Als Ingeborg Rott 1964 vom Gardemajor angerufen wurde, ob sie Lust hätte, zur Garde zu kommen, konnte sie es kaum glauben: Die gebürtige Ulmerin, die 1949 dreijährig nach Markdorf kam, kann sich noch genau an ihr Gefühl erinnern: „Ich bin zum Himmel gewachsen, das war eine Ehre!“
In der Tat. In der 1950 gegründeten Garde durften nur acht Mädchen und der Gardemajor sein; in dieser Position war sie sieben Jahre. In der Garde lernte sie auch Brigitte Bisinger kennen. Beide eint bis heute nicht nur beste Freundschaft, sondern auch Geburtsdaten in närrischer Zeit: Ingeborg Rott ist am 12. Februar zur Welt gekommen, Brigitte Bisinger am 11. November.

Die gebürtige Berlinerin Brigitte Bisinger kam 1963 zur Garde – trotz des Verbots ihrer Eltern: „Ich war 19 und damals war man erst mit 21 Jahren volljährig. Ich bin dann aber heimlich gegangen.“ Als dies herauskam, stand die Mutter, eine gebürtige Markdorferin, voll hinter ihr, der Vater war Berliner und konnte mit Fasnet nichts anfangen.
Plätze in Garde einst sehr begehrt
Während Plätze in der Garde viele Jahre sehr begehrt waren, werden heute die Gardemädchen eher gesucht. Verständlich, meint Bisinger: „Wir hatten nichts, für uns gab es groß nichts Anderes als Fasnacht und heute gibt es so viele Freizeitangebote. Man kann das ganze Jahr über in die Disco und zum Tanzen. Für uns war Fasnacht das große Highlight. Vor der Fastenzeit hast du Gas geben können, da war was los.“ Und Fasnet war auch eine Kennenlernplattform. Es hatten sich hier und da Pärchen gefunden. Wenn man verheiratet war, durfte man nicht mehr in der Garde sein. Bei Rott gab es eine Ausnahme: Sie ging 1970 ihre Ehe ein und war bis 1972 Gardemajor. Stiller ist‘s im Städtle geworden. Beide erinnern sich: „Jeder Verein hatte einen eigenen Ball und in jeder der vielen Wirtschaften war was los.“ Am Fasnetssamstag ist man verkleidet von Wirtschaft zu Wirtschaft zum Schnurren gegangen und hat die Leute durch den Kakao gezogen. „Eines Tages nahm mich meine Mutter mit, damit ich das Schnurren auch lerne. Sie hat zu einem Gast gesagt, er solle abends die Vorhänge zuziehen, sie sehe immer, wie er sich ausziehe. Ich war damals 21 oder 22 und habe mich so geschämt!“, berichtet Bisinger.

Das Schnurren habe mit dem Zuzug vieler Menschen nachgelassen. „Da hat sich vieles verändert“, so Rott. Auch das Treiben in den Wirtschaften wurde weniger. „Die Kapellen hatten mittlerweile einen Haufen Geld verlangt.“ Zu gern denkt sie auch an den von der Stadtkapelle ausgerichteten Weiberball am Fasnetsmontag zurück: „Es spielten immer zwei Kapellen, die eine Volksmusik, die andere flotte Musik, alles nonstop.“ Das zog viele Besucher auch aus Friedrichshafen an. „Halb Porsche-Diesel hat sich Tische bestellt und ist zum Weiberball, auch am Schmotzigen. Damals hatten kleine Gemeinden keine Zünfte und keine Fasnet. Markdorf hatte einen guten Ruf und war eine Fasnet-Hochburg.“ Rott war durch ihre Eltern von klein an in die Fasnet eingebunden, der Vater war Narrenrat. Auch an eine weitere Begebenheit erinnert sie sich: Als das Krankenhaus geschlossen wurde, bildete sich eine Gruppe lustiger Frauen, die schwarz und mit Zylinder gekleidet mit einem Sarg das Krankenhaus zu Grabe trug. Einer fragte: „Ist das der Kriegerverein?“ Seitdem hat diese Gruppe den Namen beibehalten, obwohl sie mit dem Verein gar nichts zu tun hatte.
Ingeborg Rott schnellt gerne
Das Highlight der Markdorfer Fasnet war für Rott die „Bunte Platte“. Über zwei Stunden Programm ohne Unterbrechung und mit tollen Kostümen. „Als man Kommunion hatte, durfte man keine Fasnacht machen. Ich bin aber trotzdem zur Mittagsvorstellung, der Hauptprobe, in die Stadthalle, habe mich aber nicht getraut, zu lächeln oder zu klatschen.“ Fasnetsnärrin ist sie zeitlebens geblieben: „Ich muss zum Narrenbaumsetzen und zum Preisschnellen und habe auch dafür gesorgt, dass meine Enkel das Schnellen lernen. Da habe ich es auch probiert. Seither schnelle ich mit Leidenschaft. Wenn ich meinen Nachbarn Uwe Achilles höre, gehe ich raus und schnelle mit.“ Mit ihrer Begeisterung steckte sie die Jungen an: Eine Enkelin ist bei der Schneller-WM Weltmeisterin geworden.

Gerne denkt Rott an die vielen Auftritte mit der Garde: „Wir waren bei der ‚Bunten Platte‘ und bei allen Bällen.“ Heute tanze die Garde nur noch beim Eröffnungsball und bei den Umzügen. „Aber wo will man sich heute zeigen? Damals war in jeder Wirtschaft ein Musikant, man hat gesungen und ist weitergezogen. Im kleinen Café Bucher hat man den Keller sauber gemacht und eine Bar eingerichtet. Es gab nicht viel Platz, die Leute sind auf der Treppe gesessen, es wurde insgesamt weniger gegessen und getrunken, mehr gesungen und getanzt.“ Früher habe es mehr Spaß gemacht, weil man mehr Leute kannte, die Stimmung war toller, jeder war kostümiert. Was hatte man sich Gedanken zum Kostüm gemacht, es selbst genäht, oft in der Gruppe. Sogar die Hüte habe man selber gefertigt. Heute gingen viele in normaler Kleidung auf die Bälle. Hatten sie ihre Auftritte als Garde im klassisch rot-weißen Dress, so schlüpften die neun jungen Damen danach in ihre Rollen als Hexen, Zigeuner oder Kartenspiel. Mit den Clowns-Häsern besuchten sie den Karneval in Venedig und wurden dort begeistert aufgenommen. Ein Jahr später feierten sie in Markdorf venezianischen Karneval und belegten beim Wettbewerb, wie mit dem Kartenspiel, den ersten Platz.
2002 ein Jahr ohne Garde
Wie begeistert die Damen damals waren, zeigte sich besonders 2002, als es keine Garde gab. Nach dem – heute noch bestehenden – Stammtisch mit Spazierengehen am Mittwoch hatten sie sich kurzfristig ein Raben-Kostüm überlegt, umgehend Kartonage und Stoff gekauft. Sie trafen sich freitags zum Nähen und traten am Samstag beim Umzug und Narrenbaumsetzen für eine Stunde auf. Weil am Schmotzigen in Markdorf nichts los war, wurden sie zu Marktfrauen. Ab 1999 bis 2016 schenkten sie in der Fußgängerzone Kaffee, Eierlikör und Schnaps aus, boten selbst gebackene Kuchen und Pikantes an und spendeten den Erlös an den Verein Therapeutisches Reiten. Während all der Jahre kamen 10 284 Euro zusammen.
Nun sehnen sich die närrischen Frauen nach ihrem coronabedingt letzten Treffen im Oktober nach einem baldigen Zusammensein.