Wann genau die ersten Triebe jener heute so mächtigen Linde am Haldenhof aus dem Stumpf eines viel älteren Baumes sprossen, der am Steilhang 300 Meter über dem Bodensee vielleicht nach einem Blitz in Flammen aufging, kann Professor Andreas Roloff nicht aufs Jahr genau sagen. Der Vorsitzende der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG) schätzt die Burkhartlinde auf 400 bis 500 Jahre und gibt das Mittel von 450 Jahren als Alter an.

Seit Donnerstagabend gehört das alte Gewächs, an dem zahllose Ausflügler beim Spaziergang zum wahrscheinlich schönsten Aussichtspunkt über dem Bodensee vorbeigehen, zu den 100 bedeutendsten Bäumen Deutschlands.

Gemeinsam mit Oberbürgermeister Jan Zeitler rief Roloff die Burkhartlinde bei einem vom Musikverein Bonndorf musikalisch begleiteten Festakt offiziell als sogenannten Nationalerbe-Baum aus. Sie ist der 39. Baum deutschlandweit und erst der dritte in Baden-Württemberg, den das Kuratorium Nationalerbe-Baum mit diesem Status adelt.

Die Burkhartlinde liegt am Hang oberhalb von Sipplingen. Ihr Stamm mißt 8,25 Meter, die Höhe beträgt 9 Meter, der Baum kann bis zu 35 ...
Die Burkhartlinde liegt am Hang oberhalb von Sipplingen. Ihr Stamm mißt 8,25 Meter, die Höhe beträgt 9 Meter, der Baum kann bis zu 35 Meter hoch werden. Um den ökologischen Wert zu beschreiben, erklärte Andreas Roloff: Um die Blattfläche der 20 Meter messenden Krone des alten Baums zu erreichen, müssten 400 junge Bäume mit demselben Kronendurchmesser gepflanzt werden. | Bild: Martin Baur

OB Zeitler nennt sich stolz darauf, Bäume zu erhalten

Die Ausrufung zum Nationalerbe-Baum sei nicht nur eine Anerkennung für die Linde selbst, sondern auch für die Stadt Überlingen, sagte Zeitler. Er nannte das Prädikat „ein Zeichen dafür, wie wichtig uns der Baumbestand ist“. Der OB weiter: „Wir diskutieren oft und viel über den Erhalt von Bäumen, wir sind aber auch stolz darauf, wenn wir besondere Bäume erhalten können, neue pflanzen und vor allem auch mit unseren Bäumen gut und aufmerksam leben.“

Ihren Namen verdankt die Linde dem Minnesänger Burkhart von Hohenfels (etwa 1195 bis 1246). Die einzige Darstellung, die von dem Dichter ...
Ihren Namen verdankt die Linde dem Minnesänger Burkhart von Hohenfels (etwa 1195 bis 1246). Die einzige Darstellung, die von dem Dichter überliefert ist, findet sich in der Großen Heidelberger Liederhandschrift, dem Codex Manesse. Burkhart steht links, rechts eine edle Dame, der er ein Blatt überreicht. | Bild: wikimedia.org

Die Burkhartlinde steht auf spitälischem Grund und wird von der Abteilung Grünflächen, Umwelt und Forst (GuF) „aufwendig betreut“, wie Zeitler weiter ausführte. Schon bisher war sie als eingetragenes Naturdenkmal anerkannt. Mit dem Status als Nationalerbe-Baum seien nun Fördermittel verbunden, die den Schutz und die Pflege und den Erhalt dieses wertvollen Baumes sicherstellten.

Zaun soll signalisieren, dass dieser Baum etwas Besonderes ist

Leider habe der Baum in jüngerer Zeit durch das unüberlegte Begehen der Wurzeln und das Klettern am Stamm erhebliche Schäden erlitten, erläuterte Zeitler. „Irgendwann haben die GuFler gesagt, das kann so nicht bleiben.“ Die Konsequenz daraus ist beim Festakt deutlich zu sehen: Eine Umzäunung, von der Zeitler hofft, dass sie allgemein akzeptiert werde. Und: „Ich glaube, das ist so massiv, dass jeder verstehen wird, dass dieser Baum was Besonderes ist und bitte nicht mehr beklettert werden soll.“

Fachmann besorgt wegen des Zustands der Linde

Der Zustand des Baumes sei auch sein ganz großes Problem gewesen, erklärte Professor Andreas Roloff vom Institut für Forstbotanik und Forstzoologie an der TU Dresden. Als Leiter des Kuratoriums Nationalerbe-Bäume in der über 1000 Mitglieder starken Dendrologische Gesellschaft ist er maßgeblich an der Auswahl der Nationalerbe-Bäume beteiligt. Die Tritt- und Kletterschäden durch Besucher mit Kindern, die es eigentlich nett meinten, hätten der Linde erheblich zugesetzt. „Natürlich wäre ich als Kind da auch hochgeklettert, wenn ich hier gewohnt hätte“, meinte Roloff in Richtung des Landtagsabgeordneten Martin Hahn. Der Grünen-Politiker hatte ihm zuvor erzählt, dass er in jungen Jahren oft im Baum gewesen sei. Hahn stammt vom Helchenhof, der nur ein paar Steinwürfe entfernt liegt.

Bild 3: Burkhartlinde in Überlingen ist nun einer der 100 bedeutendsten Bäume Deutschlands
Bild: Baur, Martin

Absperrung war Bedingung der Dendrologischen Gesellschaft

Wegen der Schäden sei die Absperrung die Bedingung der DDG gewesen. Alle drei Verantwortlichen – Stadt, Spital und die Gasthof-Betreiberfamilie Reineke-Regenscheit, die er als dem Baum „emotional verbunden“ erlebte – seien sofort begeistert gewesen von der Idee. Die Umsetzung des aus unbehandelter Robinie gebauten Eingrenzung nannte er „sensationell“. Verantwortlich war Klaus Wohlfahrt mit seiner Überlinger Firma Kreaholz, an die der Wissenschaftler einen Riesendank richtete: „So etwas Schönes und Gefühlvolles habe ich noch nicht gesehen.“

In die „Ehrengarde deutscher Bäume“ wurde die Burkhartlinde aus mehreren Gründen aufgenommen, so Roloff. Ziel sei es, die Nationalerbe-Bäume, 100 sollen es dereinst werden, möglichst gleichmäßig über alle Bundesländer zu verteilen. Und Baden-Württemberg sei an der Reihe gewesen. In der Region habe es fünf Kandidaten gegeben. „Ich schaue mir die Bäume immer erst mal an, ohne dass jemand etwas weiß.“ Vor einem dreiviertel Jahr war er erstmals am Haldenhof. „Als ich diesen Baum da erlebt habe, war mir emotional klar, dass der das wird.“

Eine Tafel erläutert Besuchern, was das Besondere an diesem eingezäunten Baum ist. Gemeinsam mit Klara, einem Kind aus den Reihen der ...
Eine Tafel erläutert Besuchern, was das Besondere an diesem eingezäunten Baum ist. Gemeinsam mit Klara, einem Kind aus den Reihen der Gäste, enthüllten Professor Andreas Roloff (Mitte) und OB Jan Zeitler die Information. | Bild: Martin Baur

Bei der Enthüllung der DDG-Infotafel zum Nationalerbe-Baum holten sich Roloff und Zeitler dann als tatkräftige Unterstützung ein Kind aus dem Publikum, das bestand aus Gemeinderäten, der Wirtsfamilie und Mitarbeitenden der Stadtverwaltung sowie zufälligen Haldenhofgästen. Klara zog gemeinsam mit dem OB an der Schleife – und zu seiner Überraschung entdeckte der Rathauschef auf der Tafel, dass die Eva-Mayr-Stihl-Stiftung maßgeblicher Unterstützer der Initiative Nationalerbe-Bäume ist. Die 2022 verstorbene Unternehmerin war die Tochter von Andreas Stihl, dem Gründer des weltweit bedeutenden Motorsägen-Imperiums. Neben der Förderung der Welterbe-Bäume hat die Stiftung auch gemeinsam mit der Universität Freiburg eine Stiftungsprofessur für Forstgenetik eingerichtet.