Die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine ist groß, viele erklären sich bereit, Wohnraum bereitzustellen. Was können die Helfer bieten?
Zunächst geht es darum, Sicherheit und Schutz zu bieten, einen sicheren Ort – die Geflüchteten sollen sich verstanden wissen. Wir können mit ihnen ins Gespräch gehen, zuhören, einfach da sein, abhängig auch von den sprachlichen Möglichkeiten. Jeder, der Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, muss für sich überlegen, ob er die Offenheit aufbringen kann, die Menschen freundlich aufzunehmen und für sie da zu sein.
Mit welchem Aufwand muss ich rechnen, welches Zeitbudget ist erforderlich?
Das ist gar nicht die Frage. Nicht, was muss, sondern was kann und was möchte ich bieten? Wenn ich Wohnraum habe, aber keine Zeit für Behördengänge oder Begegnungen, dann ist das genauso hilfreich wie umgekehrt. Es sollen sich gerne alle melden, egal mit welchen Talenten und Angeboten, es findet sich dann jemand, der das andere Puzzleteil bietet.
Welche Mindestanforderung an die räumliche Situation sehen Sie?
Das hängt davon ab, wie sehr sich die Lage zuspitzt. Das kann heute niemand sagen. Zunächst benötigen wir Wohnraum, der schnell zur Verfügung steht, im nächsten Schritt um mittel- und längerfristig verfügbaren Wohnraum. Und im letzten Schritt geht es um die Größe. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich eine leer stehende Ferienwohnung anbiete oder ein Klappsofa bei mir im Wohnzimmer.
Was muss ich als Wohnraumgeber beachten, um mich nicht zu überfordern?
Wer eigenen Wohnraum hergibt, sollte feinfühlig anderen und sich selbst gegenüber sein. Wenn ich anderen meinen Wohnraum biete, muss ich auch mich selbst gut versorgen. Also, erst einmal gut in mich hineinhorchen und mich fragen, wie lange ich die Hilfe bieten kann, für drei Nächte bis zu einer Weitervermittlung, für eine Woche, oder für Monate?
Für die Beschäftigten in sozialen Berufen ist es wichtig, eine professionelle Distanz zu wahren. Gilt das auch für Laien, die Wohnraum bereitstellen oder anderweitig bei der Aufnahme von Flüchtlingen helfen?
Ja. Wer ausgesprochen hilfsbereit ist, läuft schneller Gefahr, sich aufzuopfern und ins Ungleichgewicht zu geraten. Man strahlt dann nicht mehr die Kraft aus, die es an der Stelle vielleicht besonders bräuchte. Es ist großartig, wenn feinfühlige Menschen Verständnis zeigen, empathisch sind und Mitgefühl ausdrücken. Ich darf auch traurig sein und mich von den Schicksalen mitgerissen fühlen. Alles das hat aber eine Kehrseite, sich nämlich anstecken zu lassen vom Schmerz des anderen. Das birgt die Gefahr, den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Es ist deshalb ratsam und hilfreich, nicht mit in die Dramatik zu gehen. Wer den nötigen Abstand hält, schafft Ruhe und Struktur.
Aus Sicht der Flüchtlinge: was wird benötigt?
Es handelt sich um Menschen mit einem Schutzbedürfnis, sie haben die Erwartung nach einem sicheren Ort, nach einem warmen Essen. Zunächst ist deshalb die Grundversorgung wichtig. Es gibt viele Flüchtlinge, die in den letzten Tagen mit ihren Kindern im Auto gelebt haben und große Ängste durchmachen. Natürlich sind die erst einmal froh um einen Platz zum Schlafen, der nicht im Auto liegt. Wir sprechen hier über eine Notunterkunft. Letztlich wird es Aufgabe der Kommunen und der Landkreise sein, adäquate Unterkünfte zu suchen und zur Verfügung zu stellen.
Wie wichtig ist es, dass ich den Geflüchteten einen Rückzugsraum für die Verarbeitung ihrer Erfahrungen biete?
Ja, das ist wichtig und hilfreich. Genauso wichtig wird es sein, die Geflüchteten untereinander zu vernetzen, damit sie ihr Erleben austauschen können. Auch für die Helfer ist es wichtig, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Weint eine Frau bei mir in der Wohnung sehr viel, ist es gut zu wissen, wie andere auf so eine Situation reagieren.
Zu erwarten ist, dass Menschen mit einem Trauma kommen. Wie gehe ich damit um?
Da will ich ein bisschen widersprechen. Die Menschen, die hier ankommen, stecken in einer aktuellen Krise. Es kann sein, dass sich daraus ein Trauma entwickelt, das muss aber nicht. Menschen haben phantastische Bewältigungsmechanismen. Es geht jetzt darum, mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen. Wenn das jemand nicht schafft, kann es als Traumata hängen bleiben.
Was sind die Motive, die jetzt in so großer Weise Solidarität erzeugen?
Sicherlich auf der einen Seite die gefühlte Ohnmacht und der Wunsch, einzugreifen. Je näher der Krieg an uns heranrückt, im Vergleich etwa zum Krieg in Syrien, umso größer ist dieser Impuls. Grundsätzlich aber zeigt sich hier in schöner Weise, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Vielleicht hat es auch etwas mit Corona zu tun. In der Pandemie mussten sich die Menschen zurückziehen, mehr bei sich sein. Jetzt gibt es das Bedürfnis, sich zu öffnen und nach anderen zu schauen.