Schon als Bub war Rainer Steffelin aus Markdorf ein begeisterter Fasnächtler. Als er 12 Jahre war, hatte ihm sein Vater ein Kaujohle-Häs gekauft. Damals war er der jüngste Kaujohle in der Gruppe, die im Aufbau war. Heute, 71-jährig, ist er immer noch aktiv und inzwischen der älteste Narrenrat: „Das macht mir unheimlich Spaß und ich hoffe, dass ich weiterhin gelitten werde.“

Fasnacht spielt bei Rainer Steffelin ganzjährig eine Rolle – wenn auch „nur“ an der Wand.
Fasnacht spielt bei Rainer Steffelin ganzjährig eine Rolle – wenn auch „nur“ an der Wand. | Bild: Christiane Keutner

Beim Blick zurück in die Jahrzehnte erinnert er sich gern an die Unkompliziertheit: Als der Umzug in Markdorf nach einer halben bis dreiviertel Stunde fertig war, ist man mit drei Autos nach Immenstaad zum nächsten Umzug. Heute sei das undenkbar, unangemeldet und unbürokratisch auf einen Umzug zu gehen. Dafür hat er jedoch Verständnis: „Eine Gruppe mit vielen Leuten kann nicht mehr machen, was sie will. Das hängt auch mit versicherungstechnischen Dingen zusammen. Wenn eine Gruppe auf einen Ball will, dann wird erwartet, dass sie es dem Zunftmeister oder der Zunftmeisterin sagt.“

Die heutigen Zeiten sind andere

Ein No-Go wäre heute auch die damalige Gepflogenheit: An der Fasnet durch die Stadt fahren und beim „Käfer“ auf der hinteren Stoßstange stehen. Die Zeiten heute haben aber auch Vorteile: „Wir Kaujohle waren 2018 bei einem Treffen beim Regierungspräsidium Tübingen. Da hat ein gleichaltriger Mann gemotzt und gemeint, eine Frau als Chef ginge gar nicht. Ich habe ihm gesagt, wir leben im Jahr 2018 und nicht 1975, es gilt Gleichberechtigung. Wir haben eine Zunftmeisterin, wir sind modern!“

Früher war man auch weniger unterwegs. Heute beteilige man sich an der Fasnacht an drei Narrentreffen. „Man muss den Mitgliedern etwas bieten“, so Rainer Steffelin. Ihm macht das riesigen Spaß, besonders die zweitägigen Treffen. „Fasnet ist schnell rum, dauert zwischen sechs und vier Wochen. Sport- oder andere Vereine haben das ganze Jahr über Termine.“ Viele Freundschaften hat die Brauchtumspflege gebracht und die will der begeisterte Narr auch weiter pflegen. „Wenn ich einem jungen Mann im Wege stehe, der Narrenrat werden will, dann höre ich aber sofort auf, denn die Jungen braucht man, die sind die Zukunft, ich bin Vergangenheit“, sagt er ganz nüchtern.

Ein überdimensionaler Sektkelch symbolisierte diesen Wagen – einer von zwölfen (!), mit denen die Markdorfer vor etwa 80 Jahren ...
Ein überdimensionaler Sektkelch symbolisierte diesen Wagen – einer von zwölfen (!), mit denen die Markdorfer vor etwa 80 Jahren die Monate darstellten. Rainer Steffelins Vater Georg hatte diesen mitgebaut. | Bild: Privat
Vermutlich in den 60er-Jahren entstand dieses Foto mit den Zwergen und Frauen beim Umzug durch Markdorf.
Vermutlich in den 60er-Jahren entstand dieses Foto mit den Zwergen und Frauen beim Umzug durch Markdorf. | Bild: Privat

Das Gremium bei der Narrenzunft ist gewachsen

Den größten Wandel sieht er im Gremium. Bestand der Narrenrat ehemals aus nur wenigen Leuten, sind es heute insgesamt 30 in allen Abteilungen, wodurch Entscheidungen demokratischer getroffen werden, „und man ist näher zusammengerückt, Gottseidank“. Das spiegelte sich auch im gemeinsamen Schunkeln von Narrenrat und Mäschgerle wider, ehemals undenkbar. „Nicht jeder Narrenrat war ein Narr, sondern nur narret“, schmunzelt Rainer Steffelin. Heute habe sich das total geändert und man könne heute besser seine Meinung äußern.

Sieben Bälle hatte man in den Anfangszeiten ausgerichtet, hinzu kam das Treiben in den Wirtschaften mit viel Musik. Man war mehr im Städtle unterwegs und hatte tollere Wagen gebaut.

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Karl Restle (links) als Narrenmutter und Hans Schleicher als Narrenvater in der Markdorfer Fasnacht.
Karl Restle (links) als Narrenmutter und Hans Schleicher als Narrenvater in der Markdorfer Fasnacht. | Bild: Privat

„Bunte Platte“ in der Stadthalle war der Höhepunkt

Und natürlich die „Bunte Platte“, die es bis 1970 gab. Ein abendfüllendes närrisches Programm in der lediglich gestuhlten Stadthalle. Den ersten Teil hatten freie Gruppen gestaltet, Vereine wie der Kolpingchor beispielsweise, der zweite Teil bestand aus einem durchgängigen Programm, ähnlich einem Theaterstück. Die Texte hatte der fasnetsbegeisterte Wolf Zimmermann verfasst, alle mit lokalem Bezug, und dazu noch Schlager umgedichtet.

Die Musiker wie „Die Gitanos“ hatten noch keine Lastwagen voller Technik für ihren Auftritt benötigt. „Da kamen die Leute aus den umliegenden Gemeinden, ganze Busse voll. Die Bunte Platte war weithin bekannt. Jedes Jahr musste es noch toller sein“, erinnert sich Steffelin. Das Ende kam, als die Kosten den Eintritt aufgefressen hatten und Wolf Zimmermann sich gezwungen sah, wegen beruflicher Beanspruchung aus zeitlichen Gründen aufzuhören.

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In den Markdorfer Wirtschaften wurde kräftig gefeiert

In den Wirtschaften hatte man weitergemacht; alle hatten damals einen Saal: „Lamm, Schwanen, Walser, Krone, Rebstock“. Man sei von Gasthaus zu Gasthaus gezogen und war erst morgens um vier wieder zuhause: „Eine Woche Urlaub zu nehmen war von Vorteil.“ Morgens um 11 Uhr traf man sich zum Frühschoppen.

Nach der „Bunten Platte“ kamen mehr Bälle und Bewirtung. Das bedeutete viel Arbeit, die aber immer Spaß gemacht hatte. Jahrelang engagierte sich Rainer Steffelin hier – bis es Anfragen zum Mitarbeiten gab. Heute suche man Helfer. Mit einem Punktesystem, das nicht durch Geld einlösbar ist, darf sich jedes Mitglied arbeitenderweise einbringen – oder seinen Partner schaffen lassen.

Die „Schaffmannschaft“ im Zuhause der Narren im Obertor. Rainer Steffelin (links) hatte ausnahmsweise einmal frei.
Die „Schaffmannschaft“ im Zuhause der Narren im Obertor. Rainer Steffelin (links) hatte ausnahmsweise einmal frei. | Bild: Privat

„Früher war einiges anders, nicht unbedingt besser“, meint der Narrenrat. Die Narrenzunft sei ein Verein zur Erhaltung des Brauchtums – das ändere sich nicht, genauso wenig wie das Narrenbaumsetzen, der Rathaussturm durch den Vermessungstrupp, die Kinder ziehen nach wie vor den Narrenbaum zum Marktplatz. Der Hemdglonkerumzug sei abgemagert. Früher gab es ihn nur in Markdorf und Konstanz und die letzten Hemdglunkis wurden laut Steffelin noch um 11 Uhr am Freitag im Städtle gesehen, aber durch die Umzüge in Kluftern und Bermatingen sei die Zahl der Weißgekleideten weniger geworden und nach dem Zug durchs Städtle verlaufe es sich, während ehemals die Wirtschaften lange voll waren.

Früher gab es am Jahrmarkt schulfrei

Gerne denkt Rainer Steffelin noch an schulfrei beim Jahrmarkt zurück. „Heute ist anderes wichtiger und mehr wert und heute würde auch keine Firma mehr wegen des Jahrmarkts schließen, das Geschäft geht vor.“ Genau in Erinnerung hat er einen bestimmten Fasnetsmendig: Er musste im gelernten Beruf als Groß- und Einzelhandelskaufmann in einem Gebäude in der Ailinger Straße in Friedrichshafen alle Leitungsstrecken nachmessen: „Ich war total sauer!“

Manfred Ill hatte extra einen Buchbindekurs belegt, um die von ihm verfasste Chronik der Vermesser, die Rainer Stefflin in den Händen ...
Manfred Ill hatte extra einen Buchbindekurs belegt, um die von ihm verfasste Chronik der Vermesser, die Rainer Stefflin in den Händen hält, wertig zu gestalten. | Bild: Christiane Keutner

Mit einem gewissen Fatalismus nimmt er die fasnetlose Zeit im Corona-Jahr hin: „Das Leben ist, wie es ist. Ich will mich nicht über Dinge ärgern, die unabänderlich sind. Toll ist es nicht, aber in jüngeren Jahren wäre es schlimmer gewesen. Man wird gelassener. Corona können wir nicht ändern, da müssen wir durch.“

Natürlich vermisse er die Zunft, die Narrenratsitzungen, das Gemeinsame, die Sozialkontakte und den zweiwöchentlichen Treff mit dem Vermessertrupp, mit dem er 1999 in Budapest war, das in London handgefertigte Markenzeichen Melone auf dem Kopf.

Der Narrenrat auf großer Reise: 1999 verbrachte Rainer Steffelin (dritter von rechts) mit seinen Kameraden ein paar Tage in Ungarn.
Der Narrenrat auf großer Reise: 1999 verbrachte Rainer Steffelin (dritter von rechts) mit seinen Kameraden ein paar Tage in Ungarn. | Bild: Privat

Seit über 40 Jahren gehört er hier dazu und pflegt gewachsene Freundschaften: „Wir sind eine aussterbende Zunft. Die EU schützt Arten, aber wir haben noch kein Geld bekommen“, witzelt er, ist aber froh über die bereits auch schon etwas in die Jahre gekommenen „Jungvermesser“. Hauptsache, die Fasnet lebt!

Bei den Wagen legten sich de Markdorfer richtig ins Zeug: Hier reisten sie mit den vielen Zuschauern an Fasnacht in die Südsee.
Bei den Wagen legten sich de Markdorfer richtig ins Zeug: Hier reisten sie mit den vielen Zuschauern an Fasnacht in die Südsee. | Bild: Privat
Beim Thema Südsee hatte sich Rainer Steffelins Onkel Fritz eingebracht, der hier mit einer unbekannten Dame flirtet.
Beim Thema Südsee hatte sich Rainer Steffelins Onkel Fritz eingebracht, der hier mit einer unbekannten Dame flirtet. | Bild: Privat
Chinesen karrten ihre „Obrigkeiten“ durchs Städtle.
Chinesen karrten ihre „Obrigkeiten“ durchs Städtle. | Bild: Privat
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Im Dritten Reich wurde von NS-Seite ein „deutscher Karneval“ mit „volkstümlichem Brauchtum“ gefordert, christliche Bezüge sollten ganz verschwinden. | Bild: Privat