Treffen sich Hildegard Knef, Kaiser Barbarossa und der heilige Gallus in Überlingen – was wie ein Witz klingt, ist nicht minder unterhaltsam. Eine Zeitreise erwartet die Teilnehmer des szenischen Stadtrundgangs, den Regisseur Jonathan Skawski in Kooperation mit der Stadt Überlingen veranstaltet. Den Rahmen bildet ein anstehender Besuch von Kaiser Barbarossa im Jahr 1186, der vorbereitet werden will.

„Ich bin Victor Valerian Voyage, Zeitreise-Stadtführer und Chrononaut“, präsentiert sich der künstlerische Leiter auf der Hofstatt vor dem Rathaus. „Es wird wild, ungestüm, imposant, ein Abenteuer“, kündigt er seine „Temporal Tours“ an, warnt jedoch davor, den historischen Persönlichkeiten aufzufallen oder sie gar zu berühren. „Wir wollen die Zeitlinien nicht verändern, bedenken Sie den Schmetterlingseffekt!“

Das Publikum wird einbezogen
Die Zuschauergruppe, die mittlerweile auf rund 80 Personen angewachsen ist, wird hingegen gleich ins szenische Spiel mit eingebunden. „Haben Sie Wechselkleider für alle Jahrhunderte dabei?“, fragt Voyage in die Runde, nachdem er sich scherzhaft nach allen Namen gleichzeitig erkundigt hat. Mit Charme, Witz und Improvisationslust führt er an die schönsten Stellen Überlingens und springt dabei munter durch die Zeit.
Auf dem Pflummernplatz beispielsweise erfahren nicht nur die Wäscherinnen, sondern auch die Teilnehmer von der Verleihung des Stadtrechts im Jahr 1250 – und ein Seitenhieb auf die Sipplinger Nachbarn darf natürlich nicht fehlen.

Historisches humorvoll vermittelt wird auch bei einer Demonstration für Frauenrechte auf dem Olberplatz: Flugs bekommen die Zuschauer Plakate in die Hand gedrückt und die Szene aus den 1970ern wird zum Happening. „Sie haben das fantastisch gemacht!“, lobt Voyage alias Skawski vor allem die Teilnehmer, die spontan sogar eine Sprechrolle erhalten haben.
Eine der Personen, deren Name sich Skawski gemerkt hat, ist Karin Heidenreich. Dass sie immer wieder unfreiwillig im Mittelpunkt steht, macht ihr jedoch nichts aus: „Das ist in Ordnung, kein Problem“, versichert sie. Da sie erst vor einem Jahr nach Überlingen gezogen ist, schätzt sie nicht nur den Unterhaltungswert der Stadtführung, sondern auch die eingeflochtenen historischen Informationen. „Ich werde dann wahrscheinlich einiges nachlesen“, kündigt Karin Heidenreich an.
Passanten werden auf das Spektakel aufmerksam
So zum Beispiel über die Zeit der Hexenverfolgungen, die in Überlingen zu 19 Todesurteilen geführt habe. „Oh nein!“, entfährt es einer Teilnehmerin, als die Gruppe einer Verhaftung beiwohnt. Mit weiteren Angeklagten wird die der Hexerei bezichtigte Frau entlang der Spitalgasse an den Pranger gestellt, was nicht nur die Besuchergruppe, sondern auch Passanten beeindruckt. Der Chrononaut merkt weise an: „Nur durch das Verstehen der Vergangenheit können wir eine bessere Zukunft erreichen.“

Eindrucksvoll ist auch die Szene, als Pater Stanislaus von der Kanzel in der Franziskanerkirche zum Widerstand gegen das schwedische Heer aufruft. Und dass Hildegard Knef im Stadtgarten mit dem Komponisten Christian Lahusen und dem Publikum singt, zeigt einmal mehr die verbindende Magie dieses Theaterspektakels.

Das Ehepaar Waibel aus Überlingen, das durch Mundpropaganda auf die außergewöhnliche Stadtführung gestoßen ist, ist begeistert: „Ich find‘s toll gemacht“, meint Markus Waibel. „Cool, dass das in Überlingen angeboten wird – und besonders cool, dass es während des Public Viewings so gut angenommen wird.“
Amateurschauspieler brillieren in Mehrfachbesetzungen
Auch die Darsteller haben ihre Freude an dem Projekt. Eine der Laiendarstellerinnen ist Léa Marion aus Überlingen, die unter anderem Herzogin Gunzo verkörpert: „Ich schlüpfe ganz gern in andere Rollen. Da kann man die Person sein, die man darstellt.“ Vor Jahren habe sie mit Jonathan Skawski Improtheater gespielt – und vor ein paar Monaten sei die Anfrage für den szenischen Stadtrundgang gekommen: „Er hat mich angeschrieben, dass er eine Mutter mit einer etwa zwölfjährigen Tochter braucht.“
Die Chance für Léa Marions Tochter Étien, das erste Mal vor Publikum aufzutreten. Zwar erst elfjährig, überzeugte sie als Prinzessin Fridiburga, die – anscheinend von einem Dämon besessen – sich einer Heirat widersetzte. Der Exorzismus durch den heiligen Gallus nimmt jedoch eine überraschende Wendung.
Dass manche Darsteller keine Vorerfahrung haben, nimmt Jonathan Skawski bewusst in Kauf: „Das ist auch eine Möglichkeit, mal in die Schauspielerei reinzuschnuppern“, sagt der Theaterpädagoge. „Er ist ein begnadeter Lehrer“, wirft Angelika Wegscheider ein, die in mehreren Rollen auftritt und sogar einen Gesangspart hat. „Das macht unheimlich Spaß und in meinem Alter belebt mich das.“ Der jüngste Darsteller, Étiens Bruder Lucien, fragt derweil: „Wann reisen wir mal in die Zukunft?“ Skawski antwortet prompt: „Nächstes Jahr!“
Weitere Termine sind am 6. und 7. Juli.