Hans-Ulrich von Oertzen war einer der ehemaligen Salemer Schüler, die an der Widerstandsbewegung um Claus Graf Schenk von Stauffenberg beteiligt waren. Er hatte die Schule 1933 mit dem Abitur verlassen und stand zunächst noch auf Seiten der Machthaber. Nach seinen Erlebnissen in Russland kam er zum Umdenken und schloss sich dem Widerstand an. Für Gesamtleiter Bernd Westermeyer ist er ein Beispiel für die heutigen Schüler, an dem die Bedeutung von unabhängiger politischer Urteilsfähigkeit sichtbar wird und die Stärke, das unter schwierigen Umständen zu vertreten.

„Wir wollen politische Menschen aus unseren Schülern machen“
„Wir wollen politische Menschen aus unseren Schülern machen“, erklärt Bernd Westermeyer und das Gedenken an die Widerstandsbewegung ist für ihn Anlass, um an einem konkreten Beispiel mit Bezug zur Schule auf den Mut, die Risikobereitschaft und das Rückgrat aufmerksam zu machen, derer es in kritischen Situationen bedarf. „Es gab durchaus auch andere Karrieren, doch die können für uns kein Vorbild sein“, sagt Westermeyer.
Hans-Ulrich von Oertzen war nach dem Tod seines Vaters 1929 als Stipendiat an die Schule gekommen und gehörte 1933 dem zweiten Abiturjahrgang in Spetzgart an. Dass die Schule selbst noch nicht das Fundament für den späteren Widerstandsgeist gelegt hatte, wird an seiner Militärkarriere deutlich.

Oertzen führte geradezu ein Doppelleben
Zum Nachdenken brachten von Oertzen erst die Erfahrungen und Erlebnisse beim Vernichtungskrieg in Russland. Dort konnte ihn im Sommer 1943 von Tresckow, einer der führenden Köpfe neben Stauffenberg, zum Mitmachen bewegen. Fortan führte von Oertzen geradezu ein Doppelleben. Die Familie und seine Frau, die er im Frühjahr 1944 heiratete, erfuhren nichts von den Plänen.
Als Verbindungsoffizier für den Wehrkreis Berlin gab von Oertzen am 20. Juli 1944 die ersten „Walküre“-Befehle weiter, da er vom Erfolg des Attentats ausgegangen war. Die ersten SS- und Gestapo-Leute waren von den Mitstreitern schon verhaftet worden, als das Scheitern bekannt wurde. Von Oertzen hatte mit dem Schlimmsten gerechnet und schon zwei Handgranaten bereitgelegt, mit denen er sich am Tag danach selbst umbrachte.

Ringen um die einsame Gewissensentscheidung
Ein Bild der Persönlichkeit des Widerstandskämpfers und dessen Ringen um die einsame Gewissensentscheidung zeichnete der Autor Lars-Broder Keil in seinem Buch anhand von Briefen und Erinnerungen nach und berichtete vor einigen Jahren an der Schule darüber. In einem Seminarkurs hatte Geschichtslehrer Martin Kölling dies mit seinen Schülern zuvor intensiv bearbeitet.
„Es geht in der Schule nicht nur um Noten und Höchstleistungen“, sagt Bernd Westermeyer. Ebenso wichtig sei es, eine kritische Urteilsfähigkeit und eine stabile Werteskala zu vermitteln. „Bei uns fällt der 20. Juli schon in die Ferien“, sagt er. „Wir haben das Thema daher in allen Schulversammlungen noch vor der Abreise der Schüler zumindest kurz angesprochen.“ Nach den Sommerferien wolle man es vertiefen. „Die Schulpfarrer haben im Gottesdienst deutlich gemacht, dass jeder Mensch mit dem Leben gesegnet sei“, sagt Westermeyer. Daraus entspringe die Verpflichtung, „Verantwortung für andere zu übernehmen, mal mutig gegen den Strom zu schwimmen und Courage zu zeigen“.

Westermeyer sieht auch heute Warnsignale
Retrospektiv sei es heute einfacher, das damalige Regime der Nazis zu beurteilen. „Man weiß nicht, wie man sich selbst in schwierigen Situationen gehandelt hätte.“ Umso wichtiger sei es, hellhörig zu sein – insbesondere was politische Parolen und politische Wortwahl angeht. „Bei der Sprache fängt es an“, sagt er. Geradezu unverantwortlich ist es für ihn, das Dritte Reich als „Vogelschiss der Geschichte“ zu bezeichnen, wie dies Alexander Gauland von der AfD tat. Nicht minder bedenklich aus demokratischer Sicht sei die Äußerung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die Presse sei „ein Feind des Volkes“. Dass Menschen derlei Äußerungen bejubelten, hält Westermeyer für ein Warnsignal. Hier gelte das Wort: „Wehret den Anfängen!“