Eine sechsköpfige Familie aus Überlingen organisiert ihren gesamten Lebensalltag ohne ein Auto? Fast, lautet die korrekte Antwort.
Seit 2014 sind die Brückmanns Mitglied bei Bodenseemobil, einem Carsharing-Verein. Dennoch, im Alltag der Brückmanns spielt das Auto keine große Rolle. Alle erwachsenen Söhne haben, genau wie ihre Eltern, einen Führerschein. Ein eigenes Fahrzeug ist für sie jedoch nicht wichtig.
Autos leihen statt kaufen
Freunde hätten ja Autos und da könne man sich jederzeit behelfen, erzählt der 19-jährige Valentin, der gerade Abitur gemacht hat, und in Kürze zu einer längeren Weltreise aufbricht. Längere Passagen möchte er per Schiff statt mit dem Flugzeug bewältigen – Valentin ist Segler. Für Fahrten zu Segelwettkämpfen in der Vergangenheit, beispielsweise an die Ostsee, buchte sein Vater einen Leihwagen. Das fanden seine Söhne „cool“, erzählt Stefan Brückmann.
Umwelt- und Kostengründe spielen für Familie große Rolle
Der Familienvater und Ingenieur für Wasserbau kann zwar beruflich nicht ganz auf das Auto verzichten, privat möchte er jedoch auch in Zukunft keines mehr haben. „Wir kommen wunderbar mit den Rädern zurecht, im Sommer wie im Winter, und wenn das Wetter mal zu schlecht ist, macht das auch nichts, denn wir gehen auch viel zu Fuß“, erzählt er. Das Auto sei für ihn aus Umwelt- und Kostengründen nicht mehr akzeptabel.
Öffentliche Verkehrsmittel keine Alternative
Was meint seine Frau Therese Brückmann-Olivier dazu? Wie bewältigt die Familie den Großeinkauf? Wie werden Fahrten zum Arzt organisiert und wie kommt die berufstätige Frau überhaupt einmal zur Freundin ins Hinterland?
Als die gebürtige Berlinerin nach Überlingen zog, habe eine Fahrt zum Kinderarzt nach Salem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schon fast den ganzen Tag in Anspruch genommen. „Da war ich geschockt“, erzählt die Künstlerin.Leihautos für Arzttermine oder Besuche bei Freunden
Für solche Fahrten oder auch den Besuch der Freundin im Umland nutze sie mittlerweile ein Carsharing-Auto. „Für eine monatliche Grundgebühr von 10 Euro zuzüglich der Kilometerpauschale klappt das mit dem Geburtstagsbesuch bei meiner Freundin. Wenn ich mich da aber verquatsche, sind auch schon mal über 20 Euro fällig“, erklärt Therese Brückmann-Olivier.

Grüne Kiste statt Großeinkauf
Den Familien-Großeinkauf gebe es nicht im Hause Brückmann, die grüne Kiste vom Hofgut Rengoldshausen mit Gemüse, Milch und vielen weiteren Lebensmitteln ersetze diesen komplett. Und wenn doch einmal etwas fehle, gebe es ja noch den Nahkauf um die Ecke oder den Wochenmarkt, erzählt die Mutter von vier Söhnen.
Fahrrad ist das Fortbewegungsmittel Nummer eins
Den öffentlichen Nahverkehr rund um Überlingen hält sie auch heute noch für unzureichend. Nicht zuletzt deshalb habe die Familie ihr gesamtes mobiles Leben nahezu ohne den ÖPNV organisiert. Die beiden Söhne Alois und Valentin machten alles per Rad, der kleine Alexander komme damit auch schon zurecht. Bei längeren Fahrten setze er sich einfach in den Anhänger. Wenn Alexander in die Schule kommt, soll er nach Nußdorf gehen, denn da könne er am See entlang mit dem Rad hinfahren, sagen die Eltern.
Familie sieht Verbesserungsbedarf bei Radwegen
Noch bewachen beide Elternteie die Fahrten ihres Jüngsten mit Argusaugen, erzählt Mutter Therese Brückmann-Olivier. Denn besonders sicher seien die Radwege in und um Überlingen herum nicht. Das könne man schon direkt vor der Haustüre in der Mühlenstraße beobachten. „So eine breite Straße und kaum Platz für uns Radler. Die Autos rasen hier lang, ohne Verkehrsberuhigung, was leicht machbar wäre. Eigentlich unfassbar“, kommentiert Stefan Brückmann.
Dass die Familie kein Auto hat, schränke sie nicht großartig in ihrer Flexibilität ein, meint Therese Brückmann-Olivier. Man müsse Autofahrten im Vorfeld eben besser planen.
Leihautos fast immer verfügbar
Als freischaffende Künstlerin habe sie mitunter sperrige Gegenstände zu transportieren. Innerhalb einer Stunde könne sie ein Leihauto buchen. Den Fall, dass alle Fahrzeuge vergeben waren, habe sie bisher fast nie erlebt. Dass die Leihautos von manchem Fahrer in schmutzigem Zustand hinterlassen würden, nerve sie manchmal, aber dies sei eigentlich auch der einzige Kritikpunkt.
Sieben Leihautos stehen in Überlingen bereit: So funktioniert‘s
Ökobilanz als wichtiger Faktor
Doch wäre ein Familienwagen nicht günstiger? Nein, sagt Stefan Brückmann. Denn zu den allgemeinen Unterhaltskosten kämen auch Kosten für einen Parkplatz hinzu, da eine Stellfläche am Haus nicht vorhanden sei.
Neben der finanziellen Seite sei für sie aber vor allem die Ökobilianz ein wichtiger Faktor. Die Zeiten, in denen jeder im eigenen Auto herumfahren müsse, seien mittlerweile vorbei.