In Salem demonstriert am vergangenen Samstag die AfD vor dem Werkstor des Bauunternehmens Straßer. Als Versammlungsleiter ganz vorne mit dabei: Andreas Piekniewski aus Markdorf. Das wäre an sich nicht erwähnenswert, in diesem Fall aber schon. Denn Piekniewski ist Lehrer für Gemeinschaftskunde – also Politik – an einem Gymnasium in Ravensburg. Wenn ein Lehrer in seiner Freizeit öffentlich rechte und radikale Parolen verbreitet: Darf er das überhaupt? Um diese brisante Frage geht es seit dem Wochenende: 35 AfD-Anhänger waren vor den Firmensitz von Straßer gezogen. Inhaber Bernhard Straßer ist Vermieter einer früheren Supermarkthalle, die ab Mitte Dezember von Flüchtlingen belegt werden soll.

Vor sich her trugen die AfD-Mitglieder und Sympathisanten Plakate, auf denen Parolen wie „Wir wollen keine Vergewaltiger, Messerstecher, Terroristen und Schmarotzer in unserem Land“ standen. Auf dem Veranstaltungsplakat der AfD war zu lesen: „Entgegen unserem Willen wird der millionenfache Bevölkerungsaustausch rigoros durchgezogen.“ Rassisten und Verschwörungstheoretiker argumentieren, dass eine nebulöse politische Elite im Westen die Bevölkerung austauschen und dadurch die weiße Bevölkerung eliminieren wolle. So offenbar auch die AfD in Markdorf und die Kreis-AfD. Denn das Plakat war gekennzeichnet mit dem Logo der AfD Bodenseekreis. Ebenfalls auf dem Plakat zu lesen: „Unsere Straßen werden unsicher. Vergewaltigungen und Messerstechereien steigen an!“

Für Beamten gibt es ein Mäßigungsgebot
Darf sich ein Lehrer öffentlich als Galionsfigur für solche rechtsradikalen Parolen hinstellen? Piekniewski selbst hat im Gespräch mit dem SÜDKURIER überhaupt kein Problem damit. Im Beamtenrecht gibt es aber das sogenannte Mäßigungsgebot. Es verpflichtet die Beamten, die auf die demokratische Grundordnung vereidigt werden, zur politischen Mäßigung und Zurückhaltung. Fraglich ist, wann das Recht auf freie Meinungsäußerung mit dem Mäßigungsgebot kollidiert: In der Rechtsprechung gibt es unterschiedliche Urteile. Klar ist aber: Hetze und verfassungswidrige Parolen sind tabu.

Der Rektor verweist ans Regierungspräsidium
Wie sieht man den Fall des Markdorfer AfD-Lehrers an seiner Schule und in der dafür zuständigen Behörde, dem Regierungspräsidium Tübingen (RP)? Piekniewski unterrichtet am Technischen Gymnasium der Gewerblichen Schule Ravensburg. Ihm sei bekannt, dass sein Lehrer offenbar der AfD angehöre oder ihr nahe stehe, sagt Rektor Bernd Vogt. Für weitere Auskünfte verweist Vogt an das RP, er selbst dürfe sich gegenüber der Presse nicht äußern, sagt er. Nur soviel sagt er noch: Die AfD sei nicht verboten und sitze auch im Landtag, insofern könne er seinen Lehrer an seinem Arbeitsort „nur beobachten“. Einschreiten, wenn es nötig wäre, müssten übergeordnete Stellen. Aus seinen Worten ist aber herauszuhören, dass Vogt das Thema und auch das Engagement seines Lehrers bei der AfD nicht angenehm ist.
Was es mit dem „Überwältigungsverbot“ auf sich hat
Beim Regierungspräsidium gibt sich Pressesprecher Stefan Meißner auf Anfrage vorsichtig. Das Mäßigungsgebot gelte für alle Beamten, sie seien auf die Verfassung verpflichtet. Allerdings sei die AfD keine verbotene Organisation. Für alle Lehrer, egal ob angestellt oder verbeamtet, sei der sogenannte Beutelsbacher Konsens von 1976 bindend – und darin vor allem das „Überwältigungsverbot“: Schüler dürfen von Lehrern nicht mit deren politischer Haltung „überwältigt“ werden. Es ist nichts anderes als die Verpflichtung des Lehrers zur politischen Neutralität am Arbeitsplatz Schule.
Sollte ein Lehrer dieses Überwältigungsverbot missachten, können Schüler oder Eltern sich an die Schulleitung wenden, aber auch beim RP als übergeordneter Behörde vorstellig werden, sagt Meißner. Dort werde jeder Einzelfall geprüft. Was ein Lehrer außerhalb seines Unterrichts in der Freizeit mache, gehe die Schulbehörden erst einmal nichts an, sagt Meißner. Aber: „Das Auftreten des Lehrers darf nicht extremistisch sein und es darf nicht den gesellschaftlichen Frieden gefährden.“ Das wiederum ist eine Grauzone: Wo endet die Meinungsfreiheit und wo beginnt die Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens?

An dieser Frage arbeitet man sich auch beim Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart ab. Gegen die Landes-AfD gebe es aktuell das laufende Hauptsacheverfahren und das Eilrechtsverfahren, sagt Sprecher Marcus Kirchdörfer. Deswegen könne er zur AfD und auch zu deren Orts- und Kreisverbänden keine detaillierte Auskunft geben. Generell gelte aber: „Die Grenze ist immer die Grenze zur Strafbarkeit.“ Gebrauche man Begriffe wie „Umvolkung“ oder „großer Austausch“ könnten dies allerdings Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Haltung sein, so Kirchdörfer. Für die strafrechtliche Einschätzung solcher Aussagen seien aber Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig.

Piekniewski sieht kein Problem in seiner AfD-Mitgliedschaft
Andreas Piekniewski selbst versteht das Aufhebens nicht. „Die AfD ist eine demokratische Partei, die auf den Füßen des Grundgesetzes steht“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. Er sei ein erwachsener Mensch, der Beruf und Privatleben durchaus trennen könne. „Abgesehen davon finde auch ich, dass es nichts Schlimmeres gibt, als wenn junge Menschen indoktriniert werden“, sagt Piekniewski. Er habe dies selbst als Schüler erleben müssen, als ein Lehrer, der Mitglied bei den Grünen gewesen sei, ihm und seinen Mitschülern deren politische Ansichten überstülpen wollte. Außerdem habe er auch aktuell Kollegen, die etwa Mitglied der Grünen seien und deshalb ebenfalls zwischen privater Politik und beruflichem Unterrichten trennen müssten. Auch, dass er gerade Politik unterrichte, sieht er als unproblematisch an. „Meine Aufgabe ist es, die Schüler zu kritischen Staatsbürgern zu erziehen, das aber immer auf der Basis unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung“, sagt Piekniewski.