Die Reihe der vom Kulturamt des Bodenseekreises herausgegebenen „Salemer Hefte“ ist um einen interessanten Band reicher geworden. Unter dem Titel „Auch ich hatte Schlimmes über Internate gehört“ gibt der heute in Überlingen-Goldbach lebende Klaus Schultze einen Einblick in seine Erinnerungen an seine Jahre an der Schule Schloss Salem von 1940 bis 1948. Stefan Feucht, Leiter des Kreis-Kulturamtes, sprach bei der Vorstellung des Werkes im Kapitelsaal von Kloster und Schloss Salem von einer „politischen und emotionalen, aber gleichzeitig auch einer teilweise humorvollen Erweckungsgeschichte“. Landrat Lothar Wölfle empfahl den Besuchern sich dieses Buch mit seinem breit angelegten Erzählbogen „zu Gemüte zu führen“.

Fehlte da dem einen oder anderen der über 100 Besucher der Buchvorstellung noch der letzte Kick für diese Lektüre, dann hat ihn auf jeden Fall Johanna A. Wolf aus Überlingen mit ihren lebhaften Lesungen aus dem Buch geliefert. Sie begann mit den Schilderungen vom Vorstellungsgespräch des damals zwölfjährigen Jungen in der Schlossschule. Glücklich war Klaus Schultze, wie er schreibt, nicht darüber, in ein Internat gehen zu sollen. Seine Eindrücke von Salem waren aber dann doch anders, als er sich das Internatsleben vorgestellt hatte. „Mir fiel auf, wie locker und lässig die Schüler mit ihren Hockeyschlägern und Pullovern über den Schultern daherkamen, im Büro freundliche Damen. Neugierig beobachtete ich das Kommen und Gehen der Lehrer und Schüler. Keiner sagte Heil Hitler.“ Und dann erschien der Schulleiter Heinrich Blendinger. Klaus Schultze gibt eine ziemlich detaillierte Beschreibung seines Äußeren, als auch seines Auftretens. So wie er an anderen Stellen auch seine späteren Lehrer und Lehrerinnen charakterisiert, mitunter mit einem Schuss Ironie.
Statt nach Salem ging es nach Hohenfels und Hermannsberg
Enttäuscht war Klaus Schultze dann aber, als er nicht nach Salem kam, von wo er doch einen so guten Eindruck mitgenommen hatte, sondern ín die Außenstelle nach Hohenfels und dann nach Hermannsberg, wo die unteren Jahrgänge des Salem-Internats untergebracht waren. Dort ist durch das Zutun einer Lehrerin in Klaus Schultze das Interesse an der Kunst erwacht, das später wohl seinen beruflichen Werdegang zum Keramikkünstler von internationalem Ruf und als Professor für Keramik an der Akademie der Bildenden Künste in München vorzeichnete.
In Hermannsberg hat Schultze aber auch, wie er sagt, die einschneidendste Erfahrung seiner Jugendzeit gemacht. Aus einem Wochenende zuhause in Überlingen hatte er ein Hitler-Bild mitgebracht und es auf seinen Nachttisch in Hermannsberg gestellt. „Von da mieden mich meine besten Freunde“, erzählt er und fügt hinzu: „Da wurde ich hellhörig, und es warf sich in mir eine Welt in Trümmer.“ Das Nazi-Regime klopfte später auch immer stärker bei den Festen der Schule Schloss Salem an. „Aber wir spürten im Großen und Ganzen nichts von außen, wir lebten in einem Paradies“, sagt Schultze.
Im Alter von 18 Jahren hatte dieses Paradies ein Ende. Im Januar 1945 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, kehrte dann aber nach einjährigem Frontdienst und Gefangenschaft auf 38 Kilo abgemagert zurück nach Salem. „Es war nichts mehr von dem Salem von früher übrig“, schreibt er. Eine gute Handvoll Schüler, meist aus verfolgten Familien, standen für einen Neustart. Der Unterricht erfolgte aber nicht in Salem, sondern in Schloss Kirchberg, ohne Bücher, ohne Hefte. Und dann sei eines Tages das Raunen aufgekommen: „Er ist wieder da.“ Gemeint war der ins Exil nach England gezwungene Kurt Hahn, der Reformpädagoge und neben Prinz Max von Baden Mitbegründer der Schule Schloss Salem. Er habe versucht, den Laden wieder in den Griff zu bekommen.
Keramikkünstler ist auch ein Meister des Erzählens
In den Reminiszenzen von Schultze fühlt man sich mitten hinein versetzt in seine Salemer Jahre, das Alltagsleben im Internat, in Schülerstreiche und jugendliche Liebschaften, und in ein Kapitel dunkler deutscher Geschichte. Wie Schultze dazu gekommen ist, seine Erinnerungen zu Papier zu bringen? „Möglicherweise“, erklärte der heute 92-Jährige, „waren es Niederschriften, die mir ehemalige Mitschüler zugesandt haben. „Aber die waren immer so trocken“, sagte er. Als er 1993 in den Ruhestand versetzt worden sei, habe er damit begonnen, seine Erinnerungen aufzuschreiben – in einer lebendigeren Art. Dabei erwies sich der Keramikkünstler auch als Meister des Erzählens.
Zu Person und Buch
Klaus Schultze wurde 1927 in Frankfurt als Sohn eines Theaterregisseurs geboren. 1940 kam er in die Schule Schloss Salem. 1945 wurde der Schulbesuch ein Jahr lang durch Dienst in der Wehrmacht und anschließender Gefangenschaft unterbrochen. 1948 absolvierte Klaus Schultze in Konstanz eine dreijährige Töpferlehre. 1956 gründete er eine eigene Werkstatt und erhielt in der Folgezeit zahlreiche internationale Aufträge. 1979 erhielt er an der Akademie der Bildenden Künste in München eine Professur.
1989 siedelte er nach Überlingen-Goldbach über. Dort betreibt er gemeinsam mit seiner Frau Nica Haug ein Atelier. Hier begann Klaus Schultze auch mit der Verfassung seiner Memoiren an seine Salemer Jahre. Zu einem Buch aufbereitet wurden sie von seinem Freund Manfred Bosch, dem Literaturhistoriker und Publizisten.
Das vom Kulturamt des Bodenseekreises herausgegebene Werk ist in Buchhandlungen erhältlich (ISBN 978-3-945396-14-8).