Klaus W. König

Wäre er nachts im Bodensee vor mir geschwommen, ich hätte ihn weder gehört noch gesehen. Lautlos und schnell bewegt sich der Biber im Wasser – das ist sein Element. Anders zu Fuß in der Hafenstraße. Da war ich fünf Mal schneller und leiser unterwegs als er, der gemächlich in der Fahrbahnmitte Richtung Mantelhafen schritt. Sein fortwährendes Platsch-Platsch erinnerte mich an einen Taucher, der mit Flossen über den Asphalt geht.

Was würden Sie machen, wenn Sie nachts um halb zwei ein solch auffälliges Tier erst vor und dann neben sich haben? Ich war ratlos, begann aus etwa zwei Meter Entfernung ihn anzusprechen, so wie man es mit einem Haustier macht. Antwort bekam ich nicht. Obwohl sein Innehalten, mit klarem Blick mir zugewandt, vielleicht doch etwas bedeutet hat. Der Gang wirkte gleichmäßig und kräftig, Verletzung war keine zu erkennen, Angst oder Aggression nicht zu spüren – aber auch kein besonderes Zutrauen. Insofern schien Sorge unbegründet, Hilfe nicht erforderlich. Ich dachte, ich sollte ihm Vorrang gewähren und vor allem den Weg zur Freitreppe ins 50 Meter entfernte Hafenbecken ermöglichen. Doch zum Wasser wollte er nicht, bog zum Hotel Ochsen und später in die Münsterstraße ab.

Was treibt den Bewohner feuchter Auenlandschaften in die Innenstadt? Hunger? Die immer kleiner werdenden Fische im Bodensee sind die Ursache nicht, denn Biber sind reine Vegetarier. Partnersuche? Die wäre im Nußbach oder Goldbach wohl vielversprechender als in der Münsterstraße, sollte man meinen. Neuer Lebensraum? Ein Jungtier auf der Suche nach einem eigenen Revier, das klingt für Fachleute wie Hartmut Walter plausibel. Er ist Vorsitzender des Bezirks Donau-Bodensee im Naturschutzbund Deutschland (NABU) und wohnt am nördlichen Stadtrand Überlingens. Erst wenige Tage zuvor, am 21. Mai 2016, hatte ihn sein Nachbar auf einen Biber aufmerksam gemacht, der tagsüber ganz in der Nähe in der Böschung am Nellenbach schlief.

Wer weiß, ob es dasselbe Tier war, das vier Tage später nachts durchs Stadtzentrum streifte, vielleicht auf dem Rückweg von einem Ausflug an den Bodensee? Der Nellenbach ist vom Seeufer her nicht ganz einfach zu erreichen. Er verläuft in der Grabenstraße nur teilweise offen, am Bahnhof als Wasserfall, unter der Zimmerwiese verdolt. Möglicherweise war nach Mitternacht der Weg durch die Straßen der Innenstadt bis zum Friedhof die bessere Strecke. „Am Bodenseeufer siedeln diese Tiere üblicherweise beziehungsweise bis jetzt nicht“, erklärt Dieter Schmid vom Landratsamt in Friedrichshafen. „Sie nutzen den See als schnelle Verbindung, als Ausbreitungslinie, als Schwimm-Autobahn sozusagen. Die in Überlingen anzutreffenden Biber kommen vermutlich vom Seefelder Aachried oder der Radolfzeller Aach, schwimmen am Bodenseeufer entlang und erkunden die Gegend“.

Schmid ist der Bibermanager des Bodenseekreises. Er ist Mitarbeiter der unteren Naturschutzbehörde und wird von einigen ehrenamtlich tätigen Fachleuten, den Biberbeauftragten des Kreises, unterstützt.

Ernst Auer, Mitglied der NABU-Gruppe Überlingen, meint: „Inzwischen ist der Biber in und um Überlingen angekommen, das ist uns bekannt. Nun hoffen wir, dass er keine zu großen Probleme verursacht“ und denkt dabei an gefällte Bäume und Wasserstau durch Dämme. Auch unterhöhlte Böschungen an Gewässern sind möglich. Darin wird gewohnt. Der Eingang liegt geschützt und unsichtbar unter der Wasseroberfläche. Der Gefahr, dass der Zugang durch gelegentlich sinkenden Wasserspiegel offen liegt, begegnet der Biber mit dem Bau eines Dammes stromabwärts. Bibermanager Schmid kennt noch keine größeren Schäden in seinem Zuständigkeitsbereich und hofft auf Verständnis bei Eigentümern und Landnutzern „sollte unsere bisher gewohnte Landnutzung mit dem Überlebenskampf dieser bedrohten Tierart kollidieren“. Er bittet in jedem Fall um Nachricht, sollten Tiere oder Spuren, die auf deren Vorkommen schließen lassen, gesehen werden.

Schmid weist darauf hin, dass der Biber nach Naturschutzgesetz und Flora-Fauna-Habitatrichtlinie eine streng geschützte Art ist. So ist es verboten, diese zu stören, zu verletzen oder zu töten sowie deren Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu beschädigen. Das bedeutet, dass auch seine Bauten und Dämme geschützt sind und nicht verändert werden dürfen. Im Konfliktfall wird mit den Betroffenen vor Ort eine praktikable Lösung gesucht, die eine Nutzungsbeeinträchtigung begrenzt, aber auch dem Biber das Dasein ermöglicht. Einen Ausgleichsfonds für entstandene Schäden gibt es in Baden-Württemberg aber nicht. Schutzmaterial wie Zäune oder Verbissschutzmittel kann vom Landratsamt zur Verfügung gestellt werden.

Rolf Geiger, Leiter der Abteilung Grünflächen, Umwelt und Forst in Überlingen, kennt solche Nagespuren entlang der vom Biber besiedelten Wasserläufe. „Dies stellt aus Sicht der Stadtverwaltung kein Problem dar. Wir freuen uns über den Zuzug der unter besonderem Schutz stehenden Tiere. Sie sind ebenso willkommen wie die seit einigen Jahren regelmäßig im Stadtgraben brütenden Uhus“. Bleibt zu hoffen, dass diese Bereitschaft auch in der Bevölkerung herrscht beziehungsweise sich einstellt. Betrachten wir den Europäischen Biber, wie die im Bodenseekreis vorkommende Art korrekt heißt, nicht als Besucher, sondern als Heimkehrer. Er wurde von unseren Vorfahren gejagt, vertrieben, ausgerottet. Und zollen wir ihm Respekt. Verstehen wir seine Aktivitäten an Gehölzen und Gewässer als Fertigkeiten, nicht als Schäden. Unter Naturschützern und Biologen gilt der Biber als der perfekte Wasserbauingenieur.

Typisch Biber

  • Körperbau: Breite Hinterfüße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Kräftige Schenkel formen den Rücken, kurze Vorderpfoten lassen das Tier geduckt daher kommen. Die breite abgeflachte Schwanzkelle ist mit Hautplättchen besetzt. Sie dient zum Speichern von Fett als Kraftreserve für den Winter.
  • Nahrung: An Wasserläufen üppig vorkommende krautige Pflanzen. Auch dünne Rinde, Zweige und Knospen von Gehölzen, die er fällt. Quer vor ihm liegend sind sie leicht erreichbar. Der verbleibende hölzerne Rest wird später Baumaterial für Dämme und Burgen, wie die Abdeckungen der Wohnhöhlen genannt werden.
  • Nagen an Gehölzen: Es schärft die orangefarbenen Zähne, die permanent nachwachsen. Während die oberen Schneidezähne in die Rinde gehakt werden, raspeln die unteren aus dem Holz. Dabei hockt der Biber und bewegt sich allmählich um den Stamm herum. An diesem entsteht in ca. 50 cm Höhe die typische Keilform, einer Sanduhr ähnlich.
  • Schutzstatus: Der Biber ist als Art der Anhänge II und IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie streng geschützt. Nach Paragraph 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz ist es verboten, streng geschützte Arten zu stören, zu verletzen oder zu töten sowie deren Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu beschädigen. (kwk)