Herr Walter, rund eine viertel Million Kirchenaustritte jährlich beklagt die katholische Kirche deutschlandweit. Was setzen Sie dagegen beziehungsweise: Wie wichtig ist Gott 2019?

Gott ist so wichtig, weil wir mehr Luft zum Atmen brauchen, als uns ein anderer Mensch geben kann. Die katholische Kirche ist zurzeit wie eine Thermoskanne, innen wohlig warm und nach außen kommt sie recht kühl rüber. Wir sind zu sehr mit unseren inneren Strukturen beschäftigt. Das muss sich dringend ändern, wenn wir in Deutschland nicht regelrecht verdunsten wollen. Ich meine, was unsere Begegnung mit Gott betrifft, werden wir doch viermal im Leben wach gerüttelt. Wenn wir uns verlieben, wenn wir Nachwuchs erwarten, bei Krankheit und bei Tod. Sonst läuft das Leben in immer gleichen Rhythmen und viele wollen aus 80 Lebensjahren eben alles rauspressen. Die Verheißung auf ewiges Leben macht da doch unglaublich entspannt und gelassen. Gott gibt mir den Sinn im Leben, sein geliebtes Kind zu sein. Ja, dafür möchte ich viele Menschen begeistern. Ich möchte gerne ein Pfarrer zum Anfassen sein und will den Menschen nahe sein. Bei der Erstkommunion war es mir ein Anliegen, jedes Kind mit seinem Namen ansprechen zu können. Den Namen vergesse ich natürlich irgendwann wieder, wenn wir uns nicht regelmäßig treffen. Treffpunkte und Begegnungen sind einfach wichtig. Deswegen gehe ich beispielsweise auch ins Jugendlager.

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Wo ist heute die soziale Kompetenz der Kirche, wo hilft sie ganz konkret? Am Beispiel Hafenstraße, hier wurden der Kirchengemeinde Überlingen zwei Immobilien vererbt, die dann meistbietend an die Gesellschaft „Eure Invest“ verkauft wurden, könnte man eher das Gegenteil, also auch nur Gewinnstreben, ableiten.

Das liegt vor meiner Zeit und ich bitte um Verständnis, nicht viel dazu sagen zu können. Nur so viel schon: Es ist unglücklich gelaufen. Wir werden uns aber in Zukunft noch mehr Gedanken über manche Immobilien machen und uns am besten davon verabschieden. Denn die finanzielle Situation ist insgesamt stark verändert. Die Einnahmen aus der Kirchensteuer gingen in unserer Diözese in diesem Jahr um 30 Millionen Euro zurück, die Folgen sind Baustopps und keine Zuschüsse mehr aus dem großen Topf. Was viele nicht wissen: Jeder Kirchenaustritt in unserer Seelsorgeeinheit trifft uns direkt hier vor Ort. Ich persönlich mache mich stark für Investitionen in den Kindergärten.

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Dennoch sprechen wir hier nicht von einer armen Kirche, oder? Waren Sie denn beispielsweise schon einmal im Obdachlosenheim bei der Müllkippe Füllenweid?

Nein, arme Kirche möchte ich in Deutschland nicht sagen, und ich bin auch dafür, dass wir uns stärker engagieren. Was Randgruppen betrifft, engagieren wir uns hier beim Café International, eine Suppenküche beispielsweise könnten wir schon aus Personalgründen nicht eröffnen. Nein, ich war noch nicht bei den Obdachlosen, aber ich werde auch da hingehen.

Man sieht Sie oft mit dem Handy am Ohr, Sie verbreiten Botschaften und erklären christliche Inhalte auch per WhatsApp und in den sozialen Netzwerken. Wäre Jesus heute ein Youtuber?

Jesus vielleicht nicht, aber ganz bestimmt seine Jünger. Unsere Kirche ist doch selbst schuld an dem Elend, dass wir die sozialen Netzwerke nicht besser bedienen. Ich möchte damit hier für uns ein Netzwerk aufbauen, Leute informieren, etwas mitgeben. Ich bin kein Datensammler, um jemanden auszuhorchen, aber ich möchte zum Beispiel zum Geburtstag gratulieren können, einem Tag, an dem man dem Schöpfer danke für das Geschenk des Lebens sagt. Ich hege keinen Zweifel daran, dass die Jünger die Botschaft von Jesus heute per WhatsApp, Twitter oder YouTube weiterleiten würden.

Die Seelsorgeeinheiten werden in Zukunft größer. Was bedeutet das für die Gläubigen vor Ort und können wir uns demnächst auf Trauergespräche unter Stress einstellen?

Mit der Kirchenentwicklung 2030 kommt sukzessive etwas ganz Neues auf uns zu. Die Räume werden größer und es besteht durchaus die Gefahr, dass wir Menschen auf dem Weg verlieren. Es könnte aber auch sein, dass der Veränderungsprozess Chancen in sich birgt. Durch Taufe und Firmung sind die Menschen berufen, Verantwortung in der Kirche zu übernehmen und den Lebensraum Kirche entsprechend mitzugestalten. Spätestens ab 2030 wird wohl das Dekanat Linzgau eine Seelsorgeeinheit sein oder zwei. Es soll so garantiert werden, dass Kinder getauft und zur Erstkommunion und Firmung geführt werden. Die Paare verheiratet werden und die Toten bestattet. Letzteres ist ein wichtiger Dienst, der auch von Laien übernommen werden kann. Also kein Stress.

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Wann zweifelt Bernd Walter denn an Gott?

Ich zweifle nicht, aber am Krankenbett fällt es mir manchmal schwer, stark im Glauben zu sein. Oder wenn ein Kind stirbt. Lautes Beten hilft mir dann immer.

Was beuteutet für Sie Maria, Gottesmutter, im Hinblick auf die Stellung der Frau in der katholischen Kirche?

Maria ist die Frau, die Jesus geboren hat, und eine Schwester im Glauben. Frauen sind in der Kirche 2019 ein Reichtum, den es zu hegen gilt. Ich lehne Frauen als Pfarrerinnen nicht ab.

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Halten Sie den Zölibat in der heutigen Zeit noch für sinnvoll?

Für sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig. Ich kann mir bei dieser Frage auch vorstellen, nicht alles zentral, also weltweit, sondern angemessen auf die jeweiligen Kulturkreise zu regeln.