Das Nikolausmünster ist nicht nur das katholische Zentrum Überlingens, es ist das Wahrzeichen der Stadt – und das seit Jahrhunderten. Damit das so bleibt, wurde das baufällige Münster Anfang des 20. Jahrhunderts umfassend saniert. Es wurde so sehr erneuert, dass nach Abschluss der Bauarbeiten 1924 gar von einer Wiedereröffnung die Rede war.

16 Jahre dauerte die Renovierung damals. Ihre Fertigstellung jährt sich nun zum 100. Mal. In der Rückschau offenbaren Pfarrgemeinderatsvorsitzende Christine Gäng und Maria Gratia Rinderer, Kunsthistorikerin und Leiterin des Katholischen Bildungswerks, eine turbulente Baugeschichte.

Münster und Stadt gehören zusammen

Dass das Münster so sehr mit dem Erscheinungsbild der Stadt verwurzelt ist, kommt nicht von Ungefähr: Das Münster war ein Wunsch der Bürger. „Es war immer eine Bürgerkirche, es war nie ein Bischofssitz“, sagt Pfarrgemeinderatsvorsitzende Christine Gäng. „Münster und Stadt gehören zusammen. Überlingen ist ohne das Münster gar nicht denkbar“, beschreibt sie den Stellenwert des Gebäudes. Und um dieses Wahrzeichen zu erhalten, ja, vor dem Verfall zu bewahren, nachdem im 17. und 18. Jahrhundert beinahe nichts passiert ist, begann man 1908 mit einer umfassenden Innenrestauration, erklärt Kunsthistorikerin Maria Gratia Rinderer.

Pfarrgemeinderatsvorsitzende Christine Gäng (links) und Maria Gratia Rinderer, Kunsthistorikerin sowie Leiterin des katholischen ...
Pfarrgemeinderatsvorsitzende Christine Gäng (links) und Maria Gratia Rinderer, Kunsthistorikerin sowie Leiterin des katholischen Bildungswerks, im Inneren des Überlinger Münsters. Beide referieren am Sonntag, 6. Oktober, über die Bauarbeiten vor 100 Jahren. | Bild: Rasmus Peters

Feuchtigkeit sitzt im Gemäuer

Letztlich sei die Kirche baufällig gewesen, sagt Christine Gäng. Allerdings war nicht nur das Gestein, der Molasse-Sandstein, porös, das größte Problem war die Feuchtigkeit, erläutert Rinderer. Eine Grundwasserader verlief unterhalb der Münstermauern, die unter dem Bodenbelag alles verschlammte und die Fundamente angriff. Auch der Regen konnte nicht kontrolliert abfließen. Die Feuchtigkeit hockte im Gemäuer. Im Inneren setzten die Säulen Schimmel an, erzählt die Pfarrgemeinderatsvorsitzende. „Es muss gemufft haben, wie in einem Keller“, beschreibt sie. Das Wasser sollte gebändigt werden, eine Entwässerung sollte installiert werden.

Das Gerüst weckt Assoziationen zur Sanierung des Münsters von 1908 bis 1924. Doch steht es derzeit, weil das riesige Stauder-Gemälde ...
Das Gerüst weckt Assoziationen zur Sanierung des Münsters von 1908 bis 1924. Doch steht es derzeit, weil das riesige Stauder-Gemälde restauriert wird. | Bild: Rasmus Peters

Mit Pferdefuhrwerken in der Kirche

Die damaligen Bauarbeiten unterteilt Gäng in zwei Abschnitte: zunächst der bauliche, anschließend der künstlerische. Zuerst wurde im Chor, also im Altarbereich, Hand angelegt, berichtet Kunsthistorikerin Rinderer. Das Heiligste sollte geschützt werden. Mit einer gigantischen Holzwand im Chorboden wurden es vor Baustaub und dem groben Getrampel der Arbeiter bewahrt. Beim Ausschachten des Bodens im Langschiff kamen sogar Pferdefuhrwerke zum Einsatz. Auf einem historischen Foto posieren die Männer mit den Tieren. Links liegen zwei Schädel, der Boden rau und erdig von den Grabungen. Im aufgeschlagenen Grund entdeckten sie auch die Fundamente früherer Kirchengemäuer.

Die Restauratoren sägten die alles überragenden Pfeiler auf wie Baumstämme und fügten eine Isolierung aus Blei und Asphalt ein, um die Feuchtigkeit einzudämmen. In einer eigens gebauten Münsterbauhütte gingen Steinmetze ihrer Arbeit nach. Sie fertigten neue Schlusssteine, kopierten die Ornamente vom brüchigen Originalgestein und schlugen ihn in den festeren Neuen.

Ein neuer Blick aufs Münster

1890 gründete sich der Münsterbauverein. Nur wenige Tage darauf zählte er bereits 450 Mitglieder, bis wenig später jeder siebte Überlinger Mitglied ist. Abermals ein Zeichen, wie viel die Kirche den Überlinger Bürgern bedeutete. Und bis heute stehen dem Verein der Oberbürgermeister sowie der katholische Stadtpfarrer der Münsterpfarrei vor. Mit der Jubiläumsfeier, will Gäng im Namen der Kirchengemeinde zeigen, was die Menschen zur Erhaltung ihres Wahrzeichens auf sich genommen haben, dass die heutige Bevölkerung vielleicht einen neuen Blick auf das Münster erhält. Sie betont, dass die Kirche kein totes Denkmal ist und nicht nur als Glaubenszeugnis früherer Generationen in die Region ausstrahlt.

Kleinste und große Spenden

Die Kosten für die Renovierung vor 100 Jahren sind laut Gäng nur schwer zu beziffern. In jedem Fall liegen sie weiter über der Millionengrenze, allerdings in Goldmark. Einfache Familien spendeten ebenso wie Aristokraten und Herrscher. Kleinstbeträge und riesige Spenden füllten die Restaurationskasse. Allein aus der Schweiz kamen zweimal 500.000 Mark. Sämtliche Verbindungen wurden genutzt, um irgendwie an Geld zu kommen. „Man hat alles angegraben, was man irgendwie an Verwandtschaft hatte“, formuliert es Christine Gäng. Auch eine Lotterie sei eigens ins Leben gerufen worden, um den Bau finanziell zu unterstützen. Selbst ein Theaterstück, das Überlinger Münsterspiel, wurde dafür geschaffen.

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Doch die Bauarbeiten wurden immer wieder unterbrochen. Der Erste Weltkrieg begann, die Männer von der Baustelle mussten an die Front. Mitunter arbeiteten nur noch drei Menschen am Gotteshaus, schildert Rinderer. 1923 entwertete eine Inflation das Geld und die Arbeiten kamen abermals zum Erliegen. Doch der Termin der Wiedereröffnung am 6.¦Dezember 1924 rückte näher und beflügelte die fleißigen Handwerker. Im Oktober des Jahres setzten sie den abschließenden Schlussstein. Im kleinen Rahmen feierten sie ihren Erfolg.

Bischof kommt zur Wiedereröffnung

Doch die große Anstrengung wurde schließlich am Nikolaustag groß zelebriert. Der Bischof reiste zur großen Wiedereröffnung an. Manche Menschen hatten ihr Münster noch nie von innen gesehen, sagt Christine Gäng. „Nach der Anstrengung und dem Krieg, war es für die Menschen ein Triumph, etwas aus den Trümmern entstanden zu sehen“, fügt sie hinzu.

Heute gibt es wieder Renovierungsbedarf. Genau genommen: „Bei so einem Gebäude steht immer etwas an“, sagt Gäng. Gerade zum Beispiel wird das 80 Quadradmeter großer Stauder-Gemälde von 1722 restauriert. Auch die Dächer sollen in absehbarer Zeit überprüft werden.