Beleidigung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte – so lautete die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen eine 54-jährige Frau aus der Nähe von Überlingen. Sie musste sich jetzt vor dem Amtsgericht Überlingen verantworten. Nicht zum ersten Mal war die Frau im August 2021 aufgefallen, als vier Polizeibeamte zu einem Einsatz an den Mantelhafen gerufen worden waren. Sie sei aggressiv gewesen und habe versucht, einem der Beamten die Mund-Nasen-Schutzmaske aus dem Gesicht zu wischen. Ihre eigene Maske wollte sie später im Krankenhaus partout nicht anlassen. Auf die wiederholten Aufforderungen der Beamten reagierte sie mit Tritten – das beweist ein Video der Polizei.
Amaretto, ein Akkordeon und ein mysteriöses Foto
Weil sie nicht viel zu tun habe, laufe sie oft nach Überlingen, erzählte die Angeklagte. Meist setze sie sich dort auf eine Bank und schaue auf den See. Nicht so an besagtem Nachmittag im August 2021. „Als ich an den Mantelhafen kam, traf ich einige flüchtige Bekannte. Die haben mich dann direkt zum Trinken eingeladen“, sagte die Frau. Sie selbst habe keinen Alkohol dabeigehabt. „Ich weiß nur noch, dass ich am Mantelhafen saß und dass wir Amaretto getrunken haben, es war sehr heiß. Danach ist alles weg.“
Angeklagte kann sich nicht mehr an ihr Verhalten erinnern
Zum Tathergang konnte sich die Angeklagte nicht äußern: Es fehle ihr jegliche Erinnerung. Sie sagte jedoch aus, sie habe einige Tage nach dem Vorfall ein Foto in ihrem Briefkasten gefunden, das ihrem Gedächtnis auf die Sprünge half. Darauf sei zu sehen, wie sie auf einer Bank am Mantelhafen sitzt und Akkordeon spielt. Das Datum auf der Rückseite stimme mit dem des Vorfalls überein, berichtete sie. Von wem das Foto kam, wisse sie nicht, ebenso wenig, dass sie an jenem Tag Akkordeon gespielt habe.
„Ihr sollt in der Hölle schmoren!“Angeklagte Frau aus der Nähe von Überlingen
Nicht viel Zeit sei an diesem Tag vergangen, bis einer ihrer Bekannten einen Krankenwagen rief. Denn die 54-Jährige stürzte volltrunken von einer Bank und war offenbar nicht mehr in der Lage, selbstständig zu gehen. Weil sie sich den Anweisungen der Sanitäter aggressiv widersetzte und diese schroff beleidigte, wurde die Polizei gerufen. Wieder fielen derbe Schimpfwörter. Die Frau sei auch handgreiflich geworden, berichteten die Polizeibeamten im Zeugenstand.
Polizeibeamte gingen von einer Alkoholvergiftung aus
Weil die Polizisten bei der 54-Jährigen eine Alkoholvergiftung vermuteten, brachten sie sie trotz deren heftigem Widerstand ins Krankenhaus. Ein Video, das dort aufgenommen wurde, bestätigte den Tatbestand vor Gericht. „Ihr sollt in der Hölle schmoren!“ war nur eine von vielen Beschimpfungen, die die Betrunkene lautstark von sich gab. Außerdem widersetzte sie sich der Anweisung, eine Maske zu tragen, und versuchte immer wieder, einen der Polizisten zu treten. Später wurde sie zum Polizeirevier gebracht, um dort in einer Zelle auszunüchtern. Zum Tatzeitpunkt hatte die Frau deutlich über zwei Promille.
„Müssen wir jetzt jedes Mal bei Vollmond schon vorab die Polizei einbestellen?“Richter Alexander von Kennel
„Ihr Alkoholkonsum hat Sie nun ja schon mehrmals mit der Polizei in Bekanntschaft gebracht“, sagte Richter Alexander von Kennel, als die 54-Jährige abstritt, ein Alkoholproblem zu haben. Das letzte Mal getrunken habe sie am 18. März, bekräftigte sie. Denn in dieser Nacht sei Vollmond gewesen. „Müssen wir jetzt jedes Mal bei Vollmond schon vorab die Polizei einbestellen?“, wollte der Richter daraufhin wissen.
Psychiater rät von Haftstrafe ab
Der Psychiater, der mit der Angeklagten vor der Verhandlung in Kontakt war und als Gutachter aussagte, zeichnete ein klares Bild: Eine Verkettung verschiedener Umstände – darunter eine schwere Erkrankung und der Verlust des Arbeitsplatzes – haben bei der 54-Jährigen zu einem psychisch bedingten Alkoholmissbrauch geführt. Ihr Konsummuster spreche aber gegen eine Abhängigkeit. Selbst bezeichnete sich die Frau als „Krisensäuferin“. Sie gab an, nur dann zu trinken, wenn es ihr sehr schlecht gehe. Ob sie tatsächlich Erinnerungslücken hat, konnte der Psychiater nicht beantworten, denn dies sei sehr individuell. Aber: „Eine Haftstrafe wäre kontraproduktiv, sie würde den Hass auf das System nur weiter schüren.“ Er empfahl daher, die Strafe zur Bewährung auszusetzen.
„Wenn ich es irgendwie rückgängig oder wiedergutmachen könnte, würde ich es tun.“Die Angeklagte
„Ich bin erstaunt, dass es heute so ruhig zugeht, nachdem die letzte Verhandlung so eskaliert ist“, kommentierte Richter Alexander von Kennel. Während der gesamten Verhandlung wirkte die 54-Jährige reflektiert und kooperativ. Am Ende der Beweisaufnahme sagte sie: „Es tut mir leid, dass ich den ganzen Ärger verursache. Und wenn ich es irgendwie rückgängig oder wiedergutmachen könnte, würde ich es tun.“
Frau bekommt eine letzte Chance auf Bewährung
Die Frau wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Dass sie sich reumütig und einsichtig zeigte, wirkte sich dennoch positiv auf das Urteil aus, erläuterte Richter von Kennel. Er verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Drei Jahre lang müsse sich die Frau strikt an alle gerichtlichen Auflagen halten. Sie müsse sich unverzüglich in ambulante Therapie begeben und zusammen mit ihrer Bewährungshilfe eine Suchtberatungsstelle aufsuchen, forderte der Richter. Zudem verurteilte er die Angeklagte zu 150 Arbeitsstunden. Wenn sie diese abgearbeitet habe, solle sie sich eine Erwerbstätigkeit suchen, die ihr eine Aufgabe und Tagesstruktur gebe. „Sehen Sie dies als Maßnahme für ein besseres und straffreies Leben“, sagte von Kennel am Ende der Verhandlung.