Gennadiy Zhelevynskyy lebt seit 17 Jahren in Deutschland. Er ist Physiker, in Überlingen verdient der 52-jährige Ukrainer sein Geld als Taxifahrer. Seine Verbindungen in die Ukraine sind nie abgerissen. Freunde, Verwandte und ehemalige Kollegen berichten ihm. Er bewegt sich in sozialen Medien und konsumiert viele Nachrichten. Auf Russisch, seine Muttersprache, auf Ukrainisch, auf Deutsch.

Sein Sohn ist Stanislav Zhelevynskyy, 19 Jahre, in der Ukraine geboren, kam als Baby an den Bodensee, machte in Überlingen Abitur, jetzt studiert er Betriebswirtschaftslehre. Stanislav sagt über seinen Vater: „Wenn er eine Nachricht liest, checkt er sicherheitshalber noch zehn weitere Quellen.“

Gennadiy Zhelevynskyy: „Jeder Tag macht uns stärker.“
Gennadiy Zhelevynskyy: „Jeder Tag macht uns stärker.“ | Bild: Hilser, Stefan

Gennadiy Zhelevynskyy ist bestürzt darüber, wie sehr die russische Propaganda verfängt. Als Taxifahrer begegneten ihm täglich Leute, die den Ukrainern unterstellten, Schuld am Krieg zu sein. Es gebe tatsächlich Menschen, die ihnen einen Genozid unterstellten, worauf er zurückfrage: „Glauben Sie, dass Nazis zu 75 Prozent einen russisch-sprachigen Juden zu ihrem Präsidenten wählen würden?“

Drei Fragen an Volker Mayer-Lay

Bundestagsabgeordneter im Krisenmodus

Volker Mayer-Lay kennt die Männer privat. Die Ukrainer sind für ihn wertvolle Gesprächspartner. Gerade jetzt, als frisch gewählter Bundestagsabgeordneter, der sich plötzlich im Krisenmodus eines drohenden Weltkriegs befindet.

Stanislav Zhelevynskyy: „Putin nimmt sich, was er kriegen kann – bis ihn jemand stoppt.“
Stanislav Zhelevynskyy: „Putin nimmt sich, was er kriegen kann – bis ihn jemand stoppt.“ | Bild: Hilser, Stefan

Die Zhelevynskyys vermitteln ihm ihr Bild von der Lage, das nicht nur in düsteren Bildern endet. Zwar sind die Männer davon überzeugt, „dass Putin Europa zerlegen will“. Wenn ihm die Ukraine in die Hände fiele, so ihre Befürchtung, wäre Russlands Armee erheblich stärker. In ihrem Land würden Rüstungsgüter produziert, die für die Modernisierung veralteter russischer Raketen nötig wären. Stanislav Zhelevynskyy: „Putin nimmt sich, was er kriegen kann – bis ihn jemand stoppt.“

Frage nach Waffenlieferungen

Die beiden ukrainischen Überlinger trauen es ihren Landsleuten aber auch zu, dass sie die russische Armee schlagen können. Dafür benötige die Ukraine jetzt eine moderne Luftabwehr. Wenn die Nato sie nicht mit eigenen Kräften einsetzt, westliche Staaten aber liefern, dann seien sie durchaus in der Lage, die modernen Geräte selbst zu bedienen. Gennadiy Zhelevynskyy: „Jeder Tag macht uns stärker.“

Warteliste für freiwillige Soldaten

Mayer-Lay spricht mit den Zhelevynskyys über den Mut der Ukrainer. Er hört von Gennadiy Zhelevynskyy, dass sich dessen bester Freund bei der Bürgerwehr in Kiew als Freiwilliger gemeldet habe, er dort aber noch nicht gebraucht würde, sondern erst zur Ausbildung an Artilleriewaffen nach Lemberg geschickt worden sei, wo er derzeit erst auf einer Warteliste stehe. So groß sei die Bereitschaft, das Land zu verteidigen, dass man sich von der Mannstärke her den Kräften Putins noch lange entgegenstellen könne.

„Die Deutschen sind endlich aufgewacht. Viele verstehen jetzt, dass die Ukraine für ganz Europa kämpft.“
Gennadiy Zhelevynskyy

Die Zhelevynskyys berichten dem Bundestagsabgeordneten über gefangen genommene russische Soldaten, die sich in einer Übung wähnten. Über die sich zuspitzende humanitäre Katastrophe. Über ungesteuerte Bomben, die über Wohnhäusern abgeworfen würden. Über Gehirnwäsche, die durch russische Propaganda betrieben werde. Über die russische Seele, über Putins Ziele. Über russische Spätaussiedler in der Bundeswehr. Und über das, was die ukrainische Armee jetzt benötige. Gennadiy Zhelevynskyy: „25 Jahre lang haben die Deutschen eine kurzsichtige Politik betrieben und haben sich zur Geisel von russischem Gas gemacht. Sie sind endlich aufgewacht. Viele verstehen jetzt, dass die Ukraine für ganz Europa kämpft.“

Wie Volker Mayer-Lay berichtete, werde er als stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss „intensiver über die Sicherheitslage informiert“. Meistens handle es sich um Informationen, die ein paar Tage später öffentlich werden. Über die verhängten Sanktionen hätten sie immer ein bisschen früher Bescheid gewusst.

Wie jeder andere Bürger auch, verfolge er zusätzlich die Lage über die Medien. In den sozialen Medien achte er darauf, sich nicht nur in der eigenen Blase zu bewegen, weshalb Gespräche mit Leuten wie Stanislav und Gennadiy Zhelevynskyy besonders wichtig seien. Stanislav habe über Telegram Verhörprotokolle mit russischen Soldaten erhalten und sie ihm übersetzt. „Das verschafft mir wichtige Einblicke, oder ist eine Bestätigung dessen, was wir schon wussten.“

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