Licht aus, Scheinwerfer an und Willkommen zurück! Nach vier Jahren Durststrecke fand am Samstag im Überlinger Kursaal wieder das Narrenkonzert statt. Vor rund 400 Gästen gaben die Darsteller der Narrenzunft wieder allerlei Klamauk zum Besten – und hielten dabei den Würdeträgern aus der Stadt den Spiegel vor.

Narrenmutter hat das letzte Wort

Seit dem letzten Narrenkonzert 2019 hat sich aber Einiges geändert. Nicht nur die Corona-Pandemie hatte für eine lange Zwangspause gesorgt, vor allem gab es neue Narreneltern. Auf Wolfgang Lechler und Thomas Pross folgten Mitte April 2022 Stefan Mayer und Achim Friesenhagen.

Die neuen Narreneltern zogen daher nach Begrüßung durch Moderator Tobias Mezger erstmals feierlich in Gewand, mit Narrenmarsch und Glockengeläut und in Begleitung junger Hänsele und Überlinger Löwen in den Saal ein. Schnell war klar, wer in der noch jungen Ehe die Kniebundhosen anhat: die Narrenmutter Stefan Mayer. „Ich habe immer das letzte Wort“, verkündete er nach zäher Verhandlung über einen kiloschweren Ehevertrag.

Gemurmel statt Gelächter

Dann hieß es: Bühne frei! Die Figuren Isabelle (Ulrich Krezdorn) mit Hitlerbärtchen und Melone auf dem Kopf und Babtischt (Andreas Lohner) nahmen in dem ersten Stück Personen des Stadtgeschehens auf den Arm – oder versuchten es. Im Fokus: Waldorfschüler, Politiker wie Volker Mayer-Lay oder Alice Weidel, Montagsspaziergänger und die BÜB+. Auch der Lokalzeitung wurde hier der Spiegel vorgehalten. Bei den langen Dialogen herrschte nach den Pointen aber eher Gemurmel statt Gelächter.

Ulrich Krezdorn auf der Bühne.
Ulrich Krezdorn auf der Bühne. | Bild: Hilser, Stefan

Fragwürdig wurde es, als die Wählerinitiative BÜB+ an der Reihe war. Kritik an den Gemeinderatsfraktionen gehört zum Narrenkonzert, doch auf der Bühne stand ein amtierender CDU-Stadtrat. Teilte er also als Bühnenfigur oder als Lokalpolitiker aus? Oder nutzte er die Bühne gar als verlängerten Ratstisch?

Jesuskind als Nachfahre des Stadtpfarrers?

Diese Fragen wurden nicht aufgelöst, aber anschließend wurden die Darbietungen besser. In „Der Münster-Orgelprospekt“ reisten die Zuschauer ins Überlingen im Jahr 2273. In eine Stadt vor der Apokalypse, mit 1,3 Millionen Einwohnern und einem Münster, das nun eine Kathedrale ist. Die katholische Kirche muss sich ihre Mitglieder mit Hare Krishna, Ufologen und Anthroposophen teilen. Teile des Münsters hat der größenwahnsinnige Kardinal Waller (Tankred Kauf) an die Protestanten untervermietet.

Von links: Tankred Kauf, Peter Graubach, Jens Fräntzki und Thomas Madlener.
Von links: Tankred Kauf, Peter Graubach, Jens Fräntzki und Thomas Madlener. | Bild: Hilser, Stefan

Im Fokus steht auch die Domkapellmeisterin Mella Wildschütz-Trauf (Peter Graubach), die für den Kardinal Melodien komponieren soll, ihn aber mit ihrer übergroßen Stimmgabel traktiert. Dann tritt ein Jesuskind (Thomas Madlener) auf, das die Krippe verlassen hat und offenbar ein Nachfahre des Stadtpfarrers Bernd Walter ist. Es wird klar: Irgendwas stimmte damals mit der Einhaltung des Zölibats wohl nicht.

Häme für OB wegen fehlender Narrenkappe

Zwischen den Bühnenstücken riss Moderator Tobias Mezger Witze über langwierige Verkehrsprojekte in Überlingen – ob Aufkircher Knoten oder den „Turbokreisel“ an der Wiestorstraße. Die Satire auf die Baupolitik sorgte für viel Gelächter.

Tobias Mezger führte mit viel Lokalkolorit durchs Programm.
Tobias Mezger führte mit viel Lokalkolorit durchs Programm. | Bild: Hilser, Stefan

Buhrufe erhielt dagegen der anwesende Oberbürgermeister Jan Zeitler. Er hatte beim Einschnellen keine Narrenkappe aufgehabt. „Herr Zeitler“, rief Mezger, „von Dreikönig bis Aschermittwoch gehört der Deckel auf die Grind!“

Kneipenaktivist klebt sich an Theke fest

Das wohl beste Stück des Abends war „Auf einen Schlenker in den Renker“. Darin wollte Stadtrat und Hobby-Archäologe Walter Sorms (Jens Fräntzki) mit einem Presslufthammer vom Renkerkeller aus die Stadt untertunneln – eine Persiflage an Sorms umstrittene Idee zur Lösung von Überlinger Verkehrsproblemen. Im Weinstüble sorgte das bei den anwesenden Elke (Stefan Mayer), Renate (Wolfgang Biller) und den ehemaligen Narreneltern für Verwunderung und markige Sprüche.

Jens Fräntzki alias Walter Sorms mit Presslufthammer im „Renker“.
Jens Fräntzki alias Walter Sorms mit Presslufthammer im „Renker“. | Bild: Hilser, Stefan

Schwertletänzer Michael Braun (Andreas Längle) schaute sich das alles vom Tresen aus an: Mit roter Nase und der Hand auf den Tresen geklebt, bezeichnete er sich nicht als Klima-, sondern Kneipenaktivist.

Kneipenaktivist Andreas Längle alias Mimi Braun klebt sich an der Theke fest.
Kneipenaktivist Andreas Längle alias Mimi Braun klebt sich an der Theke fest. | Bild: Hilser, Stefan

Zwischendurch stürmte immer wieder Phillipp Häfele (Kai Dold) von der Stadtkapelle hinein. Er suchte vergeblich seine Trommel in dieser von Klamauk durchtränkten Kneipenszenerie.

Begegnung mit Sipplingern im All

Zum Ende ging es hoch hinaus. Alfons Armstrong (Achim Friesenhagen) und Alois Allefanz (Chris Herr) starteten als Astronauten in der Rakete „Iburinga“ zur „Sars-Mission“. Nach dem Start verschwand der Funkkontakt zum Raumzentrum am Cape St. Johann. Außerdem hatte sich ein Waldrapp in das Flugobjekt verirrt und mit seinem krummen Schnabel die Elektronik zerhackt. Die einzige Lösung: Notlandung auf dem nächstbesten Planeten.

Kein Alien, sondern ein Sipplinger im Weltall: Andreas Fundinger (links) und Astronaut Chris Herr.
Kein Alien, sondern ein Sipplinger im Weltall: Andreas Fundinger (links) und Astronaut Chris Herr. | Bild: Hilser, Stefan

In Glitzeranzügen und Skistiefeln machten sie einen kleinen Schritt für die Menschheit, aber einen großen für den Allefanz. Dann schlurfte ein grüner Alien (Andreas Fundinger) mit einem Hackenporsche vorbei. Die Raumfahrer fanden heraus, dass der Außerirdische ein Nachfahre von Sipplingern ist, die bereits in Vorzeiten auf den Mond geschossen wurden. Erst ein Guggevamp (Marco Hummel) konnte die Elektronik der kaputten Rakete wieder zum Laufen bringen. In Lichtgeschwindigkeit ging es für sie zurück an den Bodensee.

Außerdem bekamen die Gäste noch haarige Bauchtänzer vor einer Wüstenlandschaft zu sehen und Ulrich Krezdorn überzeugte als Elton-John-Imitation.

„Super, dass die böse Zeit vorbei ist!“

Gegen Mitternacht wurde nach sechs Bühnenstücken, viel Musik, Geschunkel und Gelächter der Vorhang wieder zugezogen. Unter den Gästen kamen die Darbietungen mehrheitlich gut an. Obwohl er mehrmals sein Fett wegbekam, sagte Stadtpfarrer Bernd Walter: „Es war ein wunderschöner und kurzweiliger Abend mit toller Musik. Es tut auch mal gut, den Spiegel vorgehalten zu bekommen.“

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Ähnlich sah es auch Hänsele Marco Keiner nach coronabedingter Pause. „Es ist super, dass die böse Zeit vorbei ist.“ Man müsse positiv sein und nach vorn gucken. Dafür gebe es nichts Besseres als die Fasnet. „Denn die Fasnet macht einfach Spaß!“, so Keiner.

Im Nachgang der Veranstaltung hat die Narrenzunft Überlingen gegenüber der SÜDKURIER-Lokalredaktion klargestellt, dass es sich bei dem Oberlippenbart aus dem ersten Bühnenstück „Schick und Goof“ um eine Anspielung auf das Komiker-Duo Dick und Doof handelt – und nicht um ein Hitlerbärtchen. In einem Brief, der der Lokalredaktion vorliegt, distanzieren sie sich von Nazi-Themen und Ideologien des Dritten Reichs. „Wir stehen geschlossen für eine saubere Fastnacht ein“, heißt es in dem Brief.