Die Fasnet 2021 lebt pandemiebedingt ebenso von den Erinnerungen wie die Tradition der Markdorfer Wagenbauer. „Wir hatten immer eine Mordsgaudi zusammen“, sagt Berthold Haller lachend, als er die Bilder in seinen Fotoalben anschaut. Bilder der Markdorfer Fasnet und einer 40-jährigen Geschichte der Wagenbaugruppe.
„Heute fehlen mir die Kontakte sehr“, sagt Berthold Haller und meint damit nicht nur die längst vergangenen Zeiten, sondern auch und besonders die derzeitigen Kontaktbeschränkungen.
Denn auch nach dem Ende dieser Tradition – es war das Jahr 1999 – hätten sich die Pioniere von damals oder deren Nachfolger immer noch regelmäßig getroffen. „Mal sind wir zusammen zum Fahrradfahren oder haben im Mehrgenerationenhaus Kaffee getrunken; im Winter spazieren gegangen“, berichtet Berthold Haller seufzend. Aber das ginge jetzt wegen Corona nicht.
Der Startschuss fällt 1959
In Markdorf wurde das Jahr 1959 geschrieben – der erste Wagen lief pünktlich zum Fasnetsunndig-Umzug vom Band, das freilich keines war, sondern Berthold Hallers Schuppen am Stadtgraben. „Die Idee entstand beim damaligen Eröffnungsball“, erinnert sich Haller an den ersten Auftritt als recht makaberes OP-Team zusammen mit Bruno Rid sowie Gregor und Clemens Axenik.
„Wir hatten auf unserem gebastelten OP-Tisch sogar echte Därme in den Hosentaschen versteckt, die wir dann rausgezogen und abgeschnitten haben“, lacht Haller verschmitzt und freut sich noch heute über diesen publikumswirksamen Schauder, als ob es gestern gewesen wäre.
Heute ist Berthold Haller fast 79 Jahre alt – und seit 71 Jahren Mitglied in der Historischen Narrenzunft Markdorf. Folgt man seinen Erzählungen aus dieser langen Zeit, hat sich an seiner Begeisterung für die Fasnet, insbesondere für den Wagenbau, nichts geändert. Nur die Besatzung der Wagenbauer, die veränderte sich im Laufe der Jahre immer wieder.

Berthold Haller gerät ins Schwelgen. „Da gäb es so Vieles zu erzählen“, holt er einmal tief Luft. „Die besten Ideen kamen uns immer, wenn wir nur lange genug beieinand gehockt sind“, lacht er – während das Wort „Beieinand“ aktuell in weite Ferne rückt. Dass dabei das eine oder andere Bier manch durstige Kehle hinunter geflossen sei, daraus macht er keinen Hehl.
Eine unermüdliche Ideenschmiede
Fast 40 Wagen in 40 Jahren – das ist die Bilanz einer Markdorfer Tradition, die nun schon seit 22 Jahren Geschichte ist. „Nur zu den großen Ringtreffen hatten wir keinen Wagen gebaut“, sagt Haller. Ansonsten hätten er und seine Mitstreiter kein Jahr ausgelassen. Manche Fahrzeuge sind ihm noch heute in ganz besonderer Erinnerung, und manche Anekdoten dazu.
Sei es etwa der Almhütte-Wagen zum 100-jährigen Bestehen der Stadtkapelle oder 1986 die Idee zum ersten Markdorfer ÖPNV-Konzept in Form eines Maxi-Fahrrads, das aus sechs alten Göppeln zusammengeschweißt war. „Das ist am Anfang ein paar Mal zusammengekracht, bis wir‘s dann richtig hinbekommen hatten“, erzählt Haller. Erster Fahrgast der neuen Markdorfer Verkehrsbetriebe sei am Fasnetssunndig der ehemalige Bürgermeister Eugen Baur samt seiner Familie gewesen.

Wider den tierischen Ernst
Die Wagenbauer nahmen mit der Zeit immer mehr Fahrt auf, die Konstruktionen wurden Jahr um Jahr ausgefeilter, die Ideen immer wagemutiger. Das gipfelte am Rosenmontag 1976 sogar in (vermeintlich) parteipolitischem Aktionismus. Als DNP – Deutsche Narren-Partei – war die Truppe mit einem Wahlkampf-Wagen unterwegs und plakatierte die ganze Innenstadt. Partei-Spitzenkandidat war kein Geringerer als „Onurb Dir“, besser bekannt als Bruno Rid; das Zugtier des Wagens war ein Esel.


Einige ernsthaft ambitionierte Narren hätten laut Berthold Haller dies wohl für eine ausgemachte Sauerei gehalten. „Ich weiß noch, wie der Koners Heinz gemault hat“, lacht er sich noch heute ins Fäustchen. „Jetzt werden schon in der Fasnet Wahlplakate aufgehängt!“ Haller gibt gespielt Koners‘ Empörung wieder. Erst später hätte Heinz Koners wie manch anderer das Kleingedruckte gelesen.
Von der ersten Stunde bis zum Stapellauf des letzten Wagens 1999 hat Berthold Haller diese Tradition begleitet. Solange, bis die Markdorfer Wagenbauer 1999 mit ihrem letzten Wagen unter dem Motto „Für die Kinder dieser Welt“ als Imker im Biene-Maja-Wagen samt eines überdimensionierten Bienenkorbs ein letztes Mal am Umzug teilnahmen. Und eine Tradition durch diesen wundervoll stimmigen Abflug bis heute in einem sonoren Summen nachklingt.

Wagenbauer durch die Jahrzehnte

