Der Blick auf die nackten Zahlen sorgt bei Uwe Stürmer nicht für Sorgenfalten im Gesicht. Ganz im Gegenteil. Würde man alle Straftaten auf 100.000 Einwohner hochrechnen, dann gäbe es in Friedrichshafen weniger Kriminalität als in Ravensburg oder Überlingen, obwohl die Nachbarstädte kleiner sind. Es sei sogar „durchaus bemerkenswert“, kommentierte der Polizeipräsident am Montag im Finanz- und Verwaltungsausschuss des Gemeinderats bei der Vorstellung des Sicherheitsberichts, dass die Kriminalität in Friedrichshafen im vergangenen Jahr gegen den allgemeinen Trend gesunken ist und sogar 15 Prozentpunkte unter dem Landesdurchschnitt liegt. In Summe wurden 4074 Straftaten registriert.
Immer mehr Tatverdächtige sind Kinder
Vor diesem Hintergrund hat Polizeichef Stürmer auch keine schlüssige Erklärung, warum es insgesamt 70 Fälle mehr in der Gewalt- (180) und Straßenkriminalität (705) gab. Häufig handele es sich dabei um gefährliche Körperverletzung, die aus der Gruppe heraus begangen wird. „Das müssen wir weiter beobachten“, so Uwe Stürmer. Zumal es eine andere Entwicklung gibt, die zur Sorge berechtigt. Von den rund 1950 Tatverdächtigen, die die Polizei in Friedrichshafen bei Straftaten im vergangenen Jahr ermittelt hat, ist jeder Vierte jünger als 21 Jahre alt. Unter diesen ist der Anteil der strafunmündigen Kinder unter 14 Jahren auffällig um knapp 13 Prozent gestiegen.

Der Trend zu immer jüngeren Tätern spiegelt sich auch in jenen Fällen wider, die im vergangenen Jahr für Schlagzeilen sorgten. So überfiel ein 14-Jähriger im Mai Tankstellen in Friedrichshafen und Markdorf. Nach Ermittlungen der Polizei wurde ein Jugendlicher als Sexualstraftäter überführt, der im Juni in neun Fällen Frauen bis zu ihrer Wohnung verfolgt und dort bedrängt und in einem Fall auch vergewaltigt haben soll. Das Verfahren laufe noch, erklärte der Häfler Polizeichef Nicolas Riether vor dem Ausschuss.
Jeder zweite Tatverdächtige ohne deutschen Pass
Ein weiterer Trend deckt sich mit den Zahlen im Land. Knapp die Hälfte der 1950 Tatverdächtigen, die 2023 in Friedrichshafen in den Fokus der Polizei gerieten, hatte keinen deutschen Pass, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Noch deutlicher ist der Anteil an Asylbewerbern oder Geflüchteten gestiegen. 354 wurden straffällig, 45 Prozent mehr als 2022. Uwe Stürmer warnt allerdings: „Ausländer gleich krimineller: Diese Rechnung geht nicht auf“, sagte er. Egal ob Asylbewerber oder Deutscher, es komme wesentlich auf das soziale Umfeld an, ob ein Mensch auf die schiefe Bahn gerät.

Obwohl die Kriminalität in Friedrichshafen nicht angestiegen ist, würden sich viele Menschen unsicherer fühlen, erklärte Hans-Jörg Schraitle, Leiter des Amts für Sicherheit und Ordnung im Rathaus. Ein Beispiel dafür ist der Stadtbahnhof. Regelmäßig gingen Beschwerden über die „Zustände“ hier ein. Das Sicherheitsgefühl habe sich verschlechtert, obwohl das durch die eher geringe Zahl der Vorkommnisse nicht zu belegen sei. Im vergangenen Jahr wurden vier Aufenthaltsverbote erteilt. Der Amtsleiter führt das auf viele, vor allem junge Erwachsene mit Migrationshintergrund zurück, die sich am Bahnhof gern in Gruppen treffen und längere Zeit verweilen.
Wunsch nach mehr Kontrollen
Immer wieder werde der Wunsch nach mehr Kontrollen an die Stadtverwaltung herangetragen, die es seit Sommer 2022 aber regelmäßig gebe, so Schraitle. Bei der erhöhten Präsenz der Polizei am Bahnhof soll es auch bleiben. Vielleicht nehme das Problem alkoholisierter Störer ab, wenn der Einzelhändler dort früher schließen müsse, fragte Simon Wolpold (Netzwerk). Hier sind der Stadt allerdings die Hände gebunden. Der Supermarkt dürfe so lange öffnen, wie es das Ladenschlussgesetz hergebe, so Schraitle.
Nicht zuletzt könne ein kommunaler Ordnungsdienst das Sicherheitsgefühl erhöhen. Der ist zwar seit Juli 2023 beschlossene Sache, soll aber erst im Januar 2025 eingerichtet werden, wenn das Geld dafür zur Verfügung steht. Erster Bürgermeister Fabian Müller zeigte sich diesbezüglich nur „mäßig optimistisch“.
Gefühl der Unsicherheit wächst
Handlungsbedarf besteht aber, gaben erst im Januar knapp 70 Prozent der Befragten in einer aktuellen Umfrage der Stadt an. „Gerade in der Kernstadt wächst das Gefühl der Unsicherheit“, steht in der Ratsvorlage. Dabei geht es nicht zuerst um Straftaten, sondern auch um sogenannte Ordnungswidrigkeiten, die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. Dazu gehören aggressives Betteln, Belästigungen, Lärmstörungen, öffentliches Urinieren, Hundekot oder die Entsorgung von Abfall in den Parkanlagen.
Auch die Polizei werde vermehrt zu Ordnungsstörungen gerufen, bestätigt der Häfler Revierleiter Nicolas Riether. 2023 gab es über 6100 Einsätze allein in Friedrichshafen, wo Beamte als Streitschlichter, wegen Ruhestörungen oder auffälliger Personen gerufen wurden.