Denkwürdige Gemeinderatsitzung am Dienstagabend: Ein Bürgermeister Georg Riedmann, der sich in aller Form beim Gemeinderat entschuldigt, und Stadträte, die fassungslos ihrer Verärgerung freien Lauf lassen. Was war geschehen? Zwei Tage nach dem festlichen Tag der offenen Tür wird öffentlich, dass die Sanierung des Rathauses nicht die bis zuletzt geplanten 7,185 Millionen Euro, sondern stattdessen 8,685 Millionen kosten wird. Satte 1,5 Millionen Euro mehr, oder anders ausgedrückt: Um 20 Prozent teurer.
Riedmann: Ein „Top Desaster“
Riedmann sprach von einem „Top Desaster“ und meinte damit einerseits den späten Zeitpunkt der Information durch das beauftragte Büro GMS Architekten als auch die direkt danach ausgebliebene Kommunikation der schlechten Nachrichten von der Verwaltung an den Gemeinderat. Der wusste bis zur vergangenen Woche noch überhaupt nichts davon und auch die Verwaltung hatte diesen vorläufigen Endbetrag erst am 30. November mitgeteilt bekommen. Wie konnte dies passieren? Offenbar, so erläuterten es Riedmann und Bauamtsleiterin Monika Gehweiler, hatte das Architekturbüro seit März 2022 die Kostenberechnung nicht mehr aktualisiert – und im Rathaus wurde versäumt, den Architekten auf die Füße zu treten.
Signale wurden im Rathaus nicht erkannt
Riedmann und Gehweiler räumten mehrere Pannen ein. So seien schon im Sommer immer wieder Rechnungen eingegangen, die darauf hingedeutet hätten, dass Mehrkosten zu erwarten seien. Diese Signale seien aber nicht weiter nachverfolgt worden, so Riedmann. GMS Architekten wiederum habe vor wenigen Wochen dann eine Aufstellung eingereicht, die die Mehrkosten auf eine Million bezifferte. Am Tag vor der nichtöffentlichen Sitzung vor zwei Wochen sei dann eine zweite Aufstellung über weitere 500.000 Euro eingegangen.

Riedmanns Entschuldigung
Bevor sich Riedmann entschuldigte, ging Gehweiler noch in die Offensive. Seitens der Bauleitung – also der Architekten – habe es seit März 2022 weder eine Kostenkontrolle noch eine Risikoeinschätzung gegeben. Man sei von den Architekten seit diesem Zeitpunkt nicht mehr hinreichend informiert worden. Architekt Dietmar Kathan konnte dem nicht viel entgegensetzen. „Wir haben natürlich irgendwann gespürt, da ist viel mehr in den Aufträgen drin“, sagte er. Die fehlende Kontrolle der Bauleitung sei ein klares Versäumnis der Verwaltung, sagte Riedmann, und deren Folgen nun das „Eingeständnis eines Kommunikationsdesasters der Verwaltung an den Gemeinderat“. Er fügte hinzu: „Sie haben Anspruch darauf, dass Sie zeitnah über negative Entwicklungen informiert werden, das ist nicht passiert.“ Er bitte um Entschuldigung.
UWG-Rat Mutschler: Konsequenzen prüfen!
Im Gemeinderat herrschte für einen langen Moment betretenes Schweigen, ehe sich UWG-Fraktionschef Joachim Mutschler zu Wort meldete. Ihm gehe es wie allen anderen im Gremium, sagte er: „Mit dem Umgang mit der Transparenz bei der Kostenentwicklung bin ich nicht einverstanden.“ Im Rat diskutiere man teils über Kleinbeträge „und jetzt werden wir mit 1,5 Millionen überrascht“. Angesichts der jährlich zweistelligen Investitionen gehe es auch um die Frage, wie sehr das Bauamt belastet sei. Nicht in Schutz nehmen wolle die UWG hingegen das Büro. Die Verwaltung müsse eventuelle Konsequenzen gegen GMS Architekten prüfen. Auf diese Weise könne man nicht miteinander umgehen, sagte SPD-Chef Uwe Achilles: „Die Bürger erwarten von uns, dass wir verantwortungsvoll mit ihren Geldern umgehen.“ Die Verwaltung hätte nachhaken müssen.
FDP-Mann Haas: „Wurden bewusst getäuscht“
Ob damit auch tatsächlich das Ende der Fahnenstange sei, halte er noch für fraglich, sagte FDP-Mann Rolf Haas. Vielleicht sei auch er selbst als Mitglied des „Kontrollorgans“ zu leichtgläubig gewesen. In seinen Augen sei der Gemeinderat „bewusst getäuscht“ worden. Das „Controlling“ der Verwaltung habe „komplett versagt“. Wenn 1,5 Millionen am Gemeinderat vorbei freigegeben würden, sei dies eine „Pflichtverletzung“. Seit 2022 sei der Bauleiter „komplett im Off verschwunden und jetzt plötzlich mit diesen Mehrkosten wieder aufgetaucht“, sagte CDU-Chefin Kerstin Mock. „Was kommt da jetzt noch?“, fragte sie. Ohne Informationen, so FW-Rat Arnold Holstein, könne der Gemeinderat seine Aufgaben für die Bürger nicht leisten. Entweder seien die zu erwartenden Kosten für den Baubeschluss „schöngerechnet“ worden oder die Verwaltung sei blauäugig in das Vorhaben gestartet. Der Architekt jedenfalls sei seinen Aufgaben nicht nachgekommen, so Holstein: „Und die Verwaltung muss besser arbeiten, so funktionieren die Abläufe nicht.“

Riedmann am Tag danach: Dank an die Fraktionen
Im Rat hatte Riedmann noch zerknirscht gesagt: „Der Gemeinderat ist die Bauherrschaft, wir sind die Angestellten.“ Den Vorwurf einer bewussten Täuschung wolle er aber zurückweisen. Tags darauf sagte er im Gespräch mit der Redaktion: „Ich bin froh und dankbar über die hohe Qualität der Aussagen aus den Fraktionen.“ Die Verwaltung werde an sich arbeiten, damit sich solches nicht wiederhole.
Architekt Kathan: „Uns wird halt alles in die Schuhe geschoben“
Rund 800.000 Euro bekommt das Architekturbüro für seine Dienste am Rathaus. Wie reagiert man dort auf die Breitseiten aus dem Gemeinderat? Etliche Vorwürfe, etwa der der bewussten Täuschung, seien „unter der Gürtellinie“ gewesen, sagt Dietmar Kathan auf Anfrage. Sein Büro habe erst im November die Honorare der anderen beteiligten Unternehmen bekommen. „Aber die Gesamtverantwortung wird halt immer dem Architekten in die Schuhe geschoben.“ Vielleicht habe er „ein wenig spät“ kommuniziert, aber sein Büro GMS sei nicht der Alleinschuldige. Und die Krisen in der Welt könne man ja auch nicht ausblenden, auch wenn das einen Gemeinderat erst einmal nicht interessiere. „Aber dass Kalkulationen von 2022 in 2024 nicht mehr aktuell sein können, müsste eigentlich jedem klar sein.“