Fürsorge ruht nicht. Schon gar nicht, wenn sie sich von Amts wegen um kindliches Wohlergehen zu kümmern hat. Dann sorgen sich die behördlich bestallten Hüter des Kindsglücks rund um die Uhr und sieben Tagen in der Woche um ihre Schützlinge – selbst an Weihnachten und sogar wenn die Schützlinge längst adoptiert sind, längst ein schönes Zuhause gefunden haben samt üppig geschmücktem Weihnachtbaum und Familie im Festtagsstaat.

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Am Anfang sind noch alle glücklich

So schaut es aus in der ersten Szene von „Annie Warbucks“. Wenn das Musical“ beginnt, sind noch alle glücklich. Die kleine Annie hat nach den im ersten „Annie“-Musical erzählten Irrungen und Wirrungen doch ein schönes Zuhause gefunden – beim herzensguten Milliardär Oliver Warbucks. Wie es dazu kam, wie sich Annie aus den Fängen der fiesen Waisenhausleiterin Miss Hannigan retten konnte, das haben die Markdorfer vor zwei Jahren erfahren, als das Team um Margit Koch-Nedela, der musikalischen Leiterin, und Regisseur Wilfried Klöck das Broadway-Erfolgs-Musical „Annie“ inszenierten. Das ebenfalls für Stadt und Musikschule beim Stadtfest, so wie auch nun die „Annie“-Fortsetzung „Annie Warbucks“, die übrigens die Deutschland-Premiere des Anfang der 1990er-Jahre geschriebenen Musiktheaterstücks ist.

Kommen Grace (Carina Kessler) und Warbucks (Wilfried Klöck) doch noch zusammen?
Kommen Grace (Carina Kessler) und Warbucks (Wilfried Klöck) doch noch zusammen? | Bild: Jörg Büsche

Wieder ist es die fabelhafte Paula Stützenberger, die die Böse mimen darf. Vor zwei Jahren gab sie die Heimleiterin. Jetzt spielt sie die Dame von der städtischen Wohlfahrtsbehörde: Oberinspektorin Harriet Doyle – herrisch, unbeherrscht, rechthaberisch, brutal. Dass sie an Weihnachten bei den Warbucks einfällt, sagt bereits alles. Doch dass ihr – obendrein mit kleinlicher Regel-Pedantie gepaartes – gebieterisches Gehabe vor allem eine Maske ist, das geht den Zuschauern erst im weiteren Verlauf des Musicals auf. Wenn jenes perfide Komplott aufgedeckt wird, mit dem die verbrecherische Oberinspektorin und ihre nicht minder verbrecherische Tochter Florence (Carina Spießmacher) die kleine Annie (Florina Nagy und Ida Brutsch) ihrem Adoptivvater (Wilfried Klöck) entreißen wollen.

Gesanglich noch mehr auf der Höhe als in Sachen Bosheit: Paula Stützenberger und Carina Spießmacher.
Gesanglich noch mehr auf der Höhe als in Sachen Bosheit: Paula Stützenberger und Carina Spießmacher. | Bild: Jörg Büsche
Muss Annie (Florina Nagy, zweite von links) zurück ins Waisenhaus?
Muss Annie (Florina Nagy, zweite von links) zurück ins Waisenhaus? | Bild: Jörg Büsche
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Keine Frage, die Geschichte hätte Stoff für mindestens zwei TV-Serien geboten: mit ihren Intrigen und Winkelzügen, mit ihren dem Musical-Genre so eigentümlichen mal glücklichen, mal anrührenden Begegnungen, mit ihren Momenten schierer Ausweglosigkeit und ihrer so typischen unverhofften Auflösung zum Schluss. Endlich, endlich heiraten die Richtigen. Die Bösewichtinnen bekommen auch ihre verdiente Strafe – nicht wie im wahren Leben, eher wie im Märchen. Musical-Autor Thomas Meehan musste dafür ganz tief in die Pathos-Rührseel- und Traum-Kitsch-Dose greifen.

Inszenierung durch ihre märchenhafte Atmosphäre

Der Chor der Hausbediensteten.
Der Chor der Hausbediensteten. | Bild: Jörg Büsche

Und doch überzeugte die Inszenierung durch ihre durchgehend märchenhafte Atmosphäre. Selbst der Bühnenhund überzeugte. Ganz grandios waren die Waisenhauskinder. Ob singend, ob sprechend, hier traurig, dort kess – sie bezauberten. Ebenso prima besetzt: die Annie-Rolle und die ihrer neuen Freundin vom überfluteten Ufer des Flusses Tennessee mit dem Kurznamen C.G. Apropos Flutkatastrophe: Sie und die große Depression bieten den beklemmenden Hintergrund des „Der gute-Tellerwäscher-Milliardär“-Märchens.

Margit Koch-Nedela bedankt sich bei Ensemble, Helferteam und beim Publikum.
Margit Koch-Nedela bedankt sich bei Ensemble, Helferteam und beim Publikum. | Bild: Jörg Büsche

Den Stoff, über den die erwachsenen Besucher nachdenken durften, während ihre Kinder über die wunderschönen Bilder auf der Bühne stauen konnten. An der Musik und an der Choreografie freilich konnten sich Jung wie Alt freuen. Ende gut, alles gut – schade nur, dass dies das letzte Musical des Inszenierungs-Duo Margit Koch-Nedela und Wilfried Klöck sein soll.