An dem Platz, an dem Isidor F. sein letztes Zelt aufgeschlagen hat, blühen jetzt rote Rosen. Die Blumen sind so angeordnet, dass sie ein Rechteck markieren, genau den Platz, wo sein Feldbett gestanden hat, in dem der Rumäne gestorben ist. Die Rosen werden von einer Frau und ihren beiden Kindern in den feuchten Waldboden gesteckt. Mit einer Schaufel heben sie ein Loch aus und pflanzen weiß blühende Chrysanthemen.
Wer sind die drei? Die Frau ist Isidor F.s Schwester. Wie sie berichtet, habe sie 2019 das letzte Mal mit ihm telefoniert. Sie heißt Clara Sabau und ist nach Überlingen gekommen, um Abschied von ihrem Bruder zu nehmen. Mitgekommen sind ihre beiden Kinder. „Er war wie ein zweiter Vater für uns“, sagt der 22-jährige Denis. Das Foto von ihrem Bruder stellt sie uns zur Verfügung. Sie wolle der Öffentlichkeit etwas über ihren Bruder erzählen, ihm quasi ein Gesicht geben.

Ein Leben im Wald
Isidor F. lebte in einem selbst gebauten Zelt aus grünen Planen im Wald bei Überlingen. Vermutlich starb er 2019. Davon zeugen eine Zeitung und das Ablaufdatum auf einem Joghurtbecher. Es sind seine letzten Lebenszeichen. Sein Tod blieb bis November 2023 unbemerkt. SÜDKURIER-Reporter Stefan Hilser stieß damals beim Joggen zufällig auf das Zelt und entdeckte darin ein Skelett.
Doch wer war dieser Mann, dem diese Dinge offenbar gehörten, und der so einsam im Wald gestorben ist?

Isidors jüngere Schwester
Clara Sabau, Jahrgang 1975, ist die jüngere Schwester von Isidor. Sie lebt in Turin, Italien. Wie sie dem SÜDKURIER berichtete, habe sie bei ihrem letzten Telefonat mit ihm nicht gewusst, wo genau er sich aufhält. Das war 2019. Sie habe ihn gebeten, nach Hause zu kommen. „Er wollte nicht, er wollte lieber durch die Welt reisen, und er wollte darüber ein Buch schreiben. Er sagte, er sei gerade in Deutschland, an einem schönen Ort.“
Besuch am Sterbeort
Es ist der 31. Mai 2024. Clara Sabau und ihre beiden erwachsenen Kinder fahren von Turin an den Bodensee. Zunächst holen sie bei der Kriminalpolizei in Friedrichshafen persönliche Gegenstände von Isidor ab, darunter sein Tagebuch. „Ja“, sagt Clara, „das hat Isidor geschrieben.“ Er habe acht Sprachen gesprochen, darunter Ungarisch und Japanisch. Deutsch beherrschte er perfekt, wie sich seinen Notizen entnehmen lässt.
Am Auffindetag der Leiche war es Winter, die Vegetation lag am Boden, und der Zeltplatz war problemlos erreichbar. Bei ihrem Besuch Ende Mai wirkt der Wald wie ein Dschungel aus Farn und Sumpf. Wegen des starken Regens zerschneiden zahlreiche Bachläufe das Gelände. Clara Sabau und ihre Kinder bringen Blumen mit. Es ist für sie ein berührender Moment, als sie den Platz und den Ort, an dem das Feldbett gestanden hat, mit den Rosen abstecken. Clara Sabau gräbt mit den bloßen Fingern in der Erde. Sie findet kleine silberne Kaffeelöffel, die ihrem Bruder gehört haben müssen.

Denis, der aus purer Freude am Sprachenlernen, wie sein Onkel, Deutsch gelernt hat, dient als Dolmetscher. Er berichtet, dass sie als Kinder von Bacau nach Turin gezogen seien. Auch ihr Onkel Isidor habe damals in Turin gelebt und habe oft auf sie aufgepasst, als sie noch klein waren. Isidor sei das älteste von sechs Kindern, übersetzt Denis die Worte seiner Mutter. Er sei verheiratet gewesen, 2007 sei seine Frau an einem Tumor gestorben. Isidor habe den Tod seiner Frau nur schwer verkraftet und sei dann viel auf Reisen gegangen. Er habe sich als Bauarbeiter durchgeschlagen und zeitweise in Kanada gelebt.
Jahrelang Ungewissheit
Die Sorge und Ungewissheit um ihren Bruder wurde immer größer. Warum meldet er sich nicht mehr, fragte Clara Sabau sich in den vergangenen Jahren immer wieder. Im Herbst 2023 sei wieder so eine Zeit gewesen, in der sie die Suche nach ihm intensivierte. „Es war, als wenn er nach mir gerufen hätte.“ Da stößt sie im Internet auf rumänische Zeitungsberichte und auf einen TV-Bericht, in dem von einem toten Rumänen die Rede ist, der in einem Wald in Deutschland entdeckt wurde. Der SÜDKURIER-Bericht wurde in rumänischen Medien verbreitet. Wir hatten damals den Namen Isidor F. genannt, seinen Geburtsort Bacau und auch sein Geburtsdatum. Clara Sabau wusste mit den Daten natürlich etwas anzufangen.
Berichte in rumänischen Medien
Die Leiche wurde am 19. November 2023 entdeckt. Clara Sabau erinnert sich noch genau an das Datum, an dem sie die Berichte in rumänischen Medien entdeckte: am 27. November. Sie habe sich damals sofort an die Polizei gewandt. Parallel dazu machte Interpol die Angehörigen ausfindig. Wie Sabau sagt, sei sie im Januar 2024 zur Abgabe einer DNA-Probe aufgefordert worden, im April habe sie die Bestätigung erhalten, dass es sich um ihren Bruder handelt.
Im Mai nahm sie Kontakt zu unserer Redaktion auf, um sich den Ort zeigen zu lassen, wo ihr Bruder gestorben ist. So kam das Gespräch für diesen Bericht zustande. Sein Schicksal vom einsamen Tod im Wald berührte damals viele Leserinnen und Leser. Seine Tagebucheintragungen zeugten von Poesie und einem Leben in Gesellschaft. „Aber er liebte auch die Freiheit, er liebte die Natur“, sagt sie über ihren Bruder. „Nun ist es gut zu wissen, an was für einem schönen Ort er gestorben ist.“