Momentan weiß niemand, wie viele Menschen aus der Ukraine zu uns kommen, in welchen Gemeinden sie Unterschlupf finden, wie lange sie bleiben, wann sie weiterziehen oder in ihr Land zurückkehren. Das macht die Planung schwierig.

CJD (Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands), die Caritas, das Diakonische Werk: So heißen drei der großen Sozial- und Wohlfahrtsverbände, die im Bodenseekreis aktiv sind. In einem gemeinsamen Pressegespräch appellierten sie an die Kommunen im Bodenseekreis, Strukturen für die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen zu schaffen und ihnen Aufgaben zu erteilen. Ihr Appell sei nicht als Kritik gemeint, aber so langsam laufe ihnen die Zeit davon.

Fragen an die Kommunen: Wer macht was?

Petra Demmer, Geschäftsführerin im Caritasverband Linzgau, würde von den Kommunen im Bodenseekreis unter anderem gerne wissen: „Wer kommt wo, zu welchen Inhalten, zum Einsatz? Integrationsmanagement, Migrationsberatung für Erwachsene, Jugendmigrationsdienst? Hauptamt? Ehrenamt? – Werden zusätzliche Stellen beantragt? Wo werden sie angegliedert? In welchem Bereich und bei welchem Träger?“

Nach ihrem Selbstverständnis bieten die genannten Organisationen Dienste an wie diese: Deutschkurse, Kinderbetreuung, Freizeitangebote, Arbeitsintegration, Unterstützung nach Gewalterfahrungen, Jugendmigration, Schwangerenberatung, Beratung bei psychischen Problemen – und vieles mehr.

Marina Gelman. Dolmetscherin bei der Caritas, sowie Psychologische Beraterin. Sie stammt aus Kiew und kam 2002 nach Deutschland.
Marina Gelman. Dolmetscherin bei der Caritas, sowie Psychologische Beraterin. Sie stammt aus Kiew und kam 2002 nach Deutschland. | Bild: Hilser, Stefan

Viele Aufgaben stemmen die Organisationen aus sich heraus, oft mit Unterstützung von ehrenamtlichen Kräften, ohne dass ihnen die Kommunen einen Auftrag erteilen müssten. Zwei Beispiele nur: Marina Gelman leistet psychologische Beratung, Liliia Bashonova bietet Deutschkurse.

Liliia Bashonova kam am 15. März aus Kiew nach Überlingen. Sie arbeitete am Goethe-Institut in Kiew und bietet nun ehrenamtlich ...
Liliia Bashonova kam am 15. März aus Kiew nach Überlingen. Sie arbeitete am Goethe-Institut in Kiew und bietet nun ehrenamtlich Sprachkurse für Ukrainer, die Deutsch lernen möchten. | Bild: Hilser, Stefan

Doch welche Organisation genau nimmt sich wessen Problem an? Für die Hilfesuchenden ist das Angebot unübersichtlich, weshalb die Hilfsorganisationen im Pressegespräch mit dem SÜDKURIER ihre Bereitschaft zum vernetzten Arbeiten versprachen. Auch hier sind sie, ohne Auftrag durch die Kommunen, bereits aktiv.

Petra Demmer, Geschäftsführerin im Caritasverband Linzgau, mit Sitz in Überlingen.
Petra Demmer, Geschäftsführerin im Caritasverband Linzgau, mit Sitz in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

Petra Demmer, Geschäftsführerin im Caritasverband: „Wir alle sind zuständig, es gibt in der aktuellen Lage nicht die engen Grenzen, die man sonst mit den Diensten ziehen müsste.“ Wer an der falschen Tür anklopft, werde nicht abgewiesen, sondern an die richtige Stelle weitergeleitet. „Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation und helfen alle zusammen, verbandsübergreifend.“

Hilfsorganisationen und ihre Zuständigkeiten

Wie geht es weiter, wer verteilt die Aufträge?

Petra Demmer sagt, dass sie sich vor drei Wochen im Landratsamt erkundigt habe, wem sie ihre Dienste anbieten könnten. Aus dem Amt habe sie die Antwort erhalten, dass die Federführung in den Rathäusern liege. Dagegen hörte Yvonne Eberhard, Leiterin Jugendmigrationsdienst im CJD Friedrichshafen, aus dem Rathaus Kressbronn, dass das Landratsamt zuständig sei.

Yvonne Eberhard, CJD Friedrichshafen, Leiterin des Jugendmigrationsdienstes in Überlingen und Lindau.
Yvonne Eberhard, CJD Friedrichshafen, Leiterin des Jugendmigrationsdienstes in Überlingen und Lindau. | Bild: Hilser, Stefan

Der Pressesprecher im Landratsamt, Robert Schwarz, bestätigte, dass die Federführung bei den Kommunen liege. „Formell ist das so, denn die Ukrainer haben per se einen Aufenthaltstitel und sind somit auch nicht verpflichtet, in der vorläufigen Unterbringung des Landkreises zu leben.“ Er begründet, warum es zwischen Kreis und Gemeinden noch keine detaillierteren Abstimmungen zur Flüchtlingsarbeit gebe. Schwarz: „Im Augenblick haben alle, Kommunen und der Landkreis, alle Hände voll damit zu tun, das Dach über dem Kopf zu organisieren.“

„Wir wünschen uns Vorgaben, und zwar frühzeitig. Weil auch wir unsere Vorbereitungszeit brauchen.“
Petra Demmer, Caritas

Ob Landratsamt oder Rathäuser: „Für uns ist es wichtig, dass wir Strukturen bekommen“, sagte Yvonne Eberhard vom CJD. Ihre bisherigen Aufgaben laufen weiter. „Wir müssen ja weiter für unsere anderen Klienten da sein.“ Sie seien bereit, sich trotz knapper Ressourcen zusammenzuraufen und sich der neuen Aufgabe zu stellen, „weil die Krise uns alle betrifft“, wie Eberhard sagte. „Aber wo sind die Strukturen, was muss neu und zusätzlich beantragt werden, und wer sind die Träger, wer sind die Geldgeber?“

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Das sei keine Kritik an den Kommunen. Ihnen sei sehr wohl bewusst, dass die Zahlen erst noch ansteigen, dass viele Ukrainer gar nicht registriert sind, dass nicht jeder Hilfe benötigt, dass die Situation also maximal unübersichtlich ist.

Dennoch betonte Petra Demmer: „Wir wünschen uns Vorgaben, und zwar frühzeitig. Weil auch wir unsere Vorbereitungszeit brauchen.“ Yvonne Eberhard ergänzte: „Wir müssen wissen, was von uns erwartet wird. Was benötigen die Kommunen? Da kommt noch sehr wenig Klarheit rüber.“

Margarita Popov: Beraterin beim Jugendmigrationsdienst CJD.
Margarita Popov: Beraterin beim Jugendmigrationsdienst CJD. | Bild: Hilser, Stefan

Margarita Popov, Beraterin beim Jugendmigrationsdienst CJD, nennt ein Beispiel. Mit Blick auf die geplante Notunterkunft in einer Halle in Überlingen, sagte sie: „Die erste Frage wird sein, wer kümmert sich darum, wenn eine Toilette verstopft ist – ist das dann unsere Aufgabe, oder sind wir für den Schutz des Kindeswohls verantwortlich, oder dafür, mit den Geflüchteten Anträge auszufüllen?

Gerhard Hoffmann, Diplom-Sozialarbeiter (FH), Geschäftsführer beim Diakonischen Werk Überlingen-Stockach.
Gerhard Hoffmann, Diplom-Sozialarbeiter (FH), Geschäftsführer beim Diakonischen Werk Überlingen-Stockach. | Bild: Hilser, Stefan

Auch Gerhard Hoffmann, Geschäftsführer beim Diakonischen Werk Überlingen-Stockach, findet: „Langsam verstreicht die Zeit.“

Aufruf an Ehrenamtliche: Die genannten Organisationen sind auf die Unterstützung ehrenamtlicher Kräfte angewiesen. Zum Beispiel bei der Bestückung der Regale im Tafel-Laden der Caritas, oder bei der Betreuung einer Flüchtlingsgruppe in der Kletterhalle durch das CJD.