Überlingen „Es gibt Melodien und Lieder, die bestimmte Rhythmen betreun, die schlagen Dein Innerstes nieder und Du bist am Boden bis neun.“ Hätte der Arzt und geniale Lyriker Gottfried Benn (1886-1956) diese Zeilen nicht schon im Jahr 1953 formuliert, spätestens am vergangenen Sonntagnachmittag im Kursaal wären sie fällig gewesen. In einem mitreißenden, begeisternden Konzert präsentierten Stadtkapelle und Jugendkapelle diejenigen Musikstücke, die sie am 30. Mai beim Bundesmusikfest in Ulm im Wettbewerb einer hochkarätigen und international besetzten Jury präsentieren werden.
Dabei handelt es sich um vorgegebene Pflichtstücke, die, so erklärt Musikdirektor Ralf Ochs, den Musikerinnen und Musikern wochenlanges intensives Einstudieren und Proben abverlangt haben: „Und heute sind wir hier quasi zur Generalprobe und bitten Sie alle, unsere Jury zu sein“, animierte Ralf Ochs das zahlreich erschienene Publikum. Und die Überlinger Jury kam aus dem Staunen von Beginn an nicht mehr heraus – was für ein Konzert! Da war alles, wirklich alles stimmig, die hohe Konzentration, das exakte, auf gegenseitiges Zuhören gegründete Zusammenspiel, die präzise, saubere Technik und musikalische Akkuratesse.
Im Stück „Don Quixote“ des holländischen Komponisten Jean-Pierre Haeck beispielsweise haben die Zuhörer durch die einfühlsame, fein abgestimmte Interpretation der Jugendkapelle geradezu bildhaft vor Augen – die Noblesse des Ritters von trauriger Gestalt und ebenso die Tolpatschigkeit seines Knappen Sancho Panza, das Klappern der Windmühlen oder die Lieblichkeit der Dulcinea vor dem Hintergrund spanischer Lebensfreude. Beeindruckend, wie Musikdirektor Ralf Ochs die jungen Musikerinnen und Musiker hierbei angeleitet und zu einem veritablen Klangkörper geformt hat.
Gleiches gilt für die Stadtkapelle, die mit dem ersten Satz „Alexander VI.“ aus der Symphonie „The Borgias“ des Komponisten Otto M. Schwarz aufwartete – ebenfalls ein vorgegebenes Pflichtstück für den Wettbewerb Deutsches Musikfest in Ulm. Von strahlend über mystisch bis hin zu düster werden hier dem Orchester alle musikalischen Nuancierungen abverlangt – gewaltige musikalische Granitblöcke von symphonischer Wucht wechseln mit Mosaiksteinchen von melodischer Zartheit und – nicht zu vergessen – ein gesangliches Intermezzo von mönchischer Gregorianik, von den Männern der Stadtkapelle mit Bravour gemeistert.
Das gesamte dargebotene Programm der Jugendkapelle und der Stadtkapelle zeugte von imponierendem Einsatz und dauerndem Engagement aller Beteiligten, von exemplarischer Spielfreude und von musikalischer Hingabe. Allen denjenigen, die Blasmusik auf Märsche und Volksfeste reduziert definieren – auch das sicherlich ein Kulturgut – wurde ihr Horizont an diesem eindrucksvollen Konzertnachmittag nachhaltig erweitert.
Das Publikum dankte mit jubelndem minutenlangem Beifall und Standing Ovations – insofern ein eindeutiges Votum der Überlinger Jury. Vor diesem Hintergrund muss Musikdirektor Ralf Ochs an dieser Stelle mit allem schuldigen Respekt korrigiert werden. Zum Abschluss dieses furiosen Konzertnachmittags meinte er mit einem gewissen Understatement im Hinblick auf das Deutsche Musikfest in Ulm: „Ich denke, das könnte was werden...“ Irrtum, Herr Musikdirektor, weg mit dem Konjunktiv, das wird was!