Da verschlägt es auch dem wortgewaltigen Fritz Krefeldt die Sprache. Als Zahnarzt war er verkleidet, er verkaufte gebrauchte Gebisse. Nur zum Spaß. Da griff sein Gegenüber in die Kiste, steckte sich die Kunstzähne in den Mund und versuchte – so gut es eben ging – zu lächeln. Krefeldt fasste sich nach einem Schreckmoment wieder und fragte keck zurück: „Passt‘s“?

Das ist Schnurren. „Intelligentes Spinnen“, wie es Andrej Michalsen nennt. Schnurranten schlüpfen an der Fastnacht in eine Kunstrolle, machen närrisches Improvisationstheater. Sie beziehen ihr Publikum mit ein. Sie sind frei, sie gehören keiner Zunft. Ihre Bühne ist die Straße und die Gastwirtschaft. An der Überlinger Fastnacht werden sie als Schnurranten bezeichnet, andernorts gibt es ähnliche Bräuche unter anderen Namen.

Gerti Herr, Tine Straßer und Andrej Michalsen (von links) waren Referenten bei einer Schnurrantenschulung, die Alt-Narrenvater Thomas ...
Gerti Herr, Tine Straßer und Andrej Michalsen (von links) waren Referenten bei einer Schnurrantenschulung, die Alt-Narrenvater Thomas Pross moderierte. | Bild: Hilser, Stefan

Alt-Narrenvater gründet eine Schnurrantenschmiede

Der frühere Überlinger Narrenvater Thomas Proß fragte sich, wie dieser Brauch bewahrt werden könne. Denn auch hier gebe es einen Fachkräftemangel, dem Pross mit der Gründung einer Schnurrantenschmiede entgegen wirkt. Zur Premiere in der Zunftstube konnte Thomas Proß rund 40 mehr oder weniger erfahrene Schnurrantenschüler begrüßen. Als Referenten lud er Tine Straßer, Gerti Herr, Andrej Michalsen und Fritz Krefeldt ein – eine zufällige Auswahl, wie Proß betonte, es gebe in Überlingen viele talentierte Schnurranten. Interessanterweise jedoch brachte jeder der vier Fastnachter sein ganz eigenes Rezept mit.

Gerti Herr versteht sich aufs Schnurren ohne Worte.
Gerti Herr versteht sich aufs Schnurren ohne Worte. | Bild: Hilser, Stefan

Gerti Herr: Ohne Worte

Sie war schon als Legostein auf der Fastnacht, oder als Zahnpastatube. Gerti Herr findet, dass Schnurranten nicht unbedingt etwas schwätzen müssen. „Eine Figur kann auch aus sich heraus wirken.“ Ihr Häs als Legostein war so konzipiert, dass sie sich mit anderen Legosteinen aus der Gruppe verbauen konnte. Im anderen Jahr waren sie als Dick und Doof unterwegs, so wie im Stummfilm. In einem Jahr torkelten sie als Sektflaschen durch die Stadt, im anderen Jahr ganz grazil als Badenixen. Gerti Herr kann auch allein unterhalten, mit nur einer Handpuppe. „Es ist toll, die Leute auf einer anderen Ebene kennenzulernen“, begründet sie ihre Freude am Schnurren. Ihr Erfolgsrezept lautet: „Zuwarten!“ Sich niemandem aufdrängen, sondern darauf warten, ob die Gegenüber reagieren. „Wenn nicht, dann geht man einfach weiter.“

Tine Straßer, wundervolle Schnurrantin, mit dem Markenzeichen rote Rose.
Tine Straßer, wundervolle Schnurrantin, mit dem Markenzeichen rote Rose. | Bild: Hilser, Stefan

Tine Straßer: Frei Schnauze

Tine Straßer schwätzt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Über sich selbst sagt sie: „Ich bin ein Angsthase zwischen den Wirtschaften.“ Deshalb habe sie sich immer gern anderen Leuten angeschlossen, wenn sie auf Tour gewesen ist. Daraus entstand eine Gruppe, die aktuell aus zwölf Leuten besteht. Sie greifen Themen aus dem Stadtgeschehen auf. Einmal nannten sie sich Lustmolche, die auf Heimatsuche waren, weil sie auf dem Gartenschaugelände ausgetrocknet wurden. Im Jahr der LGS spielten sie die ausgeschlossenen Hunde. Als die Bodenseetherme öffnete, waren sie die Thermenrutscher mit Schwimmreif auf den Hüften. Frido Zugmantel, der verstorbene Chef der Schwerttanzkompanie, zählte zu ihrer Gruppe. Tine Straßer zeigte Bilder, wie sie als Schwerttanzkompaniekopie durch die Stadt zogen und die Wadengröße ihres Publikums vermaßen. Ihre Gruppe ist auch unterm Jahr ein Team. Letztes Jahr reisten sie nach Sevilla. Sie sagt: „Die Vorbereitung macht mindestens genauso viel Spaß.“

Auch ein Schauspielprofi wie Andrej Michalsen hat Hummeln im Bauch, bevor der Witz erstmals zündet.
Auch ein Schauspielprofi wie Andrej Michalsen hat Hummeln im Bauch, bevor der Witz erstmals zündet. | Bild: Hilser, Stefan

Andrej Michalsen: Der Putzer

Er ist der Putzer. Bevor am Fastnachtssonntag der Zug der Narren durch die Straße zieht, räumt Andrej Michalsen auf – mit schrägen Ansichten, humorlosen Vorstellungen und mit Stinkstiefeln, die sonst den Ton angeben. Der Mediziner und gelernte Schauspieler zieht seinen orangenen Schaffkittel über und fegt allefänzig durch die Stadt. Wichtig als Schnurrant sei es, „ein einfaches Thema“ zu wählen. Mal suchte er einen OB-Kandidaten, mal war er als Bodyguard unterwegs. Von seinen eigenen Lehrmeistern habe er gelernt: „Du darfst Deinen Stiefel nicht einfach durchziehen.“ Man müsse auf die Gegenüber reagieren und ihre Phantasie anregen. „Und man muss an das, was man macht, selber glauben.“ Selbstvertrauen als Schnurrant sei nötig. Doch habe auch er Hummeln im Bauch, gesteht Michalsen, wenn er die ersten Schritte macht. „Aber wenn‘s lauft, dann lauft‘s.“

Da verreißt es ihn fast selbst: Fritz Krefeldt mit der Abbildung eines Hennäfidläs.
Da verreißt es ihn fast selbst: Fritz Krefeldt mit der Abbildung eines Hennäfidläs. | Bild: Hilser, Stefan

Fritz Krefeldt: Immer nüchtern

Am liebsten verkauft er etwas. „Weil da kannst Du richtig spinnen“, sagte Fritz Krefeldt und hält dabei eine blecherne Bettpfanne in die Luft. Sein Vortrag in der Schnurrantenschmiede ist ein Stückle für sich. In seinem närrischen Einakter bestimmt er anhand des Tons den Füllstand seines Nachttopfs. Er preist die Vorzüge eines Nachttopfs an, der auch als Tresor gut tauge. „Da kannst Du spinnen bis in alle Ewigkeit“, sagt Krefeldt, der sein Publikum mit dem Bild eines „Hennäfidlä“ aufs Korn nimmt und darüber diskutiert, ob ein Huhn das Ei nun scheißt oder legt. Als ihm einmal tatsächlich einer das alte Gebiss abkaufte, war auch Krefeldt baff. Er findet: Wenn Du etwas so Intimes wie einen Nachttopf verkaufen willst, dann bewegst Du Dich auf gefährlichem Terrain. Das erfordert einen wachen Geist. Sonst könnte es am nächsten Tag peinlich werden. Das wichtigste Motto für ihn: „Jedem zur Freud‘, niemandem zum Leid.“

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