Kurz vor der Urteilsverkündung quellen die Tränen. Das Weinen färbt die Augen rot. Der Angeklagte schnieft. Seine Schuld hat er gestanden. Auf die Frage von Amtsrichter Alexander von Kennel, ob er noch etwas sagen wolle, schüttelt er nur den Kopf. Dann beginnt die Stille vor dem Urteil. Papier raschelt, die Protokollantin tippt, und immer wieder das Schniefen. Was war passiert?
Einnahmen höher als Sozialhilfe
Der Angeklagte sieht gepflegt aus. In braunen Lederschuhen, mit blau kariertem Hemd und frisierten Haaren sitzt er da. Seriös sieht er aus, wie jemand, der es geschafft hat. Doch dem 48-Jährigen wird Betrug vorgeworfen sowie Urkundenfälschung. Vom Jobcenter soll er vergangenes Jahr über 10.000 Euro Sozialhilfe erhalten habe. Doch im gleichen Zeitraum erwirtschaftete er Einnahmen in Höhe von 18.000 Euro. Dem Amt verschwieg er diese Beträge. Als das Jobcenter erste Ahnungen entwickelte und die Kontoauszüge verlangte, tilgte er jeden Nachweis auf die Gelder.
Privatinsolvenz unvermeidbar
Zuvor häufte der gelernte Kaufmann Schulden an. 100.000 Euro Steuern stehen noch aus. Weshalb, das wird in der Verhandlung nicht erörtert. Hinzu kommen weitere 50.000 Euro private Schulden. Deshalb will er Privatinsolvenz anmelden. „Ad hoc wird es schwierig, das Verfahren einzuleiten“, sagt der Angeklagte. Aufgrund einer neuen Festanstellung verbringe er die meiste Zeit nicht mehr in Überlingen, sondern in Bayern.
Vor allem aber sei er 60 bis 80 Stunden in der Woche dort gefordert. Deshalb könne er es erst im Laufe des Jahres schaffen, die Privatinsolvenz einzuleiten und beginnen, seine Schulden zu tilgen. Sein Verteidiger grätscht in die Aussage: „Im Laufe der nächsten Wochen“, korrigiert er. Warum er bisher keine Beratung aufgesucht habe, könne der Angeklagte selbst nicht erklären. Von dem neuen Gehalt zahlt er außerdem eine frühere Geldstrafe ab. Die wurde ihm auferlegt, da er eine Zahnbehandlung als privatversicherter Patient in Anspruch nahm, die Rechnung jedoch nie beglich. Zudem zahlt er monatlich 600 Euro Unterhalt für seine Kinder.
Sozialstunden als Denkzettel
„Sie sind hier kein Unbekannter“, sagt Richter von Kennel. Aufgrund der Festanstellung habe er nun allerdings die Hoffnung, dass der 48-Jährige seine Schulden tilgen könne. Eine entsprechende Beratung erscheint allen Parteien alternativlos. Angesichts der wiederholten Straffälligkeit und dem erneuten Erschleichen von Leistungen drängt sich sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung eine Bewährungsauflage auf. Schließlich urteilt der Amtsrichter: ein Jahr Gefängnis, ausgesetzt für drei Jahre auf Bewährung.
Er halte dem Angeklagten seine ehrliche Reue zugute. Innerhalb von drei Jahren soll er dennoch 60 Sozialstunden ableisten. So seine Bewährungsauflage. Von Kennel spricht dabei von einem Denkzettel. Eine zurückliegende Bewährungsstrafe habe den Angeklagten auch nicht abgeschreckt. Ein Bewährungshelfer soll ihn dieses Mal unterstützen, die Auflagen zu erfüllen. Das Geld vom Jobcenter muss er unabhängig von der Privatinsolvenz zurückzahlen.