Die Vorarlberger Autorin Verena Roßbacher wollte nicht mehr so recht daran glauben, dass ihre Lesung bei der Landesgartenschau in Überlingen tatsächlich noch stattfinden würde. Denn die Reihe „Literatur unter Bäumen – Lesen am See“ im Grünen Salon, bei der jeweils ein lebender Literat einen bereits verstorbenen Schriftsteller „trifft“, war bereits für den Sommer 2020 geplant. Doch sie war wegen Corona natürlich ebenso verschoben worden wie die ganze Gartenschau.

Lange Zeit schien auch der neue Start Anfang Juni 2021 gefährdet, doch gerade noch rechtzeitig sanken die Inzidenzzahlen. „Das war jetzt eine Punktlandung“, sagte der Reutlinger Literaturorganisator Peter Reifsteck. Er meinte damit, dass sich erst kurz vor knapp entschieden hatte, dass die Auftaktveranstaltung mit Roßbacher und Jürgen Thaler, der Franz Michael Felder vorstellte, wie terminiert stattfinden konnte.

Reifstecks Satz passt auch auf die fulminante Premiere: Die 1979 in Bludenz geborene Roßbacher, preisgekrönte Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, trug mit Verve und komödiantischem Talent aus ihrem brillant geschriebenen dritten Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ vor. Dessen Kapitel fesseln Auditorium und Leserschaft dank origineller, lebhaft und humorvoll ausgemalter Szenen – hinter denen aber Abgründe lauern.

Der Roman beginnt mit einem blutigen Drama

Nicht umsonst beginnt der Roman mit einem blutigen Drama. Doch man möchte nun weniger wissen: Wer war‘s als vielmehr: Wie konnte es dazu kommen? Das liegt am ungewöhnlichen Setting, das Roßbacher mit psychologischer Raffinesse noch interessanter macht: Der junge Vorarlberger Krischi arbeitet als Butler in einem reichen Zürcher Haushalt. Im Nachhinein rekonstruiert er die dort stattgefundenen Katastrophe und seine Jugend in Feldkirch. Denn die beiden Welten verknüpften sich verhängnisvoll, als seine Dienstherrin seinen alten Freunden begegnete.

Literatur unter Bäumen

Jürgen Thaler, Leiter des Franz-Michael-Felder-Archivs in Bregenz, stellte den „schreibenden Bauern“ Felder und sein Werk vor.
Jürgen Thaler, Leiter des Franz-Michael-Felder-Archivs in Bregenz, stellte den „schreibenden Bauern“ Felder und sein Werk vor. | Bild: Sylvia Floetemeyer

„Ich hab‘s doppelt schwer, nach so einem lebendigen Vortrag einen toten Autor vorzustellen“, meinte Jürgen Thaler lächelnd. Der Leiter des Franz-Michael-Felder-Archivs der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz, bestritt den zweiten Teil des Abends, den der Überlinger Literaturförderer Oswald Burger moderierte.

Ein besoffener Arzt, der das lahme linke Auge des Kindes Franz Michael operieren soll

Thalers Erwartungen dämpfende Bemerkung stellte sich als pures Understatement heraus: Er stellte die unglaubliche, filmreife Biografie und das Werk Felders, der 1869 bereits mit 29 Jahren starb, so mitreißend vor, dass der „schreibende Bauer“, der heute als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des Realismus gilt, den rund 50 Zuhörenden fast leibhaftig vor Augen stand: Ein besoffener Arzt, der das lahme linke Auge des Kindes Franz Michael operieren soll, sticht ihm das gesunde, rechte aus.

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Felder wird im heimischen Dorf, Schoppernau im Bregenzerwald, zum Außenseiter, verliert dazu noch früh seinen Vater und ertrinkt selbst fast nach einem Sturz in den Fluss. Beim Kauf eines Stücks Seife fällt ihm das Einwickelpapier ins Auge, es ist eine Seite der „Gartenlaube“, der ersten deutschen Massenzeitschrift. Felder entdeckt das Lesen für sich, dann das Schreiben, ist politisch aktiv, wird durch Zufall als Schriftsteller entdeckt und nach seinem frühen Tod, vor dem er weitere, herbe Schläge einstecken muss, wieder vergessen.

Erst in den 1980er Jahren gibt es eine Felder-Renaissance, befördert durch eine Werkausgabe, für die Peter Handke das Vorwort schreibt. Thaler las einen Auszug aus Felders Autobiografie „Aus meinem Leben“, der Lust auf mehr machte und meinte zum Publikum: „Ich beneide jeden und jede, der, die es noch nicht gelesen hat.“

Rund um die Landesgartenschau