Eigentlich saß er als Opfer im Zeugenstand. Aus Sicht der Verteidigung hätte der 35-Jährige auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Zwei während des Prozesses vorgeführte Videos zeigen ihn mit einem Glas in der Hand. Mutmaßlich verletzte er damit einen Bekannten der beiden Angeklagten, und das könnte ein Auslöser für die Attacke auf der Promenade in Meersburg gewesen sein. Aber nur über diese Attacke galt es jetzt im Amtsgericht Überlingen zu verhandeln.
Die Verteidigung versuchte, die Bierglas-Vorgeschichte zum zentralen Baustein des Geschehens zu machen. Und tatsächlich geriet im Laufe des Prozesses der 35-Jährige in Erklärungsnot. Dass er ein Glas in der Hand hatte, ließ sich angesichts der Videos nicht bestreiten. Erinnern konnte er sich daran nicht, weitere Details des Geschehens waren ihm entfallen, darunter das wichtige Detail, ob er jemanden mit diesem Glas verletzt hat.
„Kann nicht sein, dass aus dem Opfer ein Täter wird“
Zur Aufklärung beitragen konnte oder wollte er wenig, stattdessen beschwerte er sich: „In Deutschland kann es nicht sein, dass aus dem Opfer ein Täter wird.“ Auf die Anwälte der beiden Angeklagten (24, Meersburg/38, Konstanz) wirkte diese Aussage höhnisch: Sie kündigten noch in der Verhandlung Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gegen das als Zeuge geladene Opfer an.
Das passierte vor der brutalen Attacke
Die zur Verhandlung stehende Attacke gegen den 35-Jährigen und seinen 36-jährigen Begleiter war von außergewöhnlicher Brutalität. Bevor es auf der Promenade dazu kam, hatte es in einem Restaurant in der Nähe eine Auseinandersetzung gegeben. Dort arbeiteten die beiden Angeklagten. Die beiden späteren Opfer wollten im Restaurant etwas essen, waren aber derart alkoholisiert, dass sie nicht mehr bedient wurden.
Außerdem hatten sie nach übereinstimmenden Zeugenaussagen Gläser mit ins Restaurant gebracht. Es kam zum Disput mit Personal und anderen Gästen. Die Verteidigung präsentierte ein Video, in dem der 35-Jährige einem Mann Bier ins Gesicht kippt. Wenig später soll er jemandem aus der gegnerischen Gruppe mit dem Glas Schnittverletzungen im Gesicht und am Arm zugefügt haben.
Zähne verloren, Knochenbrüche, Metallplatte im Schädel
Mit der Auseinandersetzung im Lokal war es nicht getan. Vor der Tür heizte sich die Sache weiter auf. Auf den Videos von der Promenade sind in Richtung der späteren Angeklagten heftige Beleidigung zu hören.
Wenig später die Eskalation auf der Seepromenade. Die beiden Angeklagten liefen den beiden Männern hinterher und debattierten, das war auf dem Video zu hören, über „Glas“. Als sie die Opfer erreicht hatten, schlugen sie von hinten zu und traten auf das am Boden liegende Opfer ein – auch gegen den Kopf. Der 36-Jährige aus Markdorf erlitt Brüche am Jochbein und Oberkiefer, verlor mehrere Zähne und trägt seither eine Metallplatte im Schädel. Sein Begleiter, besagter 35-Jähriger, kam mit leichten Verletzungen davon.
Bundespolizist versetzt sich in den Dienst
Zeugen schilderten den Angriff als „äußerst brutal“ und „hinterrücks“. „Das passte gar nicht ins friedliche Meersburg“, sagte ein Bundespolizist, der zufällig mit seiner Partnerin am Ort des Geschehens war. Er stoppte die Attacke, indem er sich als Polizist auswies. Im Prozess schilderte er seinen Eindruck, die beiden Gruppen seien schon vorher aufeinandergetroffen. Der Polizist spürte, „da brodelt etwas“.
Zeugen berichteten von einem blutenden Mann, keines der Opfer, aber ebenfalls am Tatort anwesend. Die Identität dieses ominösen Mannes und die Herkunft seiner Verletzungen ließ sich nicht klären. Er könnte derjenige gewesen sein, der durch die mutmaßliche Bierglas-Attacke des späteren Opfers Schnittwunden erlitten hatte.
Vor dem Hintergrund der unklaren Gemengelage hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren zunächst eingestellt. Die Annahme der Ankläger: Die Täter seien ohnehin nicht zu ermitteln, daher keine Anklage. Aber auf Drängen der Generalstaatsanwaltschaft wurde das Verfahren wieder aufgenommen.
Anwalt verspottet Ermittler: „Vernehmungen per WhatsApp-Gruppe“
An der Ermittlungsarbeit der zuständigen Schutzpolizisten ließ die Verteidigung kein gutes Haar. „Es hat keine einzige ordentliche Vernehmung gegeben, stattdessen E-Mail-Verkehr“, kritisierte der Anwalt und spottete: „Will die Polizei demnächst WhatsApp-Gruppen zur Vernehmung bilden?“ Die Verteidigung betonte den Umstand, dass während der Verhandlung kein Zeuge auf den im Saal vorgeführten Videos die Angeklagten erkannt hatte.
Der Richter erkannte sie durchaus. „Ich habe keinen Zweifel an der Täterschaft. Auf dem Video sind beide Angeklagten klar zu erkennen“, sagte Alexander von Kennel in der Urteilsverkündung. Er sprach beide Männer wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung schuldig.
„Wie Sie sich aufgeführt haben, war nicht in Ordnung“
Die Staatsanwältin hatte acht Monate Haft auf Bewährung, 6000 Euro Geldauflage und Anti-Aggressionstraining gefordert. Das Gericht blieb weit darunter, verhängte eine Geldstrafe: je 120 Tagessätze à 15 Euro sowie die Kosten des Verfahrens. In seiner Urteilsbegründung stellte von Kennel klar, der „massive Vorfall“ zuvor habe ausgelöst, dass den Angeklagten die „Sicherungen durchbrannten“.
Die Weizenbierglas-Attacke könne er nicht ausschließen, und es sei ärgerlich, wie sich die Zeugen vor Gericht gewunden hätten. Der 35-Jährige habe durch sein Verhalten selbst zur Eskalation beigetragen. „So wie Sie und Ihr Kollege sich aufgeführt haben, das war nicht in Ordnung. Sie sind ein Stück weit selbst schuld.“