Welches Gebäude in Friedrichshafen würden Sie sofort abreißen?

Grundsätzlich ist es immer schwierig, sich mit Abriss auseinander zusetzten. Aber ich fand die Entscheidung gut, das Landratsamt neu zu bauen. Das alte Gebäude ist wenig einladend, wenig zugewandt. Es zeigt einen veralteten Stil von Verwaltung.

Das Haus muss also weg?

So einfach ist es nicht. Der CO2-Abdruck ist bei Umbauten wesentlich kleiner. Aber es zeigt sich an dem Beispiel, dass es immer auf den Ort ankommt: Das neu geplante Landratsamt hat einen neuen Ausdruck – und wird den Ort prägen.

Geht es nach Architektin Andrea Gebhard, soll das alte Landratsamtsgebäude in Friedrichshafen einem Neubau weichen – der Kreistag ...
Geht es nach Architektin Andrea Gebhard, soll das alte Landratsamtsgebäude in Friedrichshafen einem Neubau weichen – der Kreistag hat das Projekt bereits beschlossen. | Bild: Benjamin Schmidt
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Das bedeutet: Häfler Bausünden nicht abreißen, sondern neu gestalten?

Nehmen Sie zum Beispiel Venedig. Jedes Jahrhundert ist in dieser Stadt sichtbar, sie wurde immer weiterentwickelt. Das verlangt heute auch die Klimakrise von uns und deshalb sollte auch in Friedrichshafen weiterentwickelt und umgebaut werden.

Sie haben im Gestaltungsbeirat vorgeschlagen, die Ästhetik der 50er Jahre in Friedrichshafen zu würdigen. Warum?

Es gibt keine historische Altstadt, weil im Krieg viel zerstört wurde. Aber wenn Sie das Rathaus und die ganze Umgebung betrachten, sind das hervorragende Bauten. Die Feinheit, die Filigranität, die einfache Ästhetik. Das ist etwas Besonderes.

Das Rathaus Friedrichshafen stammt aus den 50er Jahren. Die Ästhetik prägt aus Gebhards Sicht die Stadt.
Das Rathaus Friedrichshafen stammt aus den 50er Jahren. Die Ästhetik prägt aus Gebhards Sicht die Stadt. | Bild: Benjamin Schmidt (Archiv)

Der Stil ist aber in vielen jüngeren Bauprojekten kaum zu finden: Fallenbrunnen, Karl-Olga Park, Allmannsweiler: Das entstehen doch eher Quader statt Filigranes.

Da haben Sie teilweise recht. Vielleicht ist die Idee hier noch nicht überall durchgedrungen.

Sie hatten also andere Vorschläge?

Wir haben im Gestaltungsbeirat immer wieder beraten, beziehungsweise versucht zu beraten. Aber auch die Bauherrinnen und Bauherren haben bestimmte Ideen, wie etwas werden soll. Und die Beratung wird unterschiedlich aufgenommen.

Das Netzwerk für Friedrichshafen spricht sich dafür aus, das alte Zollhaus im Stadtzentrum abzureißen. Auch die Weinstube Glückler muss einem Neubau weichen – wogegen das Netzwerk gekämpft hat. Verschwindet die 50er-Jahre-Ästhetik nicht gerade aus der Stadt?

Es ist vielleicht nicht der richtige Weg, alles abzureißen. Bauliche Besonderheiten gibt es ja nicht nur in Altbauten mit Stuck an der Decke. Sondern ebenso in moderneren Gebäuden und – das muss herausgearbeitet werden.

Das alte Zollhaus in Friedrichshafen entspricht der filigranen Ästhetik der 50er Jahre, die Andrea Gebhard lobt. Ob der Bau indes eine ...
Das alte Zollhaus in Friedrichshafen entspricht der filigranen Ästhetik der 50er Jahre, die Andrea Gebhard lobt. Ob der Bau indes eine Zukunft hat, ist fraglich. | Bild: Simone Krieger
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Was braucht eine Stadt denn grundsätzlich, um lebenswert zu sein? Geht es nur um Gebäude?

Es gibt nicht die eine ideale Stadt. Sie haben unterschiedliche Strukturen, unterschiedliche Geschichten. Friedrichshafen ist der Ort, der von den Zeppelin-Werken geprägt und später zerstört wurde. Und ein Ort, der am Bodensee liegt. Die Lage ist einzigartig.

Braucht es bestimmte Infrastrukturen?

Wohnen, Arbeiten und die Grünfläche müssen viel mehr zusammenkommen. Die Gesundheitsversorgung ebenfalls. Das fordert auch die sogenannte Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt. Städte aus Stein sind nicht die Zukunft, sondern die grünen Städte. Wir können nicht Abholzungen im Amazonas kritisieren – und selbst alles mit Gebäuden und Straßen zupflastern.

Ist Friedrichshafen denn jetzt schon lebenswert?

Ja natürlich, allein aufgrund der Lage. Auch abgesehen vom See, hat Friedrichshafen schöne Strukturen. Doch es bräuchte mehr vernetzte Grünstrukturen.

Neubaugebiet Allmannweiler in Friedrichshafen: Die Gebäude entsprechen mit ihrer quadratischen Form nicht dem, was sich Andrea Gebhard ...
Neubaugebiet Allmannweiler in Friedrichshafen: Die Gebäude entsprechen mit ihrer quadratischen Form nicht dem, was sich Andrea Gebhard für Friedrichshafen wünscht. Viel Grün gibt es hier allerdings – eine weitere Forderung der Expertin. | Bild: Benjamin Schmidt
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Braucht die Stadt eine Messe und einen Flughafen?

Wenn die Messe ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, dann braucht es die Messe. Beim Flughafen muss man fragen: Wie belastend ist er? An sich aber sollte man den Flugverkehr allerdings im Allgemeinen weitgehend einschränken.

Zugunsten welchen Verkehrsmittels?

Sagen wir so: Die Anbindung nach Friedrichshafen ist ausbaufähig. Wenn ich am späten Nachmittag von München anreisen möchte, muss ich aufgrund mangelnder Verbindungen das Auto nehmen.

Sie wurden im Jahr 2021 zur Präsidenten der Bundesarchitektenkammer gewählt – und sind im März 2022 nach vier Jahren aus dem Gestaltungsbeirat Friedrichshafens ausgestiegen. Was hat Sie überhaupt in eine recht kleine Stadt mit 60.000 Einwohnern gebracht?

Die Größe der Stadt ist in keinster Weise ausschlaggebend. Ich habe kürzlich ein Konzept für eine Gemeinde mit 3000 Einwohnern gemacht. Ich gehe dorthin, wo Leute interessiert sind an meiner Arbeit.

Und das war in Friedrichshafen der Fall?

Im Gestaltungsbeirat war es eine gute Zusammenarbeit. Es ist schön, dass sich die Stadt hierfür öffnet. Schwieriger war es, die Menschen zu überzeugen, mit ihren Projekten in den Gestaltungsbreirat zu kommen. Es ist eine wunderbare Dienstleistung, die von der Verwaltung zur Verfügung gestellt wird – und die kostenfrei genutzt werden kann.

Sehen Sie manche Entscheidungen der Stadt rückblickend kritisch?

Bei Beratungen sind wir immer zu einem guten Ergebnis gekommen.

Aber noch mit Luft nach oben?

Ja klar. Am besten wäre es, wenn die Projektträger gleich mit den ersten Skizzen ihrer Bauvorhaben in den Gestaltungsbeirat kommen. Sind die Planungen weit fortgeschritten, ist es schwer, alles nochmals neu auszuarbeiten.

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