Mardiros Tavit

Ein unscheinbarer Wegweiser zeigt die Zufahrt zum Salemer Samengarten. Von der Landestraße L 201 aus lässt sich der Garten erahnen. Wer nach der Ortsausfahrt von Mimmenhausen in Richtung Mühlhofen fahrend, gegenüber des Bifangweihers, den Weg zum Samengarten findet, kann einen besonderen Garten bestaunen. Hier werden weder Obst noch Gemüse geerntet, sondern Samen.

Nicolas Dostert an einem der Schatzkammern des Vereins Saatgutbildung. In dem Trockenschrank wird die Samenernte bis zur endgültigen ...
Nicolas Dostert an einem der Schatzkammern des Vereins Saatgutbildung. In dem Trockenschrank wird die Samenernte bis zur endgültigen Lagerung getrocknet. | Bild: Mardiros Tavit

Die Initiative Saatgutbildung hat den Garten vor fünf Jahren angelegt. Die Gruppeninitiative verfolgt ein ganz eigenes Ziel: Samen als Gemeingut. „Über Jahrtausende gehörten Samen allen, waren frei erhältlich und wurden von den Bauern getauscht“, weiß Nicolas Dostert, Mitinitiator der Saatgutbildung, zu berichten. Bis zum Ende des vorletzten Jahrhunderts das Patentrecht auch bei Pflanzen gegriffen hat.

Aus der Vogelperspektive zeigt sich der Aufbau mit Mittelbeet und acht strahlenförmig abgehenden Parzellen.
Aus der Vogelperspektive zeigt sich der Aufbau mit Mittelbeet und acht strahlenförmig abgehenden Parzellen. | Bild: Saatgutbildung Salem

Sortenschutz und Patente bei Saatgut zogen in die industrielle Landwirtschaft ein. Die Sorten wurden fortan genetisch eng gezüchtet. Sie mussten klaren Vorgaben entsprechen. Gezüchtet werden die Industriesorten hinsichtlich Unterscheidbarkeit, Uniformität und Stabilität im äußeren Aussehen.

Das könnte Sie auch interessieren

Die Früchte sollen gleichzeitig reif sein, damit sie in einem Durchgang geerntet werden können. Oft sind nur noch sogenannte Hybride erhältlich, deren Samen im zweiten Jahr keine Früchte mehr geben, also nicht samenfest sind.

An der feuchtesten Stelle des Samengartens wurde ein kleiner Teich angelegt. Vier Laufenten leben hier. Sie ernähren sich unter anderem ...
An der feuchtesten Stelle des Samengartens wurde ein kleiner Teich angelegt. Vier Laufenten leben hier. Sie ernähren sich unter anderem von Schnecken, weswegen sie als tierische Helfer im Samengarten eingesetzt werden. | Bild: Mardiros Tavit

Die Idealisten der Saatgutbildung haben eine ganz andere Zielsetzung. „Gartensorten sind heterogener. Sie sind genetisch vielfältiger“, zählt Dostert auf. So können bei schädlichen Befall einige Pflanzen überleben. Außerdem sind sie an die lokalen Klimabedingungen angepasst, und deren Früchte müssen nicht gleichzeitig reif werden. Die Samen der Gartensorten sind samenfest. Das wichtigste Kriterium bleibt der Geschmack.

Das 4000 Quadratmeter große Feld wird mit einem Pferdegespann umgepflügt. Von Anfang an wurde biologisch angebaut und ohne ...
Das 4000 Quadratmeter große Feld wird mit einem Pferdegespann umgepflügt. Von Anfang an wurde biologisch angebaut und ohne Maschinen das Feld bestellt. | Bild: Saatgutbildung Salem

Dostert, Fachmann für Biodiversität, ordnet das Handeln seiner Initiative auch weltweit ein. „Saat entzieht sich der Globalisierung.“ Pflanzen, die für Spanien gezüchtet wurden, werden nicht automatisch am Bodensee gut wachsen. Deswegen sammelt und vermehrt die Saatgutbildung nur regionale Sorten, die sich über Generation an das örtliche Klima angepasst haben.

Auch mit einen weiteren Aspekt mag Dostert nicht zurückhalten. „Uns geht es auch um die Ernährungssouveränität“, sagt er. Denn die industrielle Saatgutproduktion liegt weltweit in den Händen von einigen wenigen Firmen. „Es gibt immer weniger Sorten von Obst und Gemüse. Wir sollten uns nicht vorschreiben lassen, was wir essen sollen.“ Für Dostert und seine Mitstreiter Gründe genug, vor Jahren mit dem Samen sammeln heimischer Gemüse anzufangen.

Die Pflanzen dürfen im Samengarten ungestört wachsen, bis sie Samen bilden. Maria Schlegel überprüft hier die Samen einer Fenchelpflanze.
Die Pflanzen dürfen im Samengarten ungestört wachsen, bis sie Samen bilden. Maria Schlegel überprüft hier die Samen einer Fenchelpflanze. | Bild: Mardiros Tavit

„Wir nehmen nur Samen an, deren Herkunft geklärt ist“, beschreibt Dostert die Vorgehensweise. Die Herkunft mancher ihrer Sorten können die Akteure fast ein Jahrhundert zurück nachweisen. Zur Verbreitung ihrer gezogenen Samen und zum Austausch unter den Hobbygärtnern wurde die Salemer Saatgutbörse ins Leben gerufen.

Das könnte Sie auch interessieren

Nach dem Krieg hätten die Nachkommen die Gemüsegärten oft nicht fortgeführt. „Die Oma hat den Garten gemacht“, hörte Dostert oft von den jungen Anfragern, die sich über den Gartenanbau informierten. Der eigene Garten sei früher oft eine Selbstverständlichkeit gewesen.

Wissen um Gartenanbau beinahe verloren

Oft hätten Gastarbeiter hier Gärten mit eigenem Saatgut angelegt. Auch von ihnen hätten sie Samen bekommen. „Das Wissen um den Gartenanbau wäre beinahe verloren gegangen. Aktuell verspüren wir wieder großes Interesse am eigenen Garten“, freut sich Dostert. Die von Jahr zu Jahr steigenden Besucherzahlen der Saatgutbörse bewiesen dies.

Wenn Dostert zurück an die Anfänge des Samengartens blickt, sieht er einen mühevoller Weg bis zum heutigen Zustand. Denn über Jahre hinweg wurde das 4000 Quadratmeter große Gelände konventionell landwirtschaftlich bestellt. „Hier wurde mit schweren Maschinen gearbeitet. Entsprechend verdichtet war der Boden“, erinnert er sich.

Der trockene Boden war sehr hart

Er und seine Mitstreiter wollten die Pflanzen konsequent biologisch anbauen. So vermieden sie den Einsatz von Traktoren oder Maschinen. „Der trockene hoch verdichtete Boden war sehr hart“, erinnert sich Dostert. Anfangs mussten die Samengärtner den Boden mit dem Pickel aufbrechen. Später wurde das Feld mit Pferde- und Eselsgespannen mit eisernen Pflugscharen umgegraben.

„Jetzt, im fünften Jahr, ist der Boden zu damals nicht mehr vergleichbar. Die Bodenkultur hat sich sehr zum Positiven geändert“, weiß der Experte für Biodiversität zu berichten. Die wichtigen Mikroorganismen hätten sich wieder angesiedelt. Der Ackerboden ist jetzt viel lockerer geworden, und das auf natürliche Weise. Denn es wurde tief in die pflanzliche Trickkiste gegriffen. „Wir haben Roggen gesät. Die Wurzeln gehen tief in die Erde und lockern sie so auf.“

Auch die Randstreifen wurden bepflanzt

An die Ackerrandstreifen wurden Ertragshecken wie Schlehe, Weißdorn, Kornelkirschen oder Hasel gepflanzt. Diese und die Wildobsthecken dienen als Quartier für Nützlinge und Vögel. Artenschutz ist ein weiteres wichtiges Bestreben der Gruppeninitiative Saatgutbildung.