„Trachtenmutter ist man auf Lebenszeit, wie Papst!“, sagt Renate Lohr. Sie hat das Amt der Vorsitzenden im Trachtenbund, hier als Trachtenmutter bezeichnet, seit 2001 inne und ist seit 61 Jahren Mitglied. Auch ihre Vorgängerinnen hatten Ausdauer. Sie ist erst die vierte Trachtenmutter in der 100-jährigen Geschichte des Traditionsvereins.

Dabei war der Anfang holprig. Eigentlich sollte Lohrs ältere Schwester die Überlinger Tradition fortsetzen. Doch als der damals 16-Jährigen rigoros die „Simpelsfransen“, oder auch Pony, zum Mittelscheitel gesteckt wurden, war es aus. Also musste die jüngere Schwester einspringen. „Die Haube war teuer“, erläutert Renate Lohr die elterlichen Beweggründe schulterzuckend. Allzu ernst will sie es mit der lebenslangen Aufgabe als Trachtenmutter aber nicht nehmen. Sie kündigt an, bei der nächsten Jahreshauptversammlung im März 2025 zurückzutreten. Das machen mittlerweile ja sogar Päpste. „Nach so langer Zeit ist es dann mal gut“, stellt Lohr trocken fest.

Der Trachtenbund wurde vor 100 Jahren gegründet und wird im Juni groß gefeiert. Das Bild entstand bei der Schwedenprozession im Mai ...
Der Trachtenbund wurde vor 100 Jahren gegründet und wird im Juni groß gefeiert. Das Bild entstand bei der Schwedenprozession im Mai dieses Jahres. | Bild: Hilser, Stefan

Bis dahin wird ihr Kalender weiter vom Trachtenleben bestimmt sein. Zu den Aufgaben gehört es, die Teilnahme an den beiden Schwedenprozessionen zu organisieren. Dazu repräsentieren die Trachtenfrauen die Stadt bei offiziellen Anlässen, wie dem Bürgerempfang, städtischen Vernissagen oder dem Dreikönigstrunk. In der Saison bewirten sie jeden Montag Touristen bei den Gäste-Begrüßungsfahrten auf dem Schiff.

Katholisch ist kein Muss

Früher war es obligatorisch, dass nur gebürtige Überlingerinnen aufgenommen werden. Das sei im Idealfall immer noch so, erläutert Renate Lohr, aber auch Frauen, die mit einem Überlinger verheiratet sind und ihren Lebensmittelpunkt hier haben, können einen Antrag stellen. Auch die Glaubenszugehörigkeit spiele heute keine Rolle mehr. Wichtig sei die Traditionsverbundenheit, betont Lohr und räumt ein: „Wenn wir das nicht ausgeweitet hätten, hätten wir nicht mehr so viele Mitglieder.“ In dieser Hinsicht steht der Überlinger Trachtenbund glänzend da, auch Nachwuchssorgen gibt es keine. Zurzeit sind im Mitgliedsverzeichnis 168 Frauen gelistet, davon sind 31 Kinder und Jugendliche. Wer aufgenommen wird, entscheidet die Mitgliederversammlung in geheimer Wahl nach einem Probejahr.

„Ein Frauenverein ohne Zickereien“ nennt Renate Lohr den Trachtenbund. Monika Mayer-Bruns ist neu dabei, Renate Lohr, Ute Schröder sowie ...
„Ein Frauenverein ohne Zickereien“ nennt Renate Lohr den Trachtenbund. Monika Mayer-Bruns ist neu dabei, Renate Lohr, Ute Schröder sowie Elke Wigger vertreten im Gespräch die langjährigen Mitglieder (von links). | Bild: Sabine Busse

Ganz selbstverständlich wachsen die kleinen Trachtenfrauen in den Verein. Die jüngsten sind drei Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal bei der Prozession mitlaufen. Ute Schröder ist für die Kinderkleider zuständig, die der Verein vorhält und verleiht. An zwei Samstagen vor dem ersten Termin breitet sie die Kollektion an Kinder-Trachten zur Anprobe aus. Stammbesucher der Prozessionen haben die Kleider sicher schon mehrfach an verschiedenen Mädchen gesehen. Auch kleine Hauben und Handtäschchen werden verliehen. Allerdings wird bereits von den Kleinen Disziplin erwartet. Bei der Prozession gehen die Jüngsten voran, begleitet von der Jugendleiterin – die Mütter kommen weiter hinten. Da gibt es schon einmal Tränen. „Das ist bei uns eine harte Schule“, räumt Renate Lohr ein. Mit 18 Jahren müssen die jungen Frauen sich dann entscheiden, ob sie reguläres Mitglied werden.

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Nicht immer bringen die Mütter die Töchter in den Verein. Bei Carolin van de Loo war es umgekehrt. Sie lernte das Trachtengeschehen durch ihre Tochter kennen. „Von Jahr zu Jahr habe ich mehr Lust bekommen, mitzumachen“, erinnert sie sich. Auch ihre Schwägerin, Kathrin van de Loo, hat zuerst als Ministrantin bei den Schwedenprozessionen die Trachtenfrauen beobachtet. „Das sah so wunderschön aus!“, erinnert sie sich und wurde mit Anfang 20 Mitglied. Monika Mayer-Bruns traf den Entschluss erst, als ihre Kinder groß waren. „Die Trachten haben mir schon immer gut gefallen, sie gehören zu Überlingen“, sagt die gebürtige Stockacherin, die schon lange hier wohnt und in diesem Jahr erstmals dabei ist.

Andernorts Nachwuchssorgen

Renate Lohr fungiert auch als Obfrau von 14 Trachtenvereinen im Bereich Linzgau-Hegau. „Wir sind dort der Verein mit den meisten Mitgliedern, bei den anderen gibt es Nachwuchssorgen“, berichtet sie. Das hänge viel mit der Zusammensetzung des Vorstands zusammen. „Man merkt, wenn der Vorstand eine andere Generation verkörpert und andere Vorstellungen hat als die Mitglieder“, so Lohr. Die Attraktivität des Trachtenbundes hat sicher auch viel mit der Sichtbarkeit in der Stadt zu tun. „Die anderen haben keine Schwedenprozession“, bringt es Elke Wigger auf den Punkt.

Die Frauen und Mädchen des Trachtenbunds Überlingen zeigten sich bei der ersten Schwedenprozession des Jahres in ihrer ganzen Pracht.
Die Frauen und Mädchen des Trachtenbunds Überlingen zeigten sich bei der ersten Schwedenprozession des Jahres in ihrer ganzen Pracht. | Bild: Hilser, Stefan

Auf die Frage, ob man sich in der Tracht nicht verkleidet fühlt, antwortet Renate Lohr mit Nachdruck: „Nein! Mit der Haube auf dem Kopf sieht die Welt anders aus.“ Ute Schröder erinnert daran, dass es sich um ein traditionelles Festtagskleid handelt, „darin hält man sich aufrecht“. Sich mit einer Sonnenbrille, dem Handy am Ohr oder einer Zigarette im Mund zu zeigen, sei tabu. „So lange man in der Öffentlichkeit ist, bleibt die Haube auf!“, lautet die Regel. Da fällt Renate Lohr die Geschichte von Edeltraud Moser ein, die einst auf dem Weg zur Prozession in ihrem offenen Cabrio mit der Haube in der Aufrichter Straße geblitzt wurde. Das Foto dürfte Seltenheitswert haben.

Auf die Zukunft des Vereins angesprochen, ist sich die Damenrunde einig, dass sich der Trachtenbund treu bleiben will und keine Veränderungen plant. Das heiße aber nicht, rückständig zu sein, betont Renate Lohr. Die Nutzung digitaler Hilfsmittel schätze sie zur Erleichterung der Organisation und Vernetzung sehr. Auf die Frage, wie sie mit dem Mitgliedsantrag eines Mannes oder einer Transgender-Person umgehen würden, lautet die einhellige Antwort: „Das müssen die Mitglieder auf der Jahreshauptversammlung entscheiden.“ Den Präzedenzfall gibt ja bereits – allerdings nur zur Fasnacht mit der Narrenmutter im XXL-Kleid.