Knapp sechs Wochen nach der Demonstration in Salem bewegt das Thema die Menschen immer noch. Einige AfD-Anhänger hatten sich an einer neuen Notunterkunft des Landkreises in Mimmenhausen gestört, deren Vermieter der Salemer Unternehmer Bernhard Straßer ist.

Bei einem Protestzug vor dessen Firmentor wurde die Gruppe von mehreren hundert Gegendemonstranten erwartet. Straßer stellte sich dem Dialog mit den ungebetenen Besuchern und brachte die AfD-Vertreter dazu, per Handschlag eine Spende für ein Hilfsprojekt in Nigeria zuzusichern.

Auf Straßers Dank folgt eine AfD-Anzeige im Gemeindeblatt

„Das war eine Riesenwolke, die mich getragen hat“, zollte der Unternehmer später der Salemer Bürgerschaft Respekt. In der nachfolgenden Ausgabe des Amtsblatts „Salem aktuell“ bedankte sich Bernhard Straßer mit einer Anzeige auf Seite 4 für die Unterstützung und das starke Zeichen gegen Rechts. Eine Woche später folgte an gleicher Stelle eine Anzeige der Kreis-AfD, in der diese eine Zusammenarbeit mit Straßer suggerierte und zu Spenden für das Hilfsprojekt aufrief.

Ungewöhnliche Beiträge im redaktionellen Teil des Salemer Gemeindeblatts: Am 15. Dezember erschien eine Dankesanzeige von Bernhard ...
Ungewöhnliche Beiträge im redaktionellen Teil des Salemer Gemeindeblatts: Am 15. Dezember erschien eine Dankesanzeige von Bernhard Straßer auf Seite 4 (links), am 22. Dezember eine Anzeige der Kreis-AfD an gleicher Stelle (rechts). Insbesondere Letztere sorgte für Wirbel in der Gemeinde. | Bild: Miriam Altmann

Darauf angesprochen, stellt Straßer klar: „Im ‚Salem aktuell‘ möchte ich nicht mit der AfD in Verbindung gebracht werden.“ Von der AfD könne man nichts erwarten, doch von der Gemeinde hätte er sich mehr Sensibilität erhofft. „Ich bin verärgert ob der Verwaltung, dass sie so etwas veröffentlicht, ohne mit mir Rücksprache zu halten.“

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Hat die Gemeinde gegen ihr Redaktionsstatut verstoßen?

Ob er juristische Schritte erwäge, ließ Straßer noch offen, doch er wies auf eine Verletzung des Redaktionsstatuts des Amtsblatts hin. Laut diesem sind tages- und parteipolitische Beiträge ausgeschlossen, sofern es sich nicht um Beiträge der Gemeinderatsfraktionen handelt. Auch sollen keine Beiträge erscheinen, die gegen gesetzliche Vorschriften, die guten Sitten oder die Interessen der Gemeinde verstoßen.

Auf Nachfrage berichtet Sabine Stark als Stabsstellenleiterin des Bürgermeisters, dass man sich verwaltungsintern für die Veröffentlichung der Dankesanzeige ausgesprochen habe. „In der Folge sind wir von der AfD darum gebeten beziehungsweise aufgefordert worden, ebenfalls eine Anzeige im Mitteilungsblatt zu veröffentlichen.“

Sabine Stark, Gemeindeverwaltung Salem: „Einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften können wir bei beiden Anzeigen nicht ...
Sabine Stark, Gemeindeverwaltung Salem: „Einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften können wir bei beiden Anzeigen nicht erkennen.“ | Bild: privat | SK-Archiv

Aus Gründen der Gleichbehandlung sei man dem nachgekommen. „Einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften können wir bei beiden Anzeigen nicht erkennen“, sagt Stark. Doch im Nachgang, so gibt sie zu, hätte man sich nun eher gegen die Veröffentlichung beider Anzeigen entschieden.

Kritik am Argument der Gleichbehandlung

Diese Stellungnahme der Gemeinde erhielt im gleichen Wortlaut auch Hedi Christian. Die ehemalige Vorsitzende des Grünen-Ortsverbands Salem/Heiligenberg hatte in einem Brief an Bürgermeister Manfred Härle um Aufklärung des Vorgangs gebeten.

„Im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, dass die Veröffentlichung beider Anzeigen der Gleichbehandlung entspräche, sehe ich hier doch große Unterschiede darin, ob ich einem Bürger der Gemeinde die Gelegenheit biete, sich im Gemeindeteil zu bedanken, oder ob ich einer rechtsextremen Partei, die weder im Gemeinderat vertreten ist, noch in Salem eine Parteigliederung unterhält, diese Möglichkeit biete“, kommentiert sie in ihrem Antwortschreiben an die Gemeinde.

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Einschätzung der Kommunalaufsicht

War die Veröffentlichung der AfD-Anzeige nun aber nicht rechtens? Das Landratsamt Bodenseekreis, das mit der Kommunalaufsicht betraut ist, bleibt in seiner Beurteilung vage: Ausgehend vom Redaktionsstatut könne man zum Ergebnis kommen, dass beide Anzeigen politisch wertende Aussagen beinhalten und damit beide Veröffentlichungen mit den Regeln des Statuts eigentlich nicht zu vereinbaren seien, heißt es von Landratsamt-Sprecher Robert Schwarz.

Robert Schwarz, Pressesprecher Landratsamt Bodenseekreis: „Eine übergeordnete Instanz, die solch einen Verstoß ahndet oder rügt, ...
Robert Schwarz, Pressesprecher Landratsamt Bodenseekreis: „Eine übergeordnete Instanz, die solch einen Verstoß ahndet oder rügt, gibt es nicht.“ | Bild: Landratsamt Bodenseekreis | SK-Archiv

Er präzisierte jedoch, dass das Statut die internen Spielregeln in der Gemeinde definiere. „Eine übergeordnete Instanz, die solch einen Verstoß ahndet oder rügt, gibt es nicht.“ Da sich das Kommunal- und Prüfungsamt hier eher als beratender Begleiter sehe, verorte er die Diskussion über das Thema im Gemeinderat.

Grünen-Sprecherin sieht Bürgermeister und Kreis in der Verantwortung

Grünen-Fraktionssprecherin Petra Karg teilt diese Sicht keineswegs: In einem Brief an den Bürgermeister und den Landrat wies sie auf die Tatsachenverdrehung in der AfD-Anzeige hin und betonte die Verantwortung der Adressaten: Da der Landkreis Mieter der angefeindeten Unterkunft für Geflüchtete sei und dadurch eine kommunale Einrichtung wieder für die Öffentlichkeit freigeben konnte, erhoffe sie sich Loyalität gegenüber aktuellen und künftigen Vermietern.

Stattdessen sei die AfD durch die Anzeige im Gemeindeblatt „belohnt“ worden. „Ich bin entsetzt über diese kurzsichtige Entscheidung, die ja an irgendeiner Stelle in Salem stattgefunden haben muss“, sagt Karg deutlich.

Gemeinderätin Petra Karg (GOL): „Ich bin entsetzt über diese kurzsichtige Entscheidung, die ja an irgendeiner Stelle in Salem ...
Gemeinderätin Petra Karg (GOL): „Ich bin entsetzt über diese kurzsichtige Entscheidung, die ja an irgendeiner Stelle in Salem stattgefunden haben muss.“ | Bild: privat | SK-Archiv

Bisher keine Spende der AfD

Wie sieht es nun mit der versprochenen Unterstützung des Hilfsprojekts durch die AfD aus? Eine entsprechende Presseanfrage vom 13. Dezember an den Kreisverband blieb unbeantwortet, doch der Elternverein der Bodensee-Schule St. Martin gab als Träger des beworbenen Projekts Auskunft: „Derzeit liegt uns kein Spendenangebot durch die AfD vor.“

Thorsten Peters, der Wortführer bei der Demonstration, habe jedoch über eine private Mailadresse und ohne Bezug zu seiner Parteitätigkeit Kontakt mit dem Verein aufgenommen, um sich über verschiedene Aspekte des Projekts zu informieren.

Elternverein als Träger des Hilfsprojekts distanziert sich von AfD

Dass die AfD, wie es die Anzeige im Gemeindeblatt nahelegt, möglicherweise nur um Spenden werben will, sieht der Vorstand des Elternvereins kritisch: „Sollte die AfD das Projekt bewerben, befürchten wir, dass unser Projekt davon Schaden nehmen könnte“, heißt es von den Verantwortlichen. Wenn die Partei selbst nicht spendet, wäre es aus Sicht des Elternvereins außerdem wenig authentisch, wenn die Partei für die Sache wirbt. Und: Anders als die AfD es darstelle, sei das Ziel des Projekts in Nigeria nicht vorrangig die Vermeidung von Migration, sondern gelebte Menschenliebe.

Folgt die Gemeinde Salem dem Spendenaufruf?

Bernhard Straßer hatte während der Demo im Dezember angekündigt, 5000 Euro für das Hilfsprojekt zu spenden. „Ich würde erwarten, dass jede der 23 Gemeinden im Bodenseekreis auch 5000 Euro dazugibt“, äußerte er in dem Zuge. Bürgermeister Manfred Härle lehnte im Nachgang eine Beteiligung Salems ab – was laut Grünen-Gemeinderätin Petra Karg jedoch vom Gemeinderat zu entscheiden sei. In der Sitzung vor den Weihnachtsferien forderte sie daher eine offene Abstimmung: „Ich bin der Meinung, dass diese großzügige Spenden-Geste deutlich hervorgehoben werden muss, und ich denke dabei auch an all die Menschen, die den Mut hatten, sich als Teil des Bollwerks auf die Straße zu stellen.“

Härle entgegnete, dass er das Geld lieber für die Flüchtlingsarbeit in der Gemeinde einsetzen wolle: „Seit 2015 gehen wir voran, seit acht Jahren kümmern wir uns tagtäglich um die Flüchtlingsarbeit.“ Mit der Bereitstellung des alten Rathauses als Unterkunft habe man zudem eigene Interessen zurückgestellt. Henriette Fiedler (FWV) hob die Symbolkraft der Spenden-Idee hervor: Als Kommune könne man ein Zeichen an die höheren Ebenen senden und gleichzeitig zielgerichtet unterstützen: „Lieber 5000 Euro in Nigeria statt hier 50.000 Euro für die Integration investieren.“

Ulrike Lenski (GoL) fügte hinzu, dass die AfD mit ihrem „unsäglichen Plakat“ eine Grenze überschritten habe: „Ich hätte mich schwergetan, ein bestimmtes Projekt zu protegieren, aber das Wesentliche für mich ist die Geschichte, aus der es geboren worden ist.“ Petra Herter (CDU) empfand ähnlich: „Es geht darum, ein Zeichen zu setzen, dass wir die AfD-Parolen und die Angstmacherei nicht hören möchten, nicht in Salem und ganz Deutschland.“ Sollte der Antrag nicht durchgehen, wolle sie ihr Sitzungsgeld des letzten halben Jahres spenden, damit die Gemeinde dennoch indirekt als Spenderin erscheine.

Ulrich König (FDP) sah eher die Entwicklungshilfe in der Verantwortung: „Ich möchte nicht für 12.000 Bürger entscheiden, ob wir 5000 Euro für Afrika geben.“ 200 Euro wolle er aber privat spenden, um die Gemeindekasse zu schonen. Ein Beschluss wurde nicht gefasst, da dies laut dem Bürgermeister unter diesem Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen sei. „Wir gehen alle nochmal in uns und Sie überlegen, ob Sie noch einen offiziellen Antrag einreichen“, meinte Härle abschließend.