Eine Entscheidung für die Entlastung der Innenstadt vom "motorisierten Individualverkehr" (MIV) hatte der Gemeinderat schon im März 2012 getroffen, mehrfach wurde diese Richtung deutlich bestätigt, die ersten Schritte sind eingeleitet. Die Parkplätze im Zentrum wurden gestrichen, demnächst soll das Verkehrsleitsystem in Betrieb gehen. Mit der klaren Entscheidung, die Hafenstraße für den Durchgangsverkehr zu sperren, behielt das Gremium seinen Kurs bei und votierte mit 15:4 Stimmen für die vom Verkehrsausschuss empfohlene Maßnahme.

Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Und wie schon häufiger hatten Vertreter des Einzelhandels kurz vor der Entscheidung noch einmal Druck aufgebaut und auf drohende wirtschaftliche Einbußen verwiesen. Einige saßen den Räten in der Sitzung direkt im Nacken. Doch mit Ulrich Krezdorn (CDU) positionierte sich auch der Einzelhändler im Stadtrat für die Zielsetzung. Der Einzelhandel brauche Parkplätze, aber keinen "Transitverkehr", der die Aufenthaltsqualität für die Kunden beeinträchtige. Der Autoverkehr und die Luftqualität rangierten bei Gästebefragungen als Kritikpunkt stets ganz oben, gab Krezdorn zu bedenken. "Wir brauchen und wollen den Handel", sagte Ralph Mittelmeier (FWV/ÜfA). Der profitiere allerdings nicht von durchfahrenden Autos, sondern von Menschen, die zu Fuß gingen. "Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich Handel auf Wandel reimt", sagte Mittelmeier.

Oberbürgermeister Jan Zeitler konkretisierte die von seinem Baubürgermeister Matthias Längin zugesagte "zügige Umsetzung" auf Drängen des Rats und sagte: "Bis zur Landesgartenschau muss das Ding umgebaut sein." Zuvor hatte Matthias Längin die von den Verkehrsexperten errechneten Zahlen rekapituliert und die erhoffte Entlastung skizziert. Seit mehr als 20 Jahren diskutiere man über eine Entlastung vom Verkehr und die Verbesserung der Aufenthaltsqualität, erklärte CDU-Fraktionssprecher Günter Hornstein. Im Grunde seien dafür mit einem Parkhaus an jedem Stadteingang die Voraussetzungen längst geschaffen. Die Verkehrsplaner hätten skizziert, dass der Durchgangsverkehr mit dem aktuellen Schritt reduziert werden könne, erklärte Hornstein und warnte davor, "Horrorszenarien" an die Wand zu malen. Man wolle nicht die Reisebusse vom Landungsplatz fernhalten, knüpfte Marga Lenski (LLBU/Grüne) daran an. "Die Gäste sollen durchaus am See aussteigen können", differenzierte sie. Doch die Busse sollten dort nicht parken und ihre Pausen verbringen. Zudem könne man auch beim Regionalverkehr noch einige Fahrten einsparen. Das lange geforderte Verkehrsleitsystem zu den Parkhäusern und Parkplätzen stehe kurz vor der Einführung. Lenski: "Vielleicht braucht's mal ein bisschen Mut." Die Altstadt sei einfach nicht für den "MIV" erbaut worden, sagte Robert Dreher (FWV/ÜfA) und warnte davor, "die Stadt immer schlechtzureden", statt gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten. "Ob wir den Fahrradverkehr damit in den Griff bekommen, wage ich, zu bezweifeln", sagte Dreher. Vielleicht habe man anschließend drei Spuren – Münsterstraße, Hafenstraße und Promenade. Im eigenen Urlaub schätze jeder die Aufenthaltsqualität einer Stadt. "Wir sind überzeugt, dass sich das auch positiv auf den Überlinger Einzelhandel auswirken wird", betonte Dreher. "Wir haben das im Grunde schon mehrfach beschlossen", erklärte Udo Pursche (SPD). Für ihn habe das Kürzel "MIV" für "motorisierten Individualverkehr" eine doppelte Bedeutung, sagte Pursche, und dehnte es hörbar zu "Mief". Der Binnenverkehr werde abnehmen, das hätten Prognosen gezeigt. "Wer die Kurstadt liebt, kann sich nur freuen." Für Motorräder, die nahe der Innenstadt bei Kapuzinerkirche oder östlich des Mantelhafens parken, beantragte die SPD die Einführung einer Parkgebühr. Reinhard A. Weigelt (FDP) reduzierte die Entscheidung explizit auf die Radler. "Machen tun wir das nur, damit die Radler nicht 200 Meter durch die Münsterstraße schieben müssen", formulierte er. Weigelt warnte vor der fahrlässigen Aufgabe des Bestandsschutzes für die Hafenstraße und verwies auf die Situation am Aufkircher Tor.

Mit seiner Gegenposition versuchte Weigelt, eine Lanze für den Handel zu brechen, "der Brot und Arbeit gibt". Vielleicht gebe es ja bald keine Schaufenster mehr zum Bummeln. Daran knüpfte Roland Biniossek (Linke) an und sagte: "Der Handel kämpft mit dem Rücken zur Wand, das hat er nicht verdient." Schon im Verkehrsausschuss war Biniossek jedoch mit seinem Antrag gescheitert, lieber an manchen Tagen von 11 bis 18 Uhr eine Vollsperrung der Innenstadt vorzunehmen. Der aktuelle Vorschlag führe zum "Chaos". Diese Einschätzung teilte auch Ingo Wörner (FDP). "Wir sind doch dafür gewählt, für Ordnung in der Stadt zu sorgen", sagte er und begann von den Elektro-Autos der Zukunft zu schwärmen. "Es werden hier immer wieder Dinge verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben", kritisierte OB Jan Zeitler. Wer Horrorszenarien an die Wand male, gehe mit der Frage "nicht sachgerecht" um.

Versuchte Beruhigung

Im Sommer 2007 erprobte die Stadt eine Sperrung der Innenstadt für den Durchgangsverkehr. Nach wenigen Wochen wurde die Maßnahme nach Protesten zurückgenommen. Eine Bürgerbeteiligung bekräftigte 2010/2011 den Wunsch nach Entlastung. Im März 2012 fasste der Gemeinderat seinen Grundsatzbeschluss zur Verkehrsberuhigung. Das daraus resultierende Verkehrsentwicklungskonzept verabschiedete das Gremium im Juli 2015. Dazu gehörte unter anderem eine fahrradfreie Münsterstraße und eine Fahrradstraße in der Hafenstraße. Bei genauerer Prüfung wurde klar, dass dies unter vollem Verkehr nicht zu realisieren ist. Im Dezember 2017 korrigierte der Rat seinen Beschluss, im April empfahl der Verkehrsausschuss die aktuelle Lösung. Danach soll die Hafenstraße nur für Anlieger, Lieferverkehr und ÖPNV befahrbar sein, die Radler sollen in beide Richtungen geführt und in die Christophstraße gelenkt werden.