Salem Die Aufregung ist groß: Achtklässlerin Elena hat dem Schulschwarm Leo auf sein Drängen hin Nacktfotos geschickt – und der hat sie an all seine Kontakte weitergeleitet. Was im Zeitalter sozialer Medien kein seltenes Szenario ist, findet an der Gemeinschaftsschule Salem heute nur auf der Bühne statt. „Update“ heißt das Präventionstheaterstück, das die Jugendlichen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten, Bildern und Filmen sensibilisieren will. Humorvoll überspitzt, aber beklemmend alltagsnah wird gezeigt, welche Auswirkungen Cybermobbing und Sexting auf Betroffene haben.

So startet das Stück mit einem Gespräch unter Freundinnen: Wie viele Likes bekommt meine Insta-Story? Was ziehe ich zur Schulparty an? Wie bekomme ich den Schulschwarm herum? Doch als dieser bei der Party übergriffig wird, wendet sich Kiara von Leo ab, der daraufhin mit deren bester Freundin Elena anbandelt. Als sich jedoch eine Versöhnung mit Kiara anbahnt, weist Leo Elena zurück. Diese droht, Kiara alles zu erzählen, woraufhin Elenas Fotos „aus Versehen“ die Runde machen.

Dass das Thema und die Sprache der Schauspieler nah dran sind an der Lebenswelt der Schüler, zeigen deren Reaktionen. Bei gängigen Schimpfwörtern wird verschämt gekichert, bei der Erwähnung von Pornoseiten im Internet wissend gelacht. Lehrer Kai Sauter hatte bereits im Vorfeld festgestellt, dass die Betroffenheit hier groß ist: „Das ist ein wichtiger Baustein unserer Präventionsarbeit“, erklärt er die Verbindung von Theaterunterhaltung und Erziehungszielen. „Daher ist es schön, dass es direkt nach dem Theater eine Diskussion zur Nachbereitung gibt.“

Schulsozialarbeiterin Linda Gerstmeier hatte vorab mit den Achtklässlern einen Workshop organisiert: „Das ist mitten aus dem Leben gegriffen, damit können die was anfangen.“ Teil der Vorbereitung war auch die rechtliche Seite. „Die Frage, was strafbar ist, hat bei den Schülern zu so manchem Aha-Moment geführt.“ In der Diskussion wird das deutlich: „Schon die Aufforderung zur Erstellung jugendpornografischer Materialien ist eine Straftat“, sagt Schauspieler Robin Münch.

Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Elena Fellisch und Alyssa Knecht will der Leo-Darsteller wissen, wie viele der Achtklässler das gezeigte Szenario für realistisch halten. Viele Hände recken sich in die Luft. Auch auf die Frage, wer so etwas schon einmal mitbekommen habe, melden sich nicht wenige Schüler. Im Gespräch erörtern die Schauspieler mit den Jugendlichen das Vorgehen Leos und die Schuldfrage und ordnen die Wortbeiträge ein. Es fallen Stichworte wie emotionale Erpressung, mangelnder Respekt und Victim Blaming: „Das ist, wenn man sagt, Elena ist selber schuld, also eine Täter-Opfer-Umkehr“, erklärt Münch. Schuldig sei aber allein Leo, er sei stets aktiv und drängend gewesen.

„Was meint ihr, wie Elena sich fühlt?“, regt der Schauspieler zu Empathie an und fragt nach Fairness, wenn Elena fertig gemacht und Leo gefeiert wird. Auf die Frage nach dem Grund meldet sich ein Junge: „Es ist leichter, den zu feiern, der eh mehr gemocht wird.“ Münch verdeutlicht: „Das Schlimmste, was einer betroffenen Person passieren kann, ist, wenn keiner an ihrer Seite steht.“ So sei es wichtig einzuschreiten statt mitzulaufen. Betroffenen rät er: „Wendet euch an Menschen, denen ihr vertrauen könnt.“

Auf Münchs Nachfrage, wer schon unerwünschte Fotos zugeschickt bekam, gehen einige Hände nach oben. Was rassistische oder nationalsozialistische Inhalte betrifft, melden sich fast alle. Münch hebt zu einem Plädoyer an: „Das hat nichts mehr mit Meinung zu tun, wenn man toleriert, dass Sachen herumgeschickt werden, die sich gegen bestimmte Gruppen richten.“ Dies dürfe nicht normal werden, es könnte als stillschweigende Zustimmung gewertet werden. „In jeder Klasse sind Betroffene, die müssen wir mitschützen.“

„Wie sollen wir uns begegnen?“, fragt Elena Fellisch in die Runde. Ein Junge fasst es zusammen: „Wir brauchen Respekt.“ Bevor es in die Klassenzimmer zurückgeht, kommt ein Mädchen nach vorn: „Danke für das Stück, es war eine tolle Aufführung“, richtet sie sich an die Schauspieler. Sie habe dadurch gelernt, wie man in solch einer Situation handeln könne. „Es gab schon solche Fälle“, offenbart die Achtklässlerin. Auch sie hatte schon einmal ein unerwünschtes Foto erhalten. „Ich habe es gelöscht.“