Für Judith Olberg fühlt es sich derzeit so an, „als hätten wir Januar oder Februar“. Die Stadt sei „wie leergefegt“ – kaum Fußgängern in Sicht in diesem November, Autos ebensowenig.

In ihrem Modegeschäft in der Franziskanerstraße herrsche so wenig Kundenbesuch, wie sie es seit Eröffnung ihres Geschäfts vor fünf Jahren noch nicht erlebte, sagt Olberg. Am vergangenen Samstag hätten sie und ihre Kollegin Olinka Suda, mit der sie sich die Geschäftsräume teilt, nur ein Sechstel des Umsatzes der vorangegangenen Samstage gemacht. Über die ganze Woche hinweg errechnete sie ein Minus von 70 Prozent gegenüber einer November-Woche in den Vorjahren.

Olinka Suda: Wir haben geöffnet! Video: Stefan Hilser

Kunden: Wir können ja nirgends hinsitzen

Der Grund liegt für Judith Olberg auf der Hand: Wegen des Teil-Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie, der die Gastronomie zum Schließen zwingt, werde den Kunden ein wichtiges Stück Einkaufserlebnis genommen. Es gebe einen Zusammenhang zwischen Handel und Gastronomie, der eine lebt vom anderen, gerade in einer Einkaufsstadt mit Flair wie Überlingen. Im positiven Sinne habe ihr der attraktive Standort Überlingen „den Hintern gerettet“. Will heißen: Die Verluste im März, als sie im ersten Lockdown schließen musste, seien durch den boomenden Tourismus im Sommer wieder wett gemacht worden. Nun, im November, spüre sie, dass etwas fehlt, wenn die Gaststätten zu sind. Mal eine Pause beim Einkaufsbummel einlegen, mal die vollen Einkaufstüten irgendwo abstellen zu können, das fehlt den Leuten, und sie sagen ihr: „Wir können ja nirgends in der Stadt hinsitzen.“

Stadtverwaltung: Eine bittere Pille

Der Ausfall des Weihnachtsmarktes sei für viele Einzelhändler eine „bittere Pille, da sich die geringere Besucherfrequenz auch auf die Umsätze des Handels auswirkt“. So schätzt die Stadtverwaltung die aktuelle Lage ein. Tatsächlich sei die Schließung der Gastronomie auch für die Händler problematisch, da die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt sinkt.

Die Stadtverwaltung verweist auf die so genannte „Novemberhilfe“ und auf die „Überbrückungshilfe 3“, an der noch gearbeitet werde. Diese könnten die Auswirkungen der Schließungen effektiv abmildern. Die Überbrückungshilfe 3 wende sich dann an die indirekt betroffenen Unternehmen.

Das könnte Sie auch interessieren

Olberg: Lasst den örtlichen Handel bitte nicht hängen

Ihr Gespräch mit dem SÜDKURIER verbindet Judith Olberg mit zwei weiteren für sie wichtigen Aussagen: Erstens findet sie die Corona-Maßnahmen sinnvoll, „und super, dass sich alle daran halten“. Zweitens ruft sie die Kunden dazu auf, trotz aller Widrigkeiten den örtlichen Handel nicht hängen zu lassen. Olberg: „Wir haben geöffnet!“ Wenn jetzt alle zu den Internet-Riesen wie Amazon abwandern, so ihre Befürchtung, „dann wird es einige von uns im nächsten Jahr nicht mehr geben“.

Zscherp: Flauten üblich bei Veränderungen

Uwe Zscherp ist Vorstandsmitglied im Wirtschaftsverbund Überlingen und im WVÜ für den Bereich Einzelhandel zuständig. Für die Gastronomie sei dieser November schlimm, sagt er, umso wichtiger sei es, deren Angebote für Essen zum Mitnehmen zu nutzen. In der Tat gebe es einen Zusammenhang zwischen Gastronomie und Handel, doch stelle er fest, dass es nach der deutlichen Delle in der ersten Novemberwoche in der zweiten Novemberwoche schon wieder besser läuft. Für Zscherp bestätigt sich damit eine Erfahrung aus früheren Jahren, dass jede krasse Veränderung – wie zum Beispiel die Euro-Umstellung – die Kunden für eine gewisse Zeit verunsichert und vom Einkauf abhält.

Uwe Zscherp sieht als Grund für die aktuelle Flaute im Handel weniger den Lockdown für Gaststätten, als vielmehr die durch steigende ...
Uwe Zscherp sieht als Grund für die aktuelle Flaute im Handel weniger den Lockdown für Gaststätten, als vielmehr die durch steigende Coronazahlen und -Auflagen hervorgerufene Verunsicherung bei den Kunden. | Bild: Hilser, Stefan

Den gewichtigeren Grund für die aktuelle Flaute sieht Zscherp weniger in den geschlossenen Gaststätten als in der allgemein herrschenden Verunsicherung: Täglich werden noch größere Infektionszahlen gemeldet, Kontakte sollen reduziert werden, manchem bereitet die Gesichtsmaske Probleme, andere finden sie schlichtweg lästig. Das wirke sich auf das Kaufverhalten aus, obwohl Einkaufen in den ihm bekannten Geschäften kein großes Risiko berge.

Uwe Zscherp: Jede Veränderung verunsichert Kunden Video: Hilser, Stefan

Statt den Mangel zu beklagen, rät Zscherp, mit kreativen Lösungen in die Zukunft zu blicken. So dächten er und Klaus Munding vom gleichnamigen Modegeschäft derzeit darüber nach, Sonderöffnungszeiten anzubieten, in denen Kunden mit besonders großer Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus außerhalb der normalen Öffnungszeiten durchs Geschäft stöbern dürfen, „völlig kontaktfrei“.

Vorteil für kleinere Strukturen

Uwe Zscherp weist außerdem darauf hin, dass Großstädte viel stärker von der Corona-Krise betroffen seien. Einige der großen Handelsketten stünden vor dem Ruin, während in Kleinstädten wie Überlingen, wo man sich kennt, wo noch familiengeführte Betriebe am Markt agieren, eine treue Stammkundschaft das Überleben sichert.

Das könnte Sie auch interessieren

Olberg: Lob an die Stammkundschaft

Das bestätigt auch Judith Olberg: „Wir leben jetzt von unseren Stammkunden.“ Auch die, die online bei ihr einkaufen, zeichneten sich als Stammkunden dadurch aus, dass sie nicht kistenweise Klamotten zum Anprobieren bestellen und dann das meiste klimaschädlich wieder retour schicken, wie das bei den Verstandriesen üblich ist. Rücksendungen gebe es praktisch nicht, „die Leute wissen ja, was sie bei mir bestellen“.