Man mag bei dieser Familie an Lübeck denken, die Geburtsstadt ihres berühmtesten Mitglieds. An München vielleicht auch, wo Thomas Mann später wohnte. Und natürlich an Pacific Palisades, jenem Stadtteil von Los Angeles, in dem er während der Nazi-Zeit als Emigrant Aufnahme gefunden hat. Kaum jemandem aber dürfte es einfallen, die Familie Mann an den Bodensee zu verorten, nach Konstanz, Überlingen oder Friedrichshafen. Dabei gibt es durchaus gute Gründe dafür. Ja, man kann sogar sagen, dass die Bezüge in unsere Region mehr über das Schicksal dieser Familie erzählen als so manche Studie über das kaufmännische Umfeld in der Hansestadt Lübeck.

Wer das nicht glauben mag, sollte die aktuelle Ausstellung im Gaienhofener Hesse-Museum besuchen. Unter dem Titel „Die Manns am Bodensee“ zeigt dort das Forum Allmende überraschend viele Spuren der Literatenfamilie.

Besonders Thomas Manns Sohn Golo hatte es der Bodensee angetan. Dabei war seine Bekanntschaft mit ihm eher einem Zufall geschuldet. Aufs Internat im Schloss Salem hätte eigentlich sein Bruder Klaus gehen sollen. Doch Schulleiter Kurt Hahn befand, seine Einrichtung sei für diesen Jungen nicht das Richtige. Also rückte Golo nach. Und er sollte es nicht bereuen. „Die Schulklassen waren klein, die Lehrer jung“, berichtete er später mit erkennbarer Begeisterung: „frei der Umgang mit ihnen, nichts mehr von dem Ducken vor dem energischen, dem grausamen Quälen der alten und hilflosen Studienräte, wie es in München der Brauch gewesen war.“

Mit 14 spielte er im Schultheater „Wallenstein“ und „vergaß sich ganz über der Aufgabe“, wie ein Beobachter notierte. Gut möglich, dass hier schon die Grundlage gelegt wurde für Manns 1971 erschienene Wallenstein-Biografie. Die Abschlussnoten jedenfalls konnten sich sehen lassen. Deutsch: sehr gut. Geschichte: sehr gut. Mathematik und Physik dagegen: „hinlänglich“, nun ja.

Während der NS-Herrschaft konnte er das geliebte Nordufer nur noch von der Schweiz aus betrachten. Beim Blick auf den weißen Turm von Hohenbodman und das Schloss Heiligenberg, diese „hochverbotene Heimat“, überkommt ihn ein Gefühl von Sehnsucht, Zorn und Staunen. „War solcher Unsinn möglich?“, schreibt er später.

Und doch, der „Unsinn“ war real genug, um Verfolgungsängste auszulösen. Als er sich einmal von einem gemieteten Chauffeur nach Stein am Rhein fahren ließ, sprang er mitten während der Fahrt aus dem Wagen. Seine Sorge: Der Chauffeur könnte ein Verräter sein und das Auto mitsamt seinem im deutschen Reich gesuchten Insassen über die Grenze lenken.

Wie für viele andere Intellektuelle dieser Zeit war auch für die Familie Mann die Bodenseeregion eine unwirkliche Idylle, die zwischen Freiheit und Unfreiheit lag. 1933 floh Thomas Mann vor den Nazis in „entsetzter und schauriger Stimmung“ über Rorschach ins Exil. „Rorschach wird mir in schlimmer, schwerer Erinnerung bleiben“, bekundete er. 1938 kamen Thomas Manns Schwiegereltern Alfred und Hedwig Pringsheim nach Konstanz, um sich von ihrer Tochter Katia vor ihrer Ausreise in die USA zu verabschieden. Und als der Krieg vorüber war, Thomas Mann aber um Deutschland noch lange einen großen Bogen machte, war es die kleine Gemeinde Amriswil im Thurgau, die ihn seinem Heimatland zumindest wieder auf Sichtweite näher brachte. Es sei die kleinste Gemeinde gewesen, in der er je gelesen habe, schrieb er später an Dino Larese. Der umtriebige Schweizer Autor hatte den hohen Besuch im Thurgau initiiert.

Nur ein Jahr später war Thomas Manns Bruder Viktor in Konstanz zu Gast. Im Theater las er aus seinem damals noch unveröffentlichten Werk „Bildnis einer Familie“ – es sollte später unter dem Titel „Wir waren fünf“ erscheinen. Dass ausgerechnet der jüngste der drei Brüder sich an einer Familienbiografie versuchte, war erstaunlich. Hatte er doch die vergangenen Jahre als Landwirt ohne jegliche literarische Ambitionen verbracht: in Nazi-Deutschland statt im Exil.

Entsprechend reserviert trat ihm Thomas beim Wiedersehen in Kreuzlingen gegenüber. „An den Türstufen des Grenzwirtshauses endeten lange Jahre“, schrieb Viktor anschließend mit pathetischer Rührung. Sein Bruder fand dagegen in seinem Tagebuch deutlich kühlere Worte. „Lügen, Vernebelung, erdrückende Umarmung“, heißt es da über die Begegnung an der Grenze: „Alles sehr seltsam.“

Zwar waren auch viele weitere Mitglieder der Familie am See. In Salem zum Beispiel ging neben Golo auch Monika zur Schule. „Staatsangehörigkeit: Lübeck“, steht auf den Schülerkarten der beiden Geschwister zu lesen. Heinrich Mann erholte sich in Überlingen von einer Operation. Und Erika Mann verbrachte nach der Hochzeit mit Gustaf Gründgens ihre Flitterwochen in Friedrichshafen.

Doch es sind Thomas und Golo Mann, an deren Beispielen die gleichermaßen trennende wie verbindende Funktion des Bodensees besonders eindrucksvoll zur Geltung kommt. Der Sohn sollte die Beziehung zu dieser Region bis zuletzt pflegen. In Altnau schrieb er während der Fünfzigerjahre seine „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“. Das Dorf im Thurgau galt ihm als idealer Rückzugsort, der von seinem Lehrstuhl in Stuttgart gut zu erreichen war. Für den SÜDKURIER schrieb der Historiker gelegentlich Beiträge, 1987 erhielt er den Bodensee-Literaturpreis.

In Friedrichshafen, sagte Golo Mann einmal, habe er den Bodensee zum ersten Mal erblickt. Bei stürmischem Wetter mit schwarzblau schaumgekrönten Wellen: „Da begann eine Liebe, die mich ein Leben lang begleitet hat.“ Die Ausstellung in Gaienhofen legt von dieser Liebe Zeugnis ab.

„Die Manns am Bodensee“. Bis 16. September im Hesse Museum Gaienhofen, geöffnet Di-So 10-17 Uhr. Weitere Informationen:www.hesse-museum-gaienhofen.de

Zur Ausstellung ist der lesenswerte Begleitband „Die Manns am Bodensee“ von Manfred Bosch erschienen, dem auch hier veröffentlichte Bilder entnommen sind. Er ist erhältlich im Südverlag Konstanz, hat 144 reich bebilderte Seiten und kostet 24 Euro.