Treffen sich Hildegard Knef, Kaiser Barbarossa und der heilige Gallus in Überlingen – was wie ein Witz klingt, ist nicht minder unterhaltsam. Eine Zeitreise erwartet die Teilnehmer des szenischen Stadtrundgangs, den Regisseur Jonathan Skawski in Kooperation mit der Stadt Überlingen veranstaltet. Den Rahmen bildet ein anstehender Besuch von Kaiser Barbarossa im Jahr 1186, der vorbereitet werden will.

Heiß her geht es zwischen Köchin Sieglinge Segelohr (links) und Winzerin Wilma Weinselig im Wettkampf der Köstlichkeiten. Sogar Kaiser ...
Heiß her geht es zwischen Köchin Sieglinge Segelohr (links) und Winzerin Wilma Weinselig im Wettkampf der Köstlichkeiten. Sogar Kaiser Barbarossa ist beeindruckt. | Bild: Altmann, Miriam

„Ich bin Victor Valerian Voyage, Zeitreise-Stadtführer und Chrononaut“, präsentiert sich der künstlerische Leiter auf der Hofstatt vor dem Rathaus. „Es wird wild, ungestüm, imposant, ein Abenteuer“, kündigt er seine „Temporal Tours“ an, warnt jedoch davor, den historischen Persönlichkeiten aufzufallen oder sie gar zu berühren. „Wir wollen die Zeitlinien nicht verändern, bedenken Sie den Schmetterlingseffekt!“

Als Victor Valerian Voyage führt Regisseur Jonathan Skawski (rechts) rund 80 Personen durch Überlingen. Unverzichtbar dabei: Tristan ...
Als Victor Valerian Voyage führt Regisseur Jonathan Skawski (rechts) rund 80 Personen durch Überlingen. Unverzichtbar dabei: Tristan Ziesel als Techniker der „Temporal Tours Corporation“ | Bild: Altmann, Miriam

Das Publikum wird einbezogen

Die Zuschauergruppe, die mittlerweile auf rund 80 Personen angewachsen ist, wird hingegen gleich ins szenische Spiel mit eingebunden. „Haben Sie Wechselkleider für alle Jahrhunderte dabei?“, fragt Voyage in die Runde, nachdem er sich scherzhaft nach allen Namen gleichzeitig erkundigt hat. Mit Charme, Witz und Improvisationslust führt er an die schönsten Stellen Überlingens und springt dabei munter durch die Zeit.

Chrononaut Victor Valerian Voyage alias Jonathan Skawski führt charmant durch die Zeit Video: Altmann, Miriam

Auf dem Pflummernplatz beispielsweise erfahren nicht nur die Wäscherinnen, sondern auch die Teilnehmer von der Verleihung des Stadtrechts im Jahr 1250 – und ein Seitenhieb auf die Sipplinger Nachbarn darf natürlich nicht fehlen.

Zwei Maurer berichten im Jahr 1250 den Wäscherinnen von der Verleihung des Stadtrechts. „Das gibt Arbeit für mindestens zwei ...
Zwei Maurer berichten im Jahr 1250 den Wäscherinnen von der Verleihung des Stadtrechts. „Das gibt Arbeit für mindestens zwei Generationen“, bereiten sich die Handwerker auf die Errichtung der Stadtmauern vor. | Bild: Altmann, Miriam

Historisches humorvoll vermittelt wird auch bei einer Demonstration für Frauenrechte auf dem Olberplatz: Flugs bekommen die Zuschauer Plakate in die Hand gedrückt und die Szene aus den 1970ern wird zum Happening. „Sie haben das fantastisch gemacht!“, lobt Voyage alias Skawski vor allem die Teilnehmer, die spontan sogar eine Sprechrolle erhalten haben.

Eva Maria Morandell als engagierte Demonstrantin in den 1970er Jahren - und das Publikum deomonstriert mit Video: Altmann, Miriam

Eine der Personen, deren Name sich Skawski gemerkt hat, ist Karin Heidenreich. Dass sie immer wieder unfreiwillig im Mittelpunkt steht, macht ihr jedoch nichts aus: „Das ist in Ordnung, kein Problem“, versichert sie. Da sie erst vor einem Jahr nach Überlingen gezogen ist, schätzt sie nicht nur den Unterhaltungswert der Stadtführung, sondern auch die eingeflochtenen historischen Informationen. „Ich werde dann wahrscheinlich einiges nachlesen“, kündigt Karin Heidenreich an.

Passanten werden auf das Spektakel aufmerksam

So zum Beispiel über die Zeit der Hexenverfolgungen, die in Überlingen zu 19 Todesurteilen geführt habe. „Oh nein!“, entfährt es einer Teilnehmerin, als die Gruppe einer Verhaftung beiwohnt. Mit weiteren Angeklagten wird die der Hexerei bezichtigte Frau entlang der Spitalgasse an den Pranger gestellt, was nicht nur die Besuchergruppe, sondern auch Passanten beeindruckt. Der Chrononaut merkt weise an: „Nur durch das Verstehen der Vergangenheit können wir eine bessere Zukunft erreichen.“

Vermeintliche Hexen am Pranger: Für die Teilnehmer der Führung und die Passanten ein eher ungewöhnlicher Anblick, der fotografisch ...
Vermeintliche Hexen am Pranger: Für die Teilnehmer der Führung und die Passanten ein eher ungewöhnlicher Anblick, der fotografisch festgehalten wird. | Bild: Altmann, Miriam

Eindrucksvoll ist auch die Szene, als Pater Stanislaus von der Kanzel in der Franziskanerkirche zum Widerstand gegen das schwedische Heer aufruft. Und dass Hildegard Knef im Stadtgarten mit dem Komponisten Christian Lahusen und dem Publikum singt, zeigt einmal mehr die verbindende Magie dieses Theaterspektakels.

„Wir werden belagert!“, ruft die hereinstürmende Frau. Pater Stanislaus auf der Kanzel in der Franziskanerkircheist mäßig beeindruckt ...
„Wir werden belagert!“, ruft die hereinstürmende Frau. Pater Stanislaus auf der Kanzel in der Franziskanerkircheist mäßig beeindruckt und ruft die Zuschauer in den Kirchenbänken zum Widerstand gegen das schwedische Heer auf. | Bild: Altmann, Miriam

Das Ehepaar Waibel aus Überlingen, das durch Mundpropaganda auf die außergewöhnliche Stadtführung gestoßen ist, ist begeistert: „Ich find‘s toll gemacht“, meint Markus Waibel. „Cool, dass das in Überlingen angeboten wird – und besonders cool, dass es während des Public Viewings so gut angenommen wird.“

Mit Hildegard Knef im Stadtgarten singen? Kein Problem mit Temporal Tours Video: Altmann, Miriam

Amateurschauspieler brillieren in Mehrfachbesetzungen

Auch die Darsteller haben ihre Freude an dem Projekt. Eine der Laiendarstellerinnen ist Léa Marion aus Überlingen, die unter anderem Herzogin Gunzo verkörpert: „Ich schlüpfe ganz gern in andere Rollen. Da kann man die Person sein, die man darstellt.“ Vor Jahren habe sie mit Jonathan Skawski Improtheater gespielt – und vor ein paar Monaten sei die Anfrage für den szenischen Stadtrundgang gekommen: „Er hat mich angeschrieben, dass er eine Mutter mit einer etwa zwölfjährigen Tochter braucht.“

Die Chance für Léa Marions Tochter Étien, das erste Mal vor Publikum aufzutreten. Zwar erst elfjährig, überzeugte sie als Prinzessin Fridiburga, die – anscheinend von einem Dämon besessen – sich einer Heirat widersetzte. Der Exorzismus durch den heiligen Gallus nimmt jedoch eine überraschende Wendung.

Für den Exorzismus an Prinzessin Fridiburga benötigt Gallus die Unterstützung der Zuschauer Video: Altmann, Miriam

Dass manche Darsteller keine Vorerfahrung haben, nimmt Jonathan Skawski bewusst in Kauf: „Das ist auch eine Möglichkeit, mal in die Schauspielerei reinzuschnuppern“, sagt der Theaterpädagoge. „Er ist ein begnadeter Lehrer“, wirft Angelika Wegscheider ein, die in mehreren Rollen auftritt und sogar einen Gesangspart hat. „Das macht unheimlich Spaß und in meinem Alter belebt mich das.“ Der jüngste Darsteller, Étiens Bruder Lucien, fragt derweil: „Wann reisen wir mal in die Zukunft?“ Skawski antwortet prompt: „Nächstes Jahr!“

Weitere Termine sind am 6. und 7. Juli.