen, doch der Aufwand habe sich gelohnt: Friedrichshafen spiele hier nun in einer Liga mit Hamburg und Köln. Und dabei habe sich gezeigt, dass 30 Gebäude nicht genug seien; daher seien es nun 30 Gebäude und räumliche Gebiete geworden, anders als ursprünglich vorgesehen.
Denkmalexpertin Nicola Halder-Hass führt aus, dass räumliche Gebiete Parks, Plätze und Siedlungen seien. Anhand dieser 30 Beispiele könnten nun in Friedrichshafen mehr als 500 Einzelbauten als „besonders erhaltenswert“ eingestuft werden; die ausgewählten Gebäude in den räumlichen Gebieten seien nämlich übertragbar. Das heißt, sobald der Gemeinderat im Juni über den Vorschlag entschieden hat und die jeweiligen Eigentümer vergleichbarer Gebäude diese ebenso kategorisieren lassen.
Wie geht es im Prozess nun weiter?
Müller erklärt dazu: „Die Gutachter vertreten eine starke Meinung, die gilt es dann ja auch auszuhalten und zu bewerten.“ Im Juni sei das Thema im Gemeinderat angedacht. Im nächsten Schritt werde dann der Bericht auf der städtischen Webseite veröffentlicht, ein Booklet mit allen Infos gedruckt und zur Verfügung gestellt. „Spätestens dann beginnt dann die eigentliche Arbeit. Das ganze Thema Beratung, Service, Dienstleistung, was wir dann als Verwaltung leisten“, führt er aus.
„Friedrichshafen hat die Nase vorn“, sagt Expertin Halder-Hass. 2015 sei das Thema Bausubstanz aufgekommen. Bricks & Beyond seien Gutachter für die Bundesregierung gewesen, führte sie weiter aus. Schritte in Bundesländern und Kommunen folgten. Jetzt mit Zeitenwende, Energie- und Klimakrise sei das Thema wieder aktuell. „Wir können die Schönheit der Stadt trotzdem erhalten, ohne alles kaputtzudämmen.“ Es gehe darum, im Bestand statt neu zu bauen. Auch der Erhalt von Grünanlagen und Plätzen sei wichtig: „In Zeiten der Hitze und Trockenheit, die kommen werden.“
Worum geht es bei Bausubstanz?
Dabei geht es beim Konzept der besonders erhaltenswerten Bausubstanz nicht vordergründig um Nachhaltigkeit. Halder-Hass erläutert: „Erhaltenswerte Bausubstanz vermittelt Identität, weil hier persönliche Geschichte aber auch persönliche Geschichten stattfinden und stattgefunden haben.“ Diese Gebäude, Plätze, Straßen und Freiflächen seien identitätsstiftend. Betrachtet werde dabei das Gefüge als Ganzes, es gehe hier nicht darum, Sonderbauten herauszustellen. Im Gegenteil: Die Gebäude, die ausgewählt wurden, mussten allesamt das Kriterium der Übertragbarkeit erfüllen.
Die Experten gingen nach Zeitschichten vor und schauten sich auch im Hinterland um: „Sie haben hier nicht nur den See, sondern auch dieses wunderbare Hinterland. Insofern wurden zwei Hofanlagen zusätzlich ausgewählt, um diese ländlichen Strukturen zu würdigen.“
Was bedeutet das Prädikat für Besitzer?
Die mehr als 30 Interessierten trieb bei der Bürgerinfo vor allem die Frage um, was es für Eigentümer bedeuten werde, wenn sie besonders erhaltenswerte Bausubstanz besitzen. Müller stellt klar: „Es ist eine Auszeichnung und kein Schutzinstrument.“ Das heiße, dass anders als beim Denkmalschutz ein Abbruch nicht untersagt sei und es auch sonst keine Vorschriften gebe. Eigentümer könnten gern zur Stadtverwaltung kommen und sich dort beraten lassen, die Ersteinschätzung koste auch nichts. Das Ziel sei ein qualitätvolles Weiterbauen oder Sanieren.
Dabei kündigte Müller an, pragmatisch vorzugehen. Für die Einstufung als besonders erhaltenswerte Bausubstanz solle kein neues Formblatt geschaffen werden: „Kommen Sie einfach vorbei, am besten natürlich mit Termin.“ Obendrein stünde durch das Prädikat der Zugang zu KFW-Förderungen offen.