Frau Taube, wie wird man Inklusionsbeauftragte?
Ich habe Kulturwissenschaften studiert und in diesem Rahmen ein Jahr in Chile verbracht. Hier habe ich als 24-Jährige die Auswirkungen des Neokapitalismus unmittelbar gesehen und erlebt. Ich bin quasi aufgewacht. Zurück in Deutschland nahm ich auch hier Zusammenhänge stärker wahr. In meiner Magisterarbeit beschäftigte ich mich mit Friedenspädagogik und arbeitete im Anschluss sechs Jahre in diesem Bereich in der Erwachsenenbildung. Im Februar 2015 las ich die Stellenausschreibung der Gemeinde Oberteuringen und fühlte mich direkt angesprochen. Die Arbeit als Inklusionsbeauftragte ist genau das, was ich mir langfristig für mein Berufsleben gewünscht habe.

Ganz kurz, was versteht man unter Friedenspädagogik?
In einer Welt, die stark von Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Gewalt und ökologischer Zerstörung geprägt ist, soll sie Menschen befähigen, eigene Ansichten und Handlungsweisen zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern, sodass ihr Wirken in ihrem persönlichen Umfeld, in dem sie sich in ihrer Arbeit und privat bewegen, dem Frieden zuträglicher ist. Kurz – sie beschäftigt sich damit, was dem Frieden dient und das beginnt bereits im ganz Kleinen. Hier schließt sich quasi der Kreis zur Inklusion als Vision einer Gesellschaft, in der jeder seinen Platz findet. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch dazu gehört. Dabei ist es egal, wie er aussieht, welche Sprache er spricht oder ob er eine Beeinträchtigung hat.
2013 sind Sie von Berlin an den Bodensee gezogen. Wie kam es dazu?
In Berlin habe ich mitten in Kreuzberg gelebt und die Natur total vermisst. Ich belegte Kurse bei Naturschulen und hatte in diesem Zusammenhang auch Kontakt mit indigenen Völkern. Ihr tiefer Bezug zur Natur hat mich sehr berührt. Zusammen mit Freunden habe ich dann geschaut, wie und wo wir leben wollen. Wir belegten einen Kurs bei einer Wildnisschule am Bodensee und waren von der Region sehr fasziniert. Ja, so kam es zum Umzug in den Süden. Zuerst habe ich von hier aus weiter für eine Non Governmental Organisation (NGO) gearbeitet. Dann entstand der Wunsch, hier in Deutschland an einem guten Miteinander in der Gesellschaft mitzuwirken.
Das Stellenangebot als Inklusionsbeauftragte kam also genau zum richtigen Zeitpunkt.
Ja, zunächst für ein Jahr befristet und vom Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg finanziert. Inzwischen bin ich für diese Aufgabe unbefristet bei der Gemeinde Oberteuringen angestellt, was in diesem Bereich eine echte Besonderheit ist. Sowohl Bürgermeister als auch Gemeinderat halten die Stelle angesichts der Veränderungen im Ort für gut und wichtig und haben ein Bewusstsein für eine langfristige Begleitung. Darüber freue ich mich natürlich sehr und bin dankbar. Mit dem Haus am Teuringer als neuem Ort, an dem Gemeinschaft entstehen kann, ist zu meinen Aufgaben nun noch viel mehr Gemeinwesenarbeit hinzugekommen.
Was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit?
Es ist eine sehr kreative Arbeit, bei der ständig immer wieder Neues geschieht. Konzeptionell und in der Umsetzung arbeite ich dafür im Büro für Gemeinwesenarbeit eng mit meinem Kollegen Michael Friedrich-Gaire von den Lebensräumen für Jung und Alt der Stiftung Liebenau zusammen. In verschiedenen Konstellationen bringen wir unterschiedliche Akteurinnen und Akteure, Vereine und Institutionen zusammen. Ziel der Inklusion in Kommunen ist ja, dass sich jeder, der hier in der Gemeinde lebt, willkommen fühlt, Anschluss findet und bei Bedarf auch Unterstützung erhält. Das gilt auch für Menschen, die auf eine Gruppe stoßen, der sie zunächst und selbstverständlich nicht angehören. Dazu gehören Neugier und Offenheit und ein Verantwortungsgefühl dafür, dass jeder einen würdevollen Platz in der Gesellschaft findet. Gemeinsam mit bürgerschaftlich Engagierten und Einrichtungen aus der Gemeinde bringen wir Aktionen für eine inklusive Gemeinde auf den Weg. Beispiele sind der neu eingerichtete Neubürgerempfang, Projekte wie Oberteuringen tanzt, Veranstaltungen zur Unterstützung des Ehrenamts wie das Café der Möglichkeiten oder das Adventssingen. Das Haus am Teuringer mit seinen Räumen bietet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich mit ihren Ideen zu engagieren. Allein der Ort mit Kindergarten, Mediathek, Café, Familientreff, Haus der Pflege und Bildungs-, Begegnungs- und Förderzentrum führt ja schon viele Menschen zusammen.
Welche Eigenschaften müssen Sie denn als Inklusionsbeauftragte mitbringen?
Zunächst die Lust, mit anderen zusammen kreativ zu gestalten. In Projekten mit vielen ganz unterschiedlichen Beteiligten habe ich eine Vermittlungsaufgabe. Da hilft mir eine wertschätzende Kommunikation. Natürlich muss ich den Inklusionsgedanken selbst als Haltung verinnerlicht haben. Für meine Aufgabe brauche ich außerdem Flexibilität und Offenheit für die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Akteurinnen und Akteure.
Was sind Ihre konkreten Ziele für Oberteuringen? Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Ich wünsche mir, dass sich immer mehr Bürger mit ihren Interessen und Fähigkeiten reinschenken und Projekte anbieten, die Menschen zusammenbringen, die sich sonst vielleicht nicht getroffen hätten. Ein Ziel von uns aus dem Büro für Gemeinwesenarbeit ist, dass auch Bürger aus den Ortsteilen, noch mehr Anschluss finden. Dafür möchten wir Netzwerke weiter aufbauen und ausdehnen. Dazu gehört auch, zum Beispiel im Internet noch mehr Transparenz für die verschiedenen Angebote und Möglichkeiten zu schaffen.
Wie gut haben Sie sich denn selbst als „Nordlicht“ am Bodensee eingelebt?
Meine Familie und den Wind mit seiner salzigen Nordseeluft vermisse ich bisweilen. Abgesehen davon geht es mir total gut hier, ich bin so dankbar für die Wälder, die Quellen und Flüsse, die Berge und natürlich den Bodensee. Ich könnte dieser Landschaft immer wieder Liebeserklärungen schreiben. Außerdem gibt es in unserer Region hier viele inspirierende Menschen, die alternative Lebensweisen ausprobieren, spannende Menschen aus aller Welt einladen und auch kulturell die Welt zu uns in die Region bringen. Ich fühle mich auch mit den Menschen sehr wohl hier.
Haben Sie einen ganz persönlichen Tipp für Neubürger?
Eine gute Idee ist sicher, auf einen Kaffee im Büro für Gemeinwesenarbeit im Haus am Teuringer vorbei zu kommen. Wir unterstützen gerne dabei, etwas Geeignetes zu finden oder eigene Angebote zu machen.