5.55 Uhr am Markdorfer Bahnhof. Es ist noch dunkel, kalt obendrein. Die Menschen grüßen sich knapp. Hier kennen sich die meisten von ihrer täglichen Fahrt zur Arbeit. Der Zug kommt pünktlich – um 5.58 Uhr. Die Einsteigenden streben ziemlich gezielt zu den Sitzplätzen, die sie fast jeden Morgen einnehmen.
Neuerliches Grüßen. Zeitungen werden aufgeschlagen, Ohrhörer eingesteckt. Hier döst jemand, dort wischt eine andere übers Display ihres Smartphones. Aber alles wirkt leicht gedämpft um diese frühe Uhrzeit im Zug Richtung Radolfzell. Carmen Kraushofer, Jutta Winckler und Jürgen Ströer jedoch sind hellwach, richtig lebhaft. Beim Thema Zufriedenheit mit der Bodenseegürtelbahn fühlen sie sich angesprochen. Alle drei haben da einiges zu erzählen.

424 Minuten Verspätung in einem Monat
„Vieles ist versprochen worden, wenig davon gehalten“, erklärt Carmen Kraushofer. Sie pendelt jeden Morgen und jeden Abend zwischen Markdorf und Überlingen, wo sie arbeitet. 13 Stunden und 27 Minuten seien zusammengekommen – durch sich summierende Verspätungen oder durch Zugausfälle. Dies im Zeitraum von nur einem Monat.
Vom 2. September bis zum 4. Oktober habe sie die an Bahnsteigen beziehungsweise auf der Schiene verlorene Zeit gemessen, aufgeschrieben und in einer Excel-Tabelle dokumentiert. „2.09., 54 Minuten Arbeitszeitverlust“ weil der Zug zunächst als verspätet gemeldet war, dann ganz ausfiel. 5. September, fünf Minuten verspätet, 9. September, zwölf Minuten, 12. September wieder zwölf, 13. September 43 Minuten und so fort – am Ende der Tabelle sind es 424 Minuten.
Salami-Taktik bei den Bahn-Informationen
„In den letzten Tagen ist es ja ein bisschen besser geworden“, berichtet Jürgen Stroer. Die Züge seien überwiegend pünktlich gewesen. So wie dieser, in dem die drei Bahnkunden aus Markdorf sitzen. Verspätungen seien ein Ärgernis, findet Jutta Winckler.
Noch viel ärgerlicher aber sei die Informationspolitik der Bahn. Sie finde nicht statt – oder in „Salami-Taktik“: erst zehn, dann 20 Minuten Verspätung, bevor der Zug schließlich ganz ausfalle. Niemand auf dem Bahnhof fühle sich zuständig. Manchmal kommen Informationen von anderen Bahn-Reisenden aus Friedrichshafen. Die Fahrgäste fühlten sich allein gelassen.

Spontane Fahrgemeinschaften
Mitunter bilden sie spontane Fahrgemeinschaften, weil sie das Warten satt haben – und zur Arbeit müssen, schildert Jutta Winckler. Die Markdorferin erzählt von dramatischen Szenen.
Von Menschen, die auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch gewesen seien – mit vernünftig bemessenem Zeitfenster, dann aber doch nicht mehr pünktlich ankommen konnten. Und längst nicht alle Arbeitgeber zeigen Verständnis für die sich häufenden Verspätungen, weiß Carmen Kraushofer zu berichten.

Neue Triebwagen kippen den Fahrplan
Und die ihr in einem Antwortschreiben vom Kundendialog Baden-Württemberg der Deutschen Bahn angekündigte „deutliche Qualitätssteigerung“ nach dem Einsatz neuer Triebfahrzeuge sieht sie ebenso wie ihre beiden Mitfahrer eher kritisch. Hätten sich doch die Ein- und Ausstiegszeiten verlängert, da die Wagentüren langsamer öffnen und schließen.
Martin Hahn, Grünen-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag, berichtet auf seiner Webseite, dass die Landesregierung bereits auf die sich häufenden Verspätungen der Bodenseegürtelbahn reagiert habe. „In Abstimmung mit der DB Regio“ seien Fahrplanänderungen vorgenommen worden, die ab Mitte Dezember in Kraft treten – zusammen mit dem Fahrplanwechsel.
Notgedrungen bleibt man der Bahn dennoch treu
„Die Bildschirme mit der Fahrgastinformation zeigen auch nur immer den Endbahnhof an, nicht die Zwischenstationen“, moniert Jürgen Ströer. Damit nicht genug: gesperrte Türen, defekte WCs beeinträchtigen das Fahrvergnügen. „Was überaus zuverlässig klappt“, so Carmen Kraushofer bitter, „das sind die alljährlichen Preiserhöhungen.“
Sie setze trotzdem auch weiterhin auf die Bahn. Ob die Zustände dort allerdings dem zuarbeiten, was im Rahmen der Klimadiskussion gewünscht sei, „dass weniger Leute mit dem Auto fahren und stattdessen mehr den öffentlichen Personen-Nahverkehr benutzen“, das bezweifle sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen.
Regionalverband macht Druck
Es geht um viel. Wilfried Franke, Direktor des Regionalverbands und Geschäftsführer des Interessenverbands Bodenseegürtelbahn, betrachtet die Schieneninfrastruktur im westlichen Bodenseeraum als eminent wichtig. Sie zu ertüchtigen sei eine „Existenzfrage“.
Die Ausbau- und Elektrifizierungslücke zwischen Radolfzell und Friedrichshafen zu schließen sei absolut dringlich. Zumal Südbahn (Ulm-Friedrichshafen-Lindau) und Allgäubahn (München-Lindau) derzeit elektrifiziert werden und die Planungen dafür für die Hochrheinbahn (Singen-Basel) voranschreiten.
Zeit für den Lückenschluss der Elektrifizierung drängt
Gelinge der Lückenschluss nicht, drohe am nördlichen Bodenseeufer eine Situation des wirtschaftlichen Abgehängtseins. Bereits das Zielkonzept 2025 des Landes scheint kaum umsetzbar. Erklärtes Ziel des Konzepts ist der landesweite und flächendeckende Stundentakt beziehungsweise die Taktverdichtung auf häufig genutzten Strecken. So sollen laut Landesregierung die Fahrgastzahlen im Schienenpersonennahverkehr deutlich gesteigert werden – im Sinne einer nachhaltigen Mobilität.
Der Wunsch nach zusätzlichen Haltestellen
Hier wünscht sich die Initiative Bodensee-S-Bahn den Ausbau der Bodenseegürtelbahn und deren Elektrifizierung und befürwortet das Vorzugskonzept mit einer Verdoppelung des Zugangebots, aber auch zusätzliche Haltestellen, zum Beispiel in Espasingen oder Lipbach.
Deutsche Bahn prüft Haltepunkt in Lipbach
Wie Stefan Köhler, Erster Bürgermeister der Stadt Friedrichshafen bei seinem Besuch im Klufterner Ortschaftsrat jüngst andeutete, habe die Deutsche Bahn zugesagt, dass sie prüfen werde, ob sich der schon seit Langem geforderte zusätzliche Haltepunkt in Lipbach einrichten lasse.
Ihrem großen Ziel, das Nahverkehrsangebot zwischen Friedrichshafen und Radolfzell zu verbessern, könnte die Interessengemeinschaft Bodenseegürtelbahn einen kleinen Schritt näher gekommen sein. Im Gespräch ist auch die abschnittsweise Erweiterung auf eine Zweigleisigkeit, sodass sich die Wartezeiten auf Gegenzüge auf der Strecke reduzieren ließen.

Erster Kostenrahmen bis Ende 2020
Gearbeitet wird an den Plänen für den Ausbau und die Elektrifizierung seit diesem Jahr. Erstes Ziel sind eine Konzeptskizze sowie ein ungefährer Kostenrahmen, die Ende 2020 vorliegen sollen. Regionalverbandschef Wilfried Franke hat im vergangenen April hat von zusätzlichen vier bis fünf Jahren gesprochen, die die anschließenden weiteren Planungen dauern. Sie umzusetzen, erfordere dann vermutlich noch zwei bis drei weitere Jahre. Wenn es keine Verspätungen gibt.